Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Suzume“

Wenn Makoto Shinkai zuschlägt, bin ich im Kino. Dank der schönen Bilder von japanischen Landschaften und des emotionalen Potentials ist er wohl der Bob Ross des Anime. Auch visuell überzeugt „Suzume“ wieder. Wie steht’s um den Inhalt? Die Bespechung ist selbstverständlich spoilerfrei.

Suzume ist 17 Jahre alt und lebt im Süden Japans. Auf dem Weg zur Schule begegnet sie einem Mann, der sich nach Ruinen oder anderen verlassenen Orten erkundigt. Als Suzume kurze Zeit später aus eben diesen Ruinen Rauch aufsteigen sieht, befürchtet sie, dass ihm etwas zugestoßen ist. Niemand anders scheint den Rauch wahrzunehmen und so macht sie sich allein auf die Suche nach dem Mann. Der versucht dort offenbar eine Tür zu schließen, aus der eben jener Rauch kommt. Nachdem sie ihm geholfen hat, stellt er sich als Sōta vor. Er wäre ein „Schließer“. Würde er die Türen nicht schließen, dann würden durch die entkommende Bedrohung verheerende Erdbeben ausgelöst. Um die Türen für so lange wie möglich zu schließen, fehlt aber ein entscheidendes Puzzleteil. Das streunert in Form der Katze Daijin umher. Kein Problem, Daijin kommt sogar zu ihnen – setzt aber Sōta außer Gefecht und läuft danach weg. Plötzlich ist Suzume mit der Aufgabe betreut die Türen zu schließen und Katastrophen zu verhindern.


SUZUME Trailer German Deutsch (2023), KinoCheck, Youtube

So beginnt für Suzume ein Abenteuer, dass sie quer durch ganz Japan führt und erklärt auch den Originaltitel Suzume no Tojimari. Das bedeutet sinngemäß Suzumes Türschloss oder Suzumes Abschluss. Und Trauerverarbeitung ist auch das tief vergrabene und erst gegen Ende des Films ausgeschöpfte Motiv. Suzume verlor vor vielen Jahren durch das verheerende Tōhoku-Erdbeben ihre Mutter und wächst seitdem bei ihrer Tante auf. Zwischen ihnen stehen aber einige Schuldgefühle. So befürchtet Suzume, dass sie ihrer Tante die Möglichkeit verhagelt hat eine „eigene“ Familie zu gründen. Als ihre Tante beginnt ihr hinterherzureisen, spitzt sich der Film auch emotional zu. Nach Trauma und im Angesicht sovieler unausgesprochener Gefühle sind verschlossene Türen ein großartiges Motiv. Und es kostet Kraft diese zu öffnen.

Andere Motive als die Türen so gut zu verknüpfen gelingt allerdings nicht. Vieles am Film wirkt sehr beliebig. Oben schrieb ich Sōta würde außer Gefecht gesetzt werden. Wie man dem Trailer entnehmen kann, bedeutet das konkret, dass er von Daijin in einen dreibeinigen Stuhl verwandelt wird. Genau, einen Stuhl. Und da es für einen sprechenden Stuhl etwas schwierig ist durch Japan zu reisen, sackt Suzume ihn ein und macht den Job. Jetzt versteht ihr vielleicht, was ich mit beliebig meine. 😉 Dabei ist die Reise des dynamischen Duos witzig und sorgt für jede Menge Comic Relief. Doch letzten Endes haben viele dieser Bilder nur vage Bezüge zueinander. Man kann sich einiges hinerklären. Der Stuhl hat eine Bedeutung für Suzume. Der Wurm (die Bedrohung, die durch die Türen kommt) und die katzenhaften Schlusssteine (wie Daijin) erinnern vage an japanische Folklore. Aber eben nur vage. Und warum immer verlassene Orte? Warum „Schließer“? Viele Regeln erklärt der Film gar nicht oder während er sie einführt, was den Inhalt schwer akzeptierbar macht. Wann kann Suzume durch die Türen gehen, wann nicht? Warum ist der eine Schlusstein offenbar größer als der andere? Man hat viele Fragen.

Wenn ich das so lese, komme ich mir ein bisschen vor wie meine eigenen Eltern von vor zwanzig Jahren. Wenn die mit mir einen Anime geschaut haben als ich selber noch Kind war, dann kam bei Elementen wie den laufenden Stühlen häufig ein Kommentar wie „So ein Quatsch“. Aber gelacht hätten sie auch über den ulkigen Versucht des dreibeinigen Stuhls eine Katze zu verfolgen. 🙂 In dem Punkt sind wir alle gleich. Irgendwas berührt uns und manchmal ist das auch vollkommen egal, was das ist. Das hat Shinkai schon immer verstanden. Es ist nicht der erste seiner Filme, dem es an Regeln oder einem nachvollziehbaren Rahmen mangelt, der aber trotzdem irgendwie berührt. Was auch ich wieder in dem Film in bester „Your Name“ oder „Agartha“-Tradition sehe, sind die magischen Bilder und die Botschaft. Suzume unterhält und hat etwas zu sagen. Nur die gewählten Werkzeuge überzeugen nicht alle gleichermaßen und Shinkai erfindet sich auch nicht unbedingt neu muss man leider sagen.


RADWIMPS – すずめ feat.十明 [Official Lyric Video], RADWIMPS, Youtube

Was von den inhaltlichen Schwächen ablenkt sind erneut die traumhaft schönen Bilder. Das Roadtrip-Gefühl wird voll ausgekostet mit einer Reise von Kyūshū über Kobe bis Tōkyō. Steckt Shinkai mit der japanischen Tourismusbehörde unter einer Decke? Er fängt alles mit seinen Eigentümlichkeiten und wunderbaren Details ein: Stadt und Land. Wer fühlt sich im Hauptbahnhof von Tōkyō nicht wie Suzume, rechts, links, rechts, nach oben, rein in den Zug, durchatmen! Emotionaler Dreh- und Angelpunkt sind neben den Türen und der Trauerverarbeitung im Speziellen auch Verlust durch Katastrophe. Bei Katastrophen kann man auf niemanden böse sein. Man kann nur mitigieren, sie in vielen Fällen nicht verhindern. Suzumes Wut auf Daijin ist die Wut auf einen Stellvertreter. Der Film hat eine schöne Botschaft davon anderen die Türen zu öffnen und sich zu erinnern, dass es ein Leben nach der Katastrophe gibt. Dass es andere Menschen gibt, die man auch lieb gewinnen kann und kein Verbrechen an den verlorenen, lieb gewonnen. Auch wenn es schlimm war, es gibt ein Morgen.

Suzume (OT: すずめの戸締まり „Suzume no Tojimari“), Japan, 2022, Makoto Shinkai, 121 min, (7/10)

Sternchen-7

Oben schrieb ich, dass wenn Makoto Shinkai was rausbringt, ich ins Kino laufe. Das scheinen viele so zu sehen. Ich habe noch nie soviele bekannte Gesichter in der Warteschlange und im Saal gesehen. Hach wie schön, ich hab meine Crowd hier gefunden. ^^ Neben diesem wohligen Gefühl ist da natürlich aber auch der blanke Fakt, dass Shinkai soviel internationale Bekanntheit und v.A. Einnahmen einbringt, dass seinen Filmen auch ein deutscher Kinostart vergönnt ist. Sogar Jahr um Jahr prominenter (zumindest da, wo ich es beobachte). Mit mehr Vorführungstagen und Lichtspielhäusern. Gute Entwicklung. Könnte gern mehr Anime treffen. Habt ihr „Suzume“ gesehen? Und wie hat euch der Film gefallen? So gesehen muss man meines Empfindens nach ein bisschen über die Implikationen nachdenken. Beispielsweise ob es evtl Sōtas Großvater ist, der das Tōhoku-Erdbeben nicht verhindern konnte. Schade nur, dass der Film das nicht so auf den Punkt bringen konnte.

5 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Den schaue ich am Samstag… bin schon sehr gespannt. Danach komme ich nochmal wieder

  2. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    So, jetzt gesehen… und ich stimme dir zu. Es ist alles recht vage. Der Film baut eine an sich interessante Mythologie auf, gibt uns dann aber zu wenig, um so richtig in ihr aufgehen zu können. Diese Lost Places, die Türen (musste übrigens die ganze Zeit dabei an The Dark Tower denken )… daraus hätte man mehr machen können.

    Die Reise war aber trotzdem toll, die Gags saßen, die Chemie stimmte… der Stuhl war toll

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mir war da aber auch selbst der Stuhl etwas zu random …
      Aber stimmt ja, das Motiv der Türen ist stark. Aber halt zu häufig nur das Motiv. Das alles zu verbinden hat aber bei den beiden Vorgängerfilmen besser geklappt. Naja. Gut unterhalten hat er trotzdem…

  3. […] Hiro spricht auf seinem Kanal Einfach Japanisch darüber, warum Makoto Shinkais jüngster Film Suzume einige schwierige Botschaften in Hinblick auf die Mehrfachkatastrophe infolge des Tōhoku-Erdbebens […]

  4. […] ein bisschen gemacht. Fange ich mit Filmen an, dann war ich „nur“ zu einem im Kino: Suzume. Ansonsten schaue ich mich gerade durch Franz Rogowskis Filmografie. Wenn ihr meint hier […]

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