Meine Zeit mit „The Bear“ war kurz und intensiv. Intensiv, weil die Serie nur 8 Folgen hat, von denen die meisten in ihrer Spieldauer gerade mal zwischen 20 und 30 Minuten rangieren. Bis auf das fulminante Finale. Intensiv, weil die Serie intensiv ist. „The Bear“ handelt von Verlust, mentaler Gesundheit, Familie, Kochen, dem Führen eines Geschäfts und unserer Haltung zu unseren Jobs. Sehr wahrscheinlich eine der besten Serien, die ich dieses Jahr bisher gesehen habe. Die Besprechung ist spoilerfrei. TW/CW: Suizid, Schimpfwörter.
„Thank you, Chef! Yes, Chef!“
In der Eröffnungssequenz der Serie sieht man Carmen „Carmy“ Berzatto (Jeremy Allen White) einen Bären aus einem Käfig lassen. Auge in Auge mit der Bestie. Und das ist ein gutes Sinnbild für das, was sich Carmy da aufgeladen hat. Oder viel mehr, was ihm aufgeladen wurde. Sein Bruder Michael (Jon Bernthal) nahm sich das Leben und überschrieb ihm und seiner Schwester Sugar (Abby Elliott) das „The Original Beef of Chicagoland“. Eine Mischung aus Familienrestaurant und Take-away. Was Carmy vorfindet ist Chaos, die Ablehnung der Angestellten und ein Berg Schulden. Der Laden hält zusammen dank getrocknetem Fett und ein bisschen Mörtel. Was sein Cousin Richie (Ebon Moss-Bachrach) in dem Laden arbeitet, weiß man nicht genau. Aber er lehnt das neue System Carmys ab. Will keine Sterneküche. Will seine ursprüngliche Crowd behalten. Der Konflikt verschärft sich noch mehr als Carmy die ähnlich wie er ausgebildete Sydney (Ayo Edebiri) einstellt. Es fallen Schüsse, es wird geprügelt, die Nachbarschaft rangelt und mittendrin versucht Carmy nicht wie seine bisherigen Chefs zu werden und zu verstehen, warum sein Bruder sich umgebracht hat.
„Don’t touch my f*$%ing system“
Und da habe ich nicht mal die Hälfte der Konflikte aufgezählt, die sich in die verhältnismäßig kurze Serie einreihen. Und noch nicht mal die Hälfte des wunderbaren Casts und ihrer individuellen Reisen angerissen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn geneigte Zuschauende letzten Endes doch aussteigen, weil sie nach einer Episode nicht gut in die Serie finden. Das ist der einzige Kritikpunkt. Und wer sich zwei Episoden gönnt, sieht das vermutlich schon gelassener. Den Küchenslang kriegt man irgendwie mit („Corner! Behind! Prep!“). Dafür ist es greifbar in was für ein Wespennest Carmy sticht. Aber auch, was sein Einfluss in anderen auslöst. Man nehme nur mal Marcus (Lionel Boyce), der ursprünglich einzig im akkord das Brot für den Take-away gebacken hat und sich nach und nach zum Konditor entwickelt. Oder Sydney, die in Carmy ihr großes Vorbild sieht und einigermaßen geschockt von den Zuständen im „Original Beef“ ist. Es gibt kuriose Momente und rührende. Aber man muss sich verdienen dahinzukommen. Sowohl die Charaktere als auch die Zuschauenden.
Bis dahin wird geflucht, es wird geprügelt, es wird gestritten und Leute, wie gestritten wird! Ich dachte ich habe schon viel gesehen und viel unbequemes erlebt. Auch in meinem Job. Aber es gibt eine Stelle in der Serie, da wäre nach dem Erleben der On-Screen-Eskalation sogar ich am liebsten im Erdboden verschwunden. Aber da sind wir auch schon bei den vielen Themen die The Bear wie im Adrenalinrausch abfrühstückt. Wie bittet man um Verzeihung? Wie verarbeitet man eine Beziehung, die kein „ordentliches“ Ende gefunden hat? Wie kriegt man eigentlich ein sowieso schon verschuldetes Restaurant durch die Corona-Pandemie? Wie vereinbart man alt und neu? Und wie weit geht unser Verständnis von Beruf und Berufung? Wann ist es genug und wie lange unser Einsatz noch gesund? Dahingehend sehr erhellend ist der kurze und intensive Einblick in Carmys früheren Job als Sternekoch. Dadurch, dass The Bear dabei so ein ordentliches Tempo vorlegt, nimmt man aus den Episoden viel zum Nachdenken mit nach Hause.
„Let it rip“
Das ist ein Satz, der später in der Serie noch wichtig wird und auch dazu dient, den Titel besser zu erklären. Er gibt auch das rasante Tempo und die vielen wichtigen Themen der Serie wieder wie auch der Soundtrack. Letzterer folgt dem Charakter der Serie. Ein bisschen streetwise, ein bisschen Rock, ein bisschen retro und auch mal laut und leise. Chaos und ruhige, charakterzeichnende Momente wechseln sich ab, verleihen dem gesehenen in seiner Kürze Intensität in zwei Spielarten. Alles sitzt – wie in der Sterneküche oder dem Familien-Traditionsgeschäft von nebenan. The Bear hat ein fabelhaftes Gesamtpaket aus großartigen Schauspieler:innen, einem fantastischen Drehbuch und relevanten Themen. Man wünscht allen in der Serie, selbst denen die wir am Anfang gehasst haben, letzten Endes so hart ein Happy-End. Ironischerweise ist übrigens der einzige echte „Chef“ in der Serie Fak, gespielt von Matty Matheson. „Fak“ ist eigentlich der Hausmeister, der in der Serie immer mal hemdsärmelig etwas im „The Original Beef of Chicagoland“ repariert und sich später in der Serie für den Restaurantbetrieb bewirbt, aber abgewiesen wird. Was man nun aus all dem herausnimmt ist Hunger, auch wenn manche Szenen unappetitlich sind. Hunger auf gutes Essen, auf Restaurants mit Tradition, auf Handwerk und Enthusiasmus. Hunger auf Leben und gute Arbeit. Hunger auf „wollen“ und „durchziehen“ und „gemeinsam anpacken“. Thank you, Chef! (9/10)
Why The Bear Hits So Hard, Thomas Flight, Youtube
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Was bin ich froh, dass schon eine zweite Staffel angekündigt wurde. Offen gestanden wäre aber auch die erste Staffel ein guter Abschluss gewesen. Denn ja: die Serie ist sehr rund und funktioniert auch ausgesprochen gut, würde man hier aufhören. Aufmerksam geworden bin ich überhaupt erst auf die Serie durch eine in einem sozialen Netz aufpoppende Besprechung, die ich aus Angst vor Spoilern nicht mal gelesen habe. Stand heute kann man „The Bear“ bei Disney+ streamen. Kennt ihr die Serie?
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