Wir lesen … „David Copperfield“ von Charles Dickens #BarkisWill – Zwischenfazit

„Wenn du das dann liest, sag mal Bescheid.“ sagte Matthias. So werden Leserunden geboren. 🙂 Ursprünglich nahm ich mir vor „David Copperfield“ von Charles Dickens als eins meiner 20 Bücher für 2020 zu lesen, weil ich 1. das Bedürfnis hatte mal was anderes von Dickens als „Die Weihnachtsgeschichte“ zu lesen und 2. das Buch seit meinem Studium ungelesen in meinem Regal stand. Dass ich mir das für den Schluss aufhebe, war Absicht. Ich dachte es würde gut in die Weihnachtszeit passen. Dass sich Matthias alias @_quoth_ erneut anschließt, war ein schöner Zufall. Und gerade erst vor Kurzem konnten wir Jana vom Blog Wissenstagebuch auch noch dazu gewinnen und die Wege früherer Leserunden kreuzen sich erneut. 🙂 So wechselten wir von zuerst Goodreads für unsere Leseupdates zu Twitter und die könnt ihr jetzt unter dem Hashtag #BarkisWill mitverfolgen. Da sich das so kurzfristig entwickelte, gab es hier übrigens auch ausnahmsweise keinen Aufruf.

Betsey, David, Davy, Daisy.

All das sind Namen, die unser Protagonist David Copperfield im Laufe der Zeit haben wird. Wenn auch manche davon nur kurzzeitig. David Copperfield wird als Halbwaise geboren. Sein Vater verstarb vor seiner Geburt. Aber er wird in gute Verhältnisse geboren. Seine Mutter ist etwas neurotisch und nervös, aber liebt ihn sehr. Die Haushälterin Pegotty wird für ihn wie eine zweite Mutter, die er sogar in ihrer Heimat besucht und sich mit ihren Leuten anfreundet, in die kleine Ziehtochter Emily sogar verliebt. Als David zurückkommt, gibt es aber eine Überraschung. Seine Mutter hat wieder geheiratet. Und das ändert alles.

„Ob ich mich in diesem Buche zum Helden meiner eigenen Leidensgeschichte entwickeln werde oder ob jemand anders diese Stelle ausfüllen soll, wird sich zeigen.“ p.7

Als Mr. Murdstone sein Stiefvater wird und er und seine Schwester Ms. Murdstone einziehen, erübrigen sie sofort nur Geringschätzung für David und Pegotty. Davids Mutter Klara behandeln sie wie ein kleines Kind, das von der Welt keine Ahnung hat. Bald schon traut sich niemand mehr etwas gegen die Praktiken und Ansichten der Mordstones zu sagen. Und David wird ganz schnell auf ein nicht besonders angesehenes Internat für Jungen abgeschoben. Dort findet er zwar gute Freunde und erlebt spannende Dinge, aber der Weg bis dahin ist ein steiniger. Davy wird übrigens sein Spitzname, genauso wie Daisy. Betsey hätte er heißen sollen, wenn es nach seiner Tante gegangen wäre – die selber auch Betsey heißt und sich eine Nichte statt eines Neffen gewünscht hätte. Und als sie erfährt, dass es ein Junge wird, macht sie auf dem Absatz kehrt. Joar. Ich lese übrigens die Ausgabe von Fischer Klassiker mit der Übersetzung von Gustav Meyrink.

Warum eigentlich „Barkis Will“?

Manch einer wundert sich vielleicht über den Hashtag, den wir für unsere Online-Leserunde gewählt haben. #BarkisWill gibt nicht unbedingt soviel Aufschluss darüber, welches Buch hier gelesen wird wie es zuvor wohl #aufDerNautilus oder #VisitingManderley tat. Der Grund dafür ist aber wohl eine der ersten wirklich enorm lustigen Szenen im Buch, die uns begegneten und die einen Eindruck vermitteln, was die Stärke von Dickens Roman ist. Denn obwohl alles was David bis hierhin passierte und was ihm noch geschehen wird deprimierend und niederschmetternd bis grausam ist, hat Dickens eine abwechslungsreiche bis heitere Geschichte geschrieben.

Skurrile Charaktere und Slapstick-hafte Situationen lockern die Atmosphäre auf und halten auch mich als Zuschauer ganz gute bei Stange. Der Hashtag rührt von einer Szene, in der der Haus-Chauffeur der Copperfields Mr. Barkis Interesse an der Haushälterin bekundet. Weil er aber erstens sehr wortkarg und zweitens schüchtern ist, fragt er den damals ca. zehnjährigen David aus, ob Pegotty einen Schatz hat. Als David verneint, gibt er ihm einen Auftrag.

„Gut. Wenn Sie ihr schreiben, sagen Sie ihr, daß Barkis will. Ja?“ p.82

Das ist alles! XD Und das obwohl Davy da gerade zum Internet wegfährt und Barkis Pegotty wahrscheinlich noch am selben Tag sehen würde. Aber selber mit ihr reden? Uff, nee. ^^ So versucht Barkis also sich an Pegotty ranzumachen. Letzten Endes schreibt der kleine Davy dann an Pegotty mit einer blassen Vorstellung dessen, was er da anzettelt „Meine liebe Pegotty. Ich bin hier glücklich angekommen. Barkis Will. Viele herzliche Grüße an Mama. Dein getreuer Davy. Nachschrift. Es ist mir nochmals aufgetragen worden: Barkis Will“. Herrlich. Das macht David wohl zum jüngsten Wingman der Geschichte. Ich habe laut gelacht. Ein Running Gag ist übrigens auch wie anfangs so ziemlich jeder den noch kleinen Davy ausnimmt. Ich erinnere mich noch gern und gleichzeitig ungern daran wie er zulässt, dass ein Kellner in einer Gaststube ihm all sein Essen wegisst. Oh, Davy.

„Ich muss ihm sehr dankbar und selbst in meinen Gedanken sehr unterwürfig sein.“ DAFUQ?

Das Zitat da oben stammt von S. 139 und von Davids Mutter Klara. Das gibt zum Einen Aufschluss darüber was für Gehorsam von einer Ehefrau zu Zeiten von Charles Dickens erwartet und darüber welcher starken Gehirnwäsche Klara von den Murdstones unterzogen wurde. Sie kann sich kaum gegen die körperliche Züchtigung wehren, unter der sowohl David als auch sie leiden. Für Davy gibt es aber noch den einen oder anderen Trost. Zum Einen ist das Anwesen mit dem klingenden Namen Blunderstone-Krähenhorst immer noch sein Zuhause. Seine Mama ist da, Pegotty ist da und er sucht in Büchern Eskapismus von der psychischen und physischen Misshandlung.

„Mein Vater hatte eine kleine Büchersammlung in einer Dachstube neben meinem Schlafraum, um die sich niemand kümmerte, hinterlassen. Aus diesem gesegneten kleinen Stübchen kamen Roderick Random, Peregrine Pickel, Humphrey Clinker, Tom Jones, der Landprediger von Wakefield, Don Quichote, Gil Blas und Robinson Crusoe – eine glorreiche Schar – zu mir, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie erhielten meine Phantasie lebendig – und meine Hoffnung auf etwas über diesen Ort und diese Zeit hinaus; […].“ p.71

„Wir müssen uns bemühen dich anders zu machen.“ p.145 (Mr. Murdstone zu Davy)

Leider ist das ein klarer Fall von: es muss erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann. Eigentlich glaube ich nicht an den Spruch, aber er ist hier passend. Ich bin jetzt auf S. 394 von 1024 Seiten. Hier geht es gerade aufwärts für den inzwischen siebzehnjährigen Davy. Was aber bis dahin alles passierte ist schon manchmal schwer zu verkraften und prasselt auch durchaus mal sehr plötzlich auf den Leser ein. Auch Charles Dickens großes, wiederkehrendes Motiv von Klassenunterschieden und Armut kommt zum Tragen und das noch früher als ich erwartet hatte.

Aber der oben erwähnte Comic Relief ist so fein nuanciert, dass er ungekünstelt erheitert. Ich habe selten ein Buch gelesen, dass das so fein abschmeckt. Die ganzen herzlichen, rauen, schrägen Charaktere möchte ich nicht missen. Den wortkargen, verliebten Barkis. Die raubeinigen Seefahrer um Ham und Mr. Pegotty mit ihrem speziellen Dialekt. Die resolute Tante Betsey Trotwood – ich erinnere nur an ihren Aufschrei „Janet! Esel!“ wenn der Esel wieder droht den Rasen vor dem Haus zu zertrampeln. Oder auch den von Karl I. besessenen Mr. Dick, der aber stets einen guten Ratschlag hat. Das ist schon ein wunderbares Bündel an liebenswerten, sehr menschlichen Charakteren. Davy eingeschlossen. Ich freue mich schon sehr darauf zu lesen wie es mit David und all den anderen weitergeht. Sicher ist aber wohl, dass es ein Auf und Ab bleiben wird.

„Sei niemals und bei keiner Gelegenheit niedrig, unwahr oder grausam.“ (Betsey Trotwood) p.263

Zu den Artikeln der Leserunde

… coming soon …

Übrigens ist der Originaltitel des Buches „David Copperfield or The Personal History, Adventures, Experience and Observation of David Copperfield the Younger of Blunderstone Rookery (Which He Never Meant to Publish on Any Account)“ … steil. Habt ihr das Buch bereits zufällig gelesen? Oder wollt es noch lesen? Unsere kleine Leserunde läuft sicherlich noch eine kleine Weile und wir freuen uns über weitere Mitstreiter*innen. 🙂 Was ist euer Lieblingsbuch von Dickens? Ich muss gestehen, dass es für mich das erste ist mal abgesehen von seiner „Christmas Carol“. War also längst überfällig und bisher habe ich den Eindruck, dass das Buch ein echter Wirkungstreffer werden könnte. Nebenbei bemerkt lese ich nicht gern solche Türstopper. Meine Wohlfühl-Buchlänge liegt im Schnitt bei 300 bis 500 Seiten. 

6 Antworten

  1. LOL, das mit Barkis hatte ich ganz vergessen, erinnere mich aber jetzt. Und auf deine Frage nach meinem Lieblingsbuch von Dickens antworte ich: „dieses“. 🙂
    (Auch empfehlen würde ich Martin Chuzzlewit (was ja nicht gerade den höchsten Bekanntheitsgrad hat), auch darin finden sich herrlich überzeichnete Charaktere – und es gibt eine sehr schöne, humorvolle BBC-Miniserie, u. a. mit Julia Sawalha und dem unvergessenen Pete Postlethwaite).

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Martin Chuzzlewit! Das sagte mir tatsächlich nix – von daher danke fürs Aufschlauen! „gilt als der letzte seiner Schelmenromane“ – oha! Vielversprechend 😀
      Ich sehe du kennst dich aus mit Dickens! Von der Verfilmung von David Copperfield hast du mir ja auch schon mal erzählt. Inzwischen habe ich nachgeschaut, das ist ja sogar ein Zweiteiler und ich werde bestimmt mal reinschauen, wenn ich das Buch durch hab. Hast du den neueren Film mit Dev Patel zufällig auch schon gesehen? Der ist nur leider noch nirgends streambar.

      1. Gerne 🙂 Nein, den hab ich leider noch nicht gesehen.

  2. Ich habe als Teenager viel Dickens gelesen. Oliver Twist, David Copperfield, Great Expectations. Mochte ich sehr – wie alles englische eigentliche 😉
    Ungelesen im Regal steht noch „Der Raritätenladen“ von Mr Dickens, vielleicht nehme ich mir den diesen Winter mal vor. Stimmt schon, Dickens liest man irgendwie am besten im Winter. Schöne Weihnachten wünsche ich Dir und ein glückliches, gesundes neues Jahr. Ganz liebe Grüße, Sabine

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Was hat der Dickens nur an sich, dass der so klassische Winterbücher hat? Mal abgesehen von seinen Weihnachtsgeschichten? Vielleicht die Seitenzahl. Ist ja doch etwas umfangreicher zum teil.
      Great Expectations, Oliver Twist und A Tale of Two Cities möchte ich auch noch lesen. Und Martin Chuzzlewit wie mir gerade empfohlen wurde 🙂 Würde mal sagen die Pläne für die nächsten Jahre sind da…

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