Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Crimes of the Future (2022)“

Wenn es einen gibt, der zwei Filme unter demselben Titel rausbringen darf, dann wohl David Cronenberg. Sein 1970er „Crimes of the Future“ ist wohl grundverschiedenen von seinem 2022er, der in Cannes Premiere feierte. Vielleicht hat sich eben auch unsere Vorstellung über Zukunft und wie die für die Menschheit aussehen wird geändert. Die Besprechung ist spoilerfrei.

Die Performance-Künstler Saul Tenser (Viggo Mortensen) und Caprice (Léa Seydoux) machen aus der Gegebenheit die Kunst. In einer nicht näher bezeichneten Zukunft empfinden die Menschen keinen Schmerz mehr, leiden nicht unter Infektionen und die Körper reagieren darauf mit dem sogenannten beschleunigten Evolutionssyndrom. Ihnen wachsen Organe keinerlei Funktion. Aus der Bioinformatik und Ergonomie entspringt eine ganze Industrie von „Smart Interieur“, das ihre Leiden lindern soll. Oder man macht es eben wie Tenser und Caprice und macht aus dem Herausoperieren der Organe eine Show. „Operieren ist der neue Sex“ sagt Timlin (Kristen Stewart), eine der neusten Fangirls des Duos und gleichzeitig Mitarbeiterin der „National Organ Registry“. Aufruhr kommt durch einen Jungen zustande, der Plastik isst. Sollen sich die Menschen gegen den Evolutionsschritt wehren oder ihn eher begrüßen?


Crimes of the Future | Offizieller Trailer Deutsch | Jetzt im Kino, Weltkino Filmverleih, Youtube

Über die letzten zehn Jahre schien David Cronenberg dem Body Horror den Rücken gekehrt zu haben, weswegen sein Crimes of the Future (2022) besonders viel Beachtung bekommen hat. Geblieben ist die visuelle Ästhetik mit der er organisches, technisches und alltägliches verbindet. Aber wie auch in früheren Filmen fällt es schwer zu unterscheiden, wann man akzeptieren und wann hinterfragen soll. Zu dem, was man akzeptieren muss, gehört wohl das intelligente Interieur, das Tenser unterstützen soll, aber eher aussieht als würde es sein Leben umständlicher machen. Auch dass Cronenberg für die Verzahnung zwischen Erotik und Körpertransformationen vorrangig nackte Frauen, weniger nackte Männer zeigt, kommt etwas einseitig rüber. Andere Bilder und Szenen hallen schon etwas mehr nach – und das nicht nur durch Kuriosität oder den Selbstzweck.

Der künstlerische Faktor ist erkennbar in der von gar nicht mal so unterschwelligem Verfall gezeichneten Umgebung, in der Tenser, Caprice & Co. leben. Schimmlige Wände, abgewohnte Zimmer, bröckelnde Fassaden. In einer Zeit, in der alle makellos erscheinen und ihre Gesundheit eher im Griff haben, werden andere Reize genutzt, um ein Zeichen zu setzen. „Wann begreifen sie endlich, das ich nicht schöner werden will?“ wird an einer Stelle sinngemäß gefragt. In den eigenen Körper einzugreifen und der Natur ein Schnippchen zu schlagen ist der neue Shit. Ist das die Antwort auf die Frage, was nach der Selbstoptimierung kommt?

Spannender fand ich aber das Bild des Jungen, der Plastik isst und alle damit einhergehenden Fragen, die der Film aufwirft. Versucht die Natur den Menschen auf die nächste Evolutionsstufe zu heben? Was für die Kunst einfach zu akzeptieren ist, ist es vielleicht nicht für die Menschen an sich. „Monster“ nennen sie ihn, wo er doch einen beträchtlichen Teil unserer Probleme lösen könnte. Worin zwischen all dem die Kunst liegt, ist etwas wirr. Man versteht die Metapher Tensers auf Künstler, die „sich nackt machen“ für „die Sache“. Die wortwörtlich ihr innerstes nach außen kehren. Das sind starke Bilder und einige davon kann man nicht ungesehen machen. Andere nimmt man zum Diskutieren nach Hause. Verknüpft sind sie aber eher lose und unscharf umrissen. So bleibt zwischen den zig offenen Fragen eine seltsame Dissonanz zwischen dem Hype auf Körper und Ablehnung der Evolution, die uns wirklich weiterbringen würde. Vielleicht ist die Lösung, dass Menschen voller Widersprüche sind und es an uns ist die miteinander vereinbar zu machen. Nicht alles in dem Film hilft dabei.

Crimes of the Future, Kanada/Griechenland, 2022, David Cronenberg, 108 min, (6/10)

Sternchen-6

Widerspruch ist bei Cronenberg-Filmen sowieso mein größtes Problem. Ich will sie sehen wegen der Visionen und des Body Horrors, den er auf die Mattscheibe bringt. Aber ich ärgere mich über die stellenweise Zusammenhangslosigkeit und offenen Enden. Hier dasselbe. Ich bin bis jetzt hin- und hergerissen was ich über die Attentäterinnen in dem Film denken soll oder den seltsamen „breakfast chair“. Vielleicht hattet ihr eine bessere Zeit mit dem Film. 😉

3 Antworten

  1. Ich versuche bei Cronenberg gar nicht mehr so richtig seine Filme überhaupt zu verstehen und gebe mich nur den Bildern, Eindrücken und Ideen hin. So geht’s meistens 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, das klingt nach einem Plan 😀

  2. Hab den Film bisher nicht gesehen, steht aber schon allein, weil die gute Kristen mitspielt, auf einer zukünftigen Watchlist. Mal sehen, wo sich das Werk irgendwann anschauen lässt. Aus dem Kino ist der ja wahrscheinlich schon wieder raus…

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