Toshiaki Toyoda hat sowohl aktuelle Diskussionen und Zeitgeist in beide Filme einfließen lassen als auch seine persönlichen Erfahrungen und Meinungen. Sicherlich wurden gerade wegen dieser Gemeinsamkeiten beide Filme während des Filmfests im Paket angeboten, sind aber meines Erachtens nach durchaus losgelöst voneinander anschaubar. Es geht um Olympia, Epidemien und Waffenbesitz. Die Besprechungen sind spoilerfrei.
Wolf’s Calling
Der 17-minütige Kurzfilm beginnt mit einer Frau, die offenbar ein Familienerbstück findet: eine Handschusswaffe, die schon ziemlich Patina angesetzt hat. Nach einem Szenenwechsel werden wir Zeuge wie sich an einem Schrein eine Kriegerschar sammelt. Meisterlich wird eine unheilvolle Atmosphäre aufgebaut, als auch die Umgebung spürbar gemacht. Man meint die Kühle rund um den Shinto Schrein zu fühlen und den eigentümlich-frischen Geruch von bemoosten Baumstämmen und Wald zu riechen, bevor nach und nach der Groschen fällt, dass sich hier Krieger treffen und was danach folgt, endet mit Blut. Wer ist der Gegner? Die Zuschauenden? Werden die Krieger aufeinander losgehen oder sind sie Verbündete? Man braucht ein bisschen um die Punkte zu verbinden als die Waffe einen prominenten Auftritt hat, der offenbar sagen will: Gewalt überdauert.
„Wolf’s Calling – JAPAN CUTS 2020“, via JapanSocietyNYC (Youtube)
Regisseur Toshiaki Toyoda wurde zuvor wegen Waffenbesitzes festgenommen, das Urteil aber wieder aufgehoben. So schließt sich der Kreis dank der kurzen Botschaft des Regisseurs, der zusammen mit mit The Day Of Destruction abrufbar war. Offenbar saß Toyoda sogar im Gefängnis ein, bevor klar wurde, dass die Waffe ein Erbstück ist und nicht als das was sie ist herumgetragen wurde. Mit dem Wissen versteht sich Wolf’s Calling als Botschaft, dass eine Waffe eventuell mal abgefeuert wurde, ganz sicher aber dafür gemacht wurde abgefeuert zu werden. Sie verspricht Gewalt und überdauert offenbar ebenso Zeit. Der Titel Wolf’s Calling und Schauplatz des Rückblicks zeigt, dass dieser Ruf nach Gewalt, egal mit welchem Ehrgefühl oder welcher Not ausgestoßen, immer in folgenschwerer ist, dessen Relikte lange nachhallen, aber dessen Ruf nicht erwidert werden muss wie die letzte Szene mit der Frau im Film schön zeigt. Es ist lohnenswert nach dem Abspann weiterzuschauen, denn die Szene dort verbindet Wolf’s Calling eventuell lose mit The Day Of Destruction. Erwähnenswert ist außerdem der namhafte Cast und die Musik der Seppuku Pistols. Zu der Deutung zu kommen ist ungemein erhellend, ansonsten wirkt der Film wohl eher hermetisch und könnte dem Zuschauer noch etwas mehr Hinweise liefern, wo man ansonsten zu leicht nur Schauwerte vermutet. Für Schauwerte und Atmosphäre alleine allerdings ist der Film auch sehenswert. Mit Hintergrundwissen aber eben gehaltvoller.
Wolf’s Calling (OT: 狼煙が呼ぶ), Japan, 2019, Toshiaki Toyoda, 17 min, (6/10)
„The Day Of Destruction // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)
The Day Of Destruction
Vor sieben Jahren wurde in einer Mine ein Monster gefunden, dessen Ursprung ungeklärt ist genauso wie dessen Verbleib. Steht es im Zusammenhang mit der Epidemie, die um sich greift und mentale Erkrankungen bei der Bevölkerung verursacht? Panische, desilluionsierte Menschen laufen schreiend auf den Straßen umher, aber es ist nicht erkennbar, das etwas dagegen unternommen wird. Nachdem Kenichi (MahiToThePeople) seine Schwester verloren hat, begiebt er sich auf eine spirituelle Reise, die ihm ermöglicht etwas zu verändern und die Dämonen der Epidemie auszutreiben. Aber seine rasende Wut nimmt eine bedrohliche Gestalt an. Teppei (Kiyohiko Shibukawa) und andere Asketen versuchen ihn zur Vernunft zu bringen.
Toshiaki Toyoda teilt offenbar die Meinung der nach letzten Umfragen meisten Japaner, dass es unverantwortlich ist die Olympischen Spiele 2021 im Land auszutragen und dass sie abgesagt werden sollten. Der Film macht keinen Heel daraus, wenn Kenichi kurzerhand mit seinem „Genriki“ (offenbar spiritische Fähigkeit eine Reaktion ohne Berührung auszulösen, hier dargestellt durch ein Schnipsen) ein Stadion zum Eplodieren bringt, ob Traum oder Wirklichkeit. Wie sich hier die Spirituellen, Krieger und Asketen sammeln, um Veränderung heibzuführen hat etwas von Anime-Pathos. Kenichis Schreie nach seiner Transformation weg vom Menschlichen sind animalisch und die Bilder verstörend und gleichzeitig schön. The Day Of Destruction teilt sich mit Wolf’s Calling den Schrein als Schauplatz und Ausgangsort der Transformation und Konflikte. Erneut sind Atmosphäre, Visuelles und Musik fantastisch und aufwühlend. Zwar heißt es show, don’t tell, aber der Soundtrack und Opener von den Seppuku Pistols erzählt eine äußerst stimmige Geschichte.
Toshiaki Toyodas Film greift allerlei Zeitgeschehen auf: Olympia, die Pandemie, Moderne und die Rolle von Spiritualität darin. Zwar wird Corona nie erwähnt, aber der Film strotzt nur so vor Symbolismus, sei es auch nur ein Toyota(?) Corona Pickup, dessen Label prominent platziert wird. Das ist schon fast wieder zu sehr in your face. 😉 Gepaart mit der Optik ist The Day Of Destruction ein zeitgeistiger Rundumschlag in großartigen Bildern mit aufwühlendem Soundtrack, das sich nach hinten raus auch immer mehr erklärt. Das Indie-Feeling in dem Pathos gipfelt, bricht aber antiklimaktisch an der wohl erwartungsgemäß spannendsten Stelle ab und wirkt daher ungemein clever, zeitgeistig, aber unfertig.
The Day Of Destruction (OT: 破壊の日), Japan, 2020, Toshiaki Toyoda, 57 min, (7/10)
„Interview with Toshiaki TOYODA and Kiyohiko KIBUKAWA // 21st Nippon Connection Film Festival“, via NipponConnectionTV (Youtube)
Zum Thema „clever, aber unfertig“ – im Interview während der „Nippon Connection 2021“ bekam das Publikum in der Zoom-Session die Gelegenheit Fragen zu stellen. Eine gewisse, neugierige und enorm fangirlende Bloggerin hatte Glück, dass ihre Frage nach einer Fortsetzung ausgewählt wurde. Toyoda-san gab in dem Video an, dass er gern eine Fortsetzung dazu machen würde, die sich dann mit Corona auseinandersetzt. Ich würde die richtig gern sehen und bin während der „Nippon Connection 2021“ ein Fan geworden.
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