Nachdem die liebe Kathrin mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass im Belle Époque Verlag die Bücher um den Gentleman-Gauner Arsène Lupin erscheinen und eine Leserunde vorschlug, war ich sofort dabei. Angeheizt durch die spannende und kurzweilige Serie um Omar Sy als Meisterdieb, der sich Arsène Lupin als Vorbild nimmt, war ich ebenso neugierig auf die literarische Vorlage. Zumal auch im deutschsprachigen Raum bis Frühjahr 2021 scheinbar keine Ausgabe (mehr) vorlag. Das #LupinLesen war geboren und aufgrund der Kürze des Buches auch wieder so schnell vorbei, dass ich gar keine Gelegenheit für ein Zwischenfazit hatte, sondern direkt den ganzen Band bespreche. Unter dem Hashtag oben könnt ihr trotzdem immer noch unsere Gedanken während des Lesens verfolgen. 🙂
Gentleman-Gauner
Zu Beginn von Band 1 befinden wir uns in einer Situation der man kaum entkommen kann: an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Die Reisenden werden durch eine per Telegramm übermittelte Nachricht erschüttert: an Bord soll sich der berüchtigte Dieb Arsène Lupin befinden! Die wenigen Hinweise werden ausgewertet, mögliche Verdächtige gefunden, doch schließt sich bald aus, dass es sich bei ihnen um den Gentleman-Gauner handeln kann. Was für ein Verwirrspiel. Das ist nur ein Ausdruck der Gerissenheit mit der Lupin verwirrt, hinter’s Licht führt und die Leute auch gleichermaßen begeistert. Lupin hat einen leichten Anflug von Größenwahn, denn nicht selten kündigt er sich an oder kommentiert sein Wirken in Briefen an Zeitungen, die dann abgedruckt werden und für Wirbel sorgen. Aber selbst im Gespräch mit Ganimard, dem Kommissar, der ihm öfter auf den Fersen ist, bleibt er stets freundlich, human, sogar charmant.
„Arsène Lupin könnte auch derjenige gewesen sein, der bei dem Feuer auf einem Wohltätigkeitsbasar so vielen Menschen das Leben gerettet und ihnen gleichzeitig die Taschen gelehrt hat.“ (p.74) Gentleman-Gauner eben #LupinLesen
— MissBooleana (@MissBooleana) May 7, 2021
Bereits im zweiten Kapitel wird aber eine gewisse Formelhaftigkeit hinter Maurice Leblancs Figur und Geschichten deutlich. Relativ schnell werden alle Superlativen eines kriminellen Masterminds ausgeschöpft: gefasst werden (und das vielleicht sogar geplant), sich geschickt aus dem Gefängnis winden, danach wenn die Legendenbildung abgeschlossen ist, umreißt Leblanc die Anfänge und Schlüsselmomente Lupins in jeweils eigenen Kapiteln – formelhaft, aber sicherlich auch effektiv. Trotzdem wirkt es mitunter zu vorhersehbar und „schon tausendmal gehört“ für bereits krimibewanderte Leser oder einfach solche, die schon viele Geschichten konsumiert haben. Lupins besonders raffinierte Fälle stechen trotzdem heraus und variieren wahrscheinlich je nach Akzeptanz der Lesenden. Seine Eskapaden im Gefängnis habe ich gern gelesen.
Der Eindruck der Formelhaftigkeit wird v.A. dadurch verstärkt, dass Lupin, wenn auch ein sympathisches Schlitzohr, stets eher einseitig-überlegen dargestellt wird. Kommissar Ganimard scheint er stets drei Schritte voraus zu sein, so wie allen anderen. Auch Sherlock Holmes scheint Leblanc sehr zu umtreiben, denn er lässt kurzerhand die Figuren aufeinander treffen und ihr ahnt schon, wer hier eine Nasenlänge vorn liegt. Auch die vielleicht(?) zukünftige Frau im Leben Lupins bleibt bisher eher blass.
„[…] Die Rache ist wirklich amüsant: ich veranlasse Ganimard, Ganimard zu verhaften.“ p.52 (Kapitel 2: „Arsène Lupin im Gefängnis“)
Ich hab ein bisschen das Problem mit der Charakterisierung von Ganimard. Einerseits wird er immer wieder als Clever und Lupin-Experte dargestellt, in anderen Geschichten aber als zu leichtgläubig gegenüber Lupin. #LupinLesen
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) May 11, 2021
Überhaupt scheint Leblanc sich zuviel der „Sherlock Holmes“-Formel von Sir Arthur Conan Doyle und anderen Zeitgenoss*innen abgeschaut zu haben. Gut zehn Jahre nach den ersten Sherlock Holmes Geschichten erschienen die ersten Romane über den Gentleman-Gauner. Der hatte soviel Erfolg, dass Leblanc Zeit seines Lebens vorrangig die Figur weiterentwickelte und auf neue Abenteuer schickte, auch wenn ihm der Ruhm nicht nur gefiel. Dadurch, dass kein Kraut gegen Lupins Überlegenheit gewachsen zu sein scheint und offenbar ein Freund als Erzähler und Biograf fungiert, drängen sich noch mehr Vergleiche zu Sherlock Holmes auf. Auch vor dem Aufeinandertreffen der Figuren wird Sherlock einige Male erwähnt und das nicht immer nur gut gemeint. In früheren Ausgaben wurde zudem der Name des Detektivs verfremdet zu Herlock Sholmes. Kleiner Vorteil des öffentlichen Diskutierens über Bücher sind die kritische Auseinandersetzung (Kathrin scheinen die Episoden besser gefallen zu haben als mir 😉 ) und beispielsweise auch die Hinweise. So hat uns die liebe Sabine einen interessanten Artikel aus der SZ zugespielt, der vom Dieb und Anarchisten Alexandre Marius Jacob handelt, der möglicherweise das Vorbild für Lupin war. Leblanc stritt das Zeit seines Lebens ab.
„Wo Gewalt versagt, da siegt die List“ (p.206)
Was man Leblanc und Lupin zugute halten muss ist die Erfindung eines Gauners, der mit List, Cleverness und Charme vorgeht und kein Blut vergießt. Vielleicht ist es auch gerade das, was die Figur Lupins so beliebt macht. Leblancs Romane wurden einige Male verfilmt und die Figur in zahlreichen Adaptionen aufgegriffen. So beispielsweise im Manga Lupin III von Monkey Punch, der von niemand geringerem als Hayao Miyazaki in den 70er Jahren als Animationsfilm adaptiert wurde. Miyazaki arbeitete damals noch nicht für Studio Ghibli, sondern Tōkyō Movie.
Am meisten turnt mich aber die Sprache ab. Zu wenig Atmosphäre, zu wenig Intention, zu wenig Spannungsaufbau. Da gibt es sehr selten mal einen Absatz der die Umgebung oder Situation eingehender beschreibt – da kam für mich leider selten Stimmung auf …
— MissBooleana (@MissBooleana) May 7, 2021
Okay, dass das Ehepaar Imbert Arsène Lupin, den sie erst ein paar Stunden kennen, direkt von all ihren Besitztümern erzählen und beiläufig erwähnen, wo ihr Vermögen liegt, ist jetzt wirklich abwegig. #LupinLesen
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) May 11, 2021
Genau die oben genannten Charakterzüge Lupins machen auch einen Großteil des Charmes aus, denn die Fälle selber sind durchwachsen. Die Auflösung funktioniert zum Großteil durch das Fallenlassen von Fakten, die den Lesern anfangs vorenthalten wurden oder einfach indem nicht komplett aufgelöst wird. Im Fall von Cahorn beispielsweise erfahren wir nie was aus den zwei Polizisten wurde, die dann vielleicht doch Gauner waren und wie der eigentliche Raub von statten ging. Selbst Kommissar Ganimard schluckt die Auflösung ohne erkennbare Konsequenzen für seine Männer oder Hinterfragen der Loyalitäten. Vielleicht verhält es sich in späteren Geschichten um Lupin anders, aber miträtseln ist hier nicht wirklich möglich und die Twists sind teilweise vorhersehbar. Auch Leblancs Sprache lässt Vielseitigkeit vermissen und konzentriert sich stets auf das notwendigste an Schilderungen. Ein bisschen mehr Beschreibung und Suspense hätte dem Stoff gut getan, wohingegen Leblanc Charme und seichte Komik durchaus gelingt.
Zu den Artikeln der Leserunde
26.04. – Ankündigung hier im Blog
28.04. – Ankündigung von Kathrin
29.05. – Besprechung/Fazit von Kathrin
Fazit
Wenn es eine Sache gibt, wofür man Lupin liest, dann Lupin selbst: „‚Lupin, Gefangener im Santé, aber jetzt gerade auf der Flucht. Ich nehme an, dass mein Name Ihr vollstes Vertrauen weckt.’“ Cleverer und charmanter Redner. Aber die Kriminalfälle – naja #LupinLesen
— MissBooleana (@MissBooleana) May 7, 2021
Besprochene Ausgabe: ISBN 9783963571589, Belle Époque Verlag
Wenn ihr rausgelesen habt, dass das nicht so ganz mein’s war, dann habt ihr das richtig rausgelesen. Ich habe mich etwas gelangweilt bei den Geschichten. Ich fühle mich aber auch in der Noir- und Thriller-Ecke etwas wohler, obwohl ich einen guten Heist-Film immer zu schätzen weiß … . Für mich heißt es ab jetzt eher den Adaptionen folgen. Was ich gar nicht erwartet habe, waren die Ähnlichkeiten zu den Sherlock Holmes Geschichten – zumindest vom Aufbau her. Tatsächlich finde ich auch nicht alle Abenteuer von Holmes und Watson spannend, bin da aber deutlich mehr Zuhause. Wie sieht’s bei euch aus? Kennt ihr Arsène Lupin, Maurice Leblanc, die Bücher, andere Bücher von ihm oder Adaptionen?
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