Für die Juni-Ausgabe von „angelesen“ habe ich mir extra Manga aufgehoben, von denen ich erwartet habe, dass sie queeres Leben darstellen. In manchen Fällen, war das so, in anderen nicht. Trotzdem möchte ich selbst die enttäuschten Erwartungen nicht verheimlichen. Unter den Manga befindet sich heute einer, der mit Geschlechterklischees bricht, die Liebe zwischen zwei Arbeitskolleginnen und einer, der sehr einfühlsam auf Coming-Out eingeht. Damit reiht sich diese Ausgabe von „angelesen“ in eine Reihe von Beiträgen anlässlich des Pride Monats Juni hier im Blog. ♥ Happy Pride!
„My Genderless Boyfriend“ Bd. 1, Tamekou, Hayabusa/Carlsen
My Genderless Boyfriend war bei Erscheinen in Deutschland in aller (Mangafans) Munde. Die seit 2018 erscheinende Mangareihe handelt vom Influencer Meguru, der auf seinem Instagram-Kanal alles bewirbt, was möglichst kawaii (süß) ist. Meguru mag Glitzer, auffallende Farben und liebt Mode und Make-Up. Seine Popularität scheint aber zunehmend mit Außenwirkungen auf seine Beziehung einherzugehen. Wako, eine Redakteurin, und er lieben sich und wohnen zusammen. Wenn Wako einen wichtigen Termin hat, schminkt er sie schon mal und berät sie in Outfits. Allerdings wird ihm auch nahe gelegt seine Beziehung nicht öffentlich zu machen, da es seinem Image und seiner Popularität schaden könnte.
Vielleicht war ich da etwas naiv, denn ich argwöhnte, dass der Manga irgendwo auf dem LGBTQ+ Spektrum mitschwimmt. Ist Meguru vielleicht nicht-binär oder genderfluid? Crossdresser oder bricht einfach so gern mit den Geschlechterrollen? Eher letzteres ist der Fall. Es ist eine immer wiederkehrende Situation, dass er und Wako missverstanden werden. Entweder werden sie beide für Frauen und ein lesbisches Paar gehalten oder Wako wird für Transgender gehalten, etc. Das entlarvt einiges über die Gesellschaft und den Umgang einerseits mit Androgynität und andererseits mit der queeren Community. Es ist eben leider ein in Menschen tief verwurzeltes Bedürfnis alles in erklärbare und eindeutig gelabelte Schubladen stecken zu wollen. Besonders frappierend ist die Begegnung mit der Kollegin Wakos, die sie beide für ein lesbisches Paar hält und sie fragt, wer von ihnen „der Mann in der Beziehung“ sei. Auweia. Oder auch die Journalist:innen, die zwar sehr wohl wissen, dass Meguru ein Mann ist, aber trotzdem davon ausgesehen, dass sein:e Partner:in nur ein Mann sein kann. Was das betrifft ist My Genderless Boyfriend schon eine Fundgrube für alle Missverständnisse rund um Geschlechterrollen und Individualität. Ansatzweise auch für die Herausforderungen der queeren Community – wenn auch eher durch die Blume.
Hält sich diese Formel aber über viele Bände hinweg? Mein Eindruck fußt nur auf dem ersten Band und ich finde, dass sich der „Gag, der keiner ist“ rund um Meguru und Wako schnell totlaufen könnte. Ich möchte ungern noch 5 Bände darüber lesen wie Wako sich schlecht fühlt, weil Meguru mehr „kawaii“ ist. Das liegt allerdings v.A. auch daran, dass die Geschichte sich hauptsächlich um die Geschlechterfrage, Influencer und „kawaii“ dreht. Die Insta-Szene, Filter und Glitzer sind eben doch eher oberflächliche Themen, mit denen ich als Leserin ja schon im echten Leben wenig anfangen kann und die ich eher kritisch sehe. Es fiele mir schwer Instagram und Influencing als Lebensinhalt zu verstehen. Dementsprechend weiß ich noch nicht, ob ich My Genderless Boyfriend weiterlese. Reviews ab Band 2 werden mir sicherlich Hinweise geben, ob es sich für mich lohnt dran zu bleiben. Was ich nicht hinten runterfallen lassen kann oder will: das Artwork und Character Design ist wirklich schön, sehr dynamisch und hochwertig. Übrigens: Erst nach ein bisschen Recherche habe ich herausgelesen, dass ジェンダーレス „Jendāresu“ bzw Genderless eine japanische Fashion Subkultur ist und Meguru bei Weitem nicht alleine. Der Manga wurde sogar bereits verfilmt.
„Office Affairs“ Yuni, Egmont Manga
Office Affairs ist ein Manga-Einzelband der Zeichnerin Yuni und am ehesten in das Genre Yuri und Slice of Life einzuordnen. Yuri bezeichnet dabei Manga mit expliziten sexuellen Handlungen zwischen Frauen. Dementsprechend sind unsere Protagonistinnen die beiden Büroangestellten und Kolleginnen Saori und Ayako. Seit einer Weile schon unterhalten sie eine Affäre, was etwas knifflig ist. Zum Einen ist Ayako Saoris Chefin und zum Anderen verheiratet. Als ihre Affäre eher locker und ohne Gefühl der Verpflichtungen abläuft, scheint alles gut. Unter der Oberfläche brodelt es aber zumindest für Saori gewaltig, die ernsthafte Gefühle für Ayako hegt. Täuscht es oder scheint Ayako die aber zu erwidern als ihre Beziehung enger wird?
Da ist natürlich Drama vorprogrammiert. Einiges am Ton des Manga passt für mich aber nicht recht zusammen. Wie einfach Saori beispielsweise ihre Chefin verführen konnte oder auch wie die Arbeit der Beiden immer von allen Kolleg:innen über den Klee gelobt wird – etwas repetitiv. Auch finde ich es etwas schwierig, dass ihre Beziehung als so heikel dargestellt wird und man nie weiß, was genau damit adressiert werden soll. Weil sie Kolleginnen sind? Weil Ayako verheiratet ist? Weil sie Frauen sind? Letzteres würde für mein Empfinden einen blöden Beigeschmack hinterlassen. Bezogen auf die japanische Gesellschaft, der man nachsagt sehr konservativ zu sein, ist vielleicht alles möglich. So unkommentiert und unerklärt löst das aber mehr Fragen bei mir aus. Vielleicht hätte es dem Manga gut getan nicht als Einzelband angelegt zu werden. Ansonsten hätte ich gern vom Leben der Charaktere außerhalb des Büros gelesen. Grundsätzlich sind mir beide Protagonistinnen sympathisch und ich habe sehr mitgefiebert, ob sie vollends zueinander finden, vom sexuellen abgesehen. Das wird übrigens verglichen zu Boys Love/Yaoi-Manga doch gefühlt etwas züchtiger und weniger pornös dargestellt. Ihr könnt euch jetzt gern selber überlegen, ob ihr das gut findet oder nicht. ^^ Das Artwork insgesamt ist ansprechend und der Manga durchaus gefühlsbetont. Ein Blick in das Werkverzeichnis von Mangaka Yuni zeigt, dass sie erstens schon Erfahrung mit Yuri-Manga hat und auch, dass es weitere Einzelbände zu Saori und Ayako gibt. Zwar wird Office Affairs nicht mein Lieblingsmanga, aber ich würde definitiv gern lesen, wie es mit den Charakteren weitergeht.
„Wer bist du zur blauen Stunde?“ Bd. 1, Yūki Kamatani, Carlsen Manga
Es braucht nur einen Moment, ein Versehen und schon scheint ein Leben am Abgrund zu stehen. So fragil ist das Zusammenleben der Menschen und gegenseitige Akzeptanz. Nachdem Tasukus Klassenkameraden gesehen haben, dass er auf seinem Handy den Link zu einem Boys-Love-Anime hat, bekommt er ein Label. Und das scheint nicht weg zu gehen. Seine Mitschüler nennen ihn schwul und finden gar kein anderes Thema mehr. Tasuku hält das nicht aus, fürchtet sich vor jedem nächsten Schultag und erwägt ernsthaft Selbstmord. Da erscheint eine seltsame Frau, die sich nur Frau Jemand nennt und bietet ihm an, dass er ihr alles sagen kann. Sie würde auch nicht zuhören. Für Tasuku verwirrend, aber genau das richtige Angebot. Er kann sich ihr anvertrauen und aussprechen, was er noch nicht mal sich selber eingesteht. Frau Jemand lädt ihn an einen Ort ein, an dem Tasuku viele Gleichgesinnte findet, die Lounge.
Wer bist du zur blauen Stunde? spielt mit dem magischen Realismus. Mal wirkt es so als könne Frau Jemand in der Luft spazieren und wer oder was sie ist, erscheint bisher nicht erklärbar. Auch die Bildsprache greift magischen Realismus auf, in dem Tasuku in tausend Scherben zerbricht als er sich das erste Mal eingesteht, dass er schwul ist. Die Scherben enthalten aber auch Wünsche, Bedürfnisse und Abbilder des Mitschülers, in den er sich verliebt hat. Kamatanis Bilder sind metaphorisch, geübt, wunderschön.
Kein Wunder, dass der in Deutschland in vier Bänden erschienene Manga als Slice of Life, Drama oder sogar Seinen (was sich mir noch nicht erschließt, Seinen=“Manga für junge und erwachsene Männer“) gelabelt wird anstatt als Romance, Boys/Girls Love, etc. Schließlich treten mehrere queere Persönlichkeiten auf. So beispielsweise im ersten Band die aufgeschlossene Haruko, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt. Beide leiden aber darunter ihre Beziehung nicht publik machen zu können und unter Diskriminierung. Zwar erfährt man im ersten Band noch nicht die Geschichten aller Personen, die in der Lounge ein- und ausgehen, aber ich bin schon sehr gespannt darauf. Mangaka Kamatani gehört selber x-gender an. Dabei handelt es sich um den japanischen Sammelbegriff für verschiedene nicht-binäre Identitäten. Nicht-binär ist kein üblicher Begriff in Japan, soweit ich weiß. Mit Wer bist du zur blauen Stunde? gelingt es Kamatani den Erkenntnisprozess über die eigene Sexualität einzufangen – in diesem Fall mit Tasukus anfänglicher panischer Angst und Verweigerung. Es zeigt auch die Ablehnung und Schranken der japanischen Gesellschaft in, das will ich nicht verschweigen, schmerzhaften, aber kurzen Sequenzen. Vor Allem tut Wer bist du zur blauen Stunde? aber etwas, das ich so das erste Mal in einem Manga gesehen habe und absolut wichtig finde. Es zeigt den gegenseitigen Halt der Menschen und wie sich die queere Community in Japan organisiert. Großer Tipp.
Da heute queere Manga (oder welche, von denen ich dachte, dass sie queer sind) im Fokus stehen: welche könnt ihr empfehlen? Das gilt natürlich auch für Comics im Allgemein. 🙂 Kennt ihr die besprochenen und wie habt ihr sie empfunden? Nehmt ihr Allgemein eine Veränderung auf dem Markt wahr, was queere Themen angeht?
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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