Seit 2016 bewirbt das Japanese Film Festival (JFF) die ganze Bandbreite des japanischen Films – und das online, kostenfrei und aus vielen Ländern zugänglich. Dieses Jahr ist das JFF leider schon vorbei. Den ersten Rutsch gesehener Filme besprach ich vor ein paar Wochen – heute gibt es noch ein paar Nachzügler. (Spoilerfrei.)
Vierundzwanzig Augen
Mein erster Film von Keisuke Kinoshita! Darin nimmt die junge Lehrerin Hisako Oishi (Hideko Takamine) 1928 eine Stelle auf der kleinen Insel Shodoshima an. In der ländlichen und abgeschiedenen Gegend sticht sie heraus als Frau, die im westlichen Zweiteiler statt Kimono auftritt und zur Schule radelt. Sie wird als unkonventionell betrachtet, aber zumindest die Kinder lernen sie (nach einigen herben Streichen) lieben. Zusammen mit den Zwölfen (den „Vierundzwanzig Augen“) durchlebt sie Armut, Konflikte zwischen Zukunftswünschen der Kinder und denen ihrer Eltern und sogar den Krieg. Es ist zermürbend zu sehen wie viele „ihrer“ Kinder am Ende des Films überhaupt noch da sind.
Kinoshitas Film stellt eine moderne Botschaft in sein Zentrum: dass die Wünsche des Individuums wertvoll und beachtenswert sind. Vierundzwanzig Augen bildet das Unglück ab, wenn diese nicht respektiert werden – schon alleine durch das Fehlen vieler dieser Augenpaare am Ende des Films, die doch so viele Jahre zuvor noch hoffnungsvoll ihrer Lehrerin entgegen blickten. Die ist so modern, dass sich über den aufkommenden Nationalismus hinwegsetzt. Sie macht (anders als gewünscht ist) keine Werbung für den Krieg, sondern fürchtet die Ambitionen der Jungen, die angesteckt vom Nationalismus unbedingt in den Krieg ziehen wollen. Ein großartiger Film, der am Ende sogar seine Laufzeit vergessen macht.
Vierundzwanzig Augen (OT: 二十四の瞳), Japan, 1954, Keisuke Kinoshita, 156 min, (9/10)
Wedding High
Unter den japanischen Regisseurinnen habe ich mit Abstand am meisten Filme von Akiko Ohku gesehen. Meine Favoriten sind und bleiben My Sweet Grappa Remedies und Tremble All You Want. Dennoch habe ich mich sehr gefreut wieder einen von ihr im Programm des JFF zu finden. Darin will das Paar Akihito (Tomoya Nakamura) und Haruka (Nagisa Sekimizu) heiraten. Der Film zeigt alles beginnend von ihrem Kennenlernen, der Entscheidung zur Heirat, ihren Vorbereitungen und der Zeremonie im erzählerischen Zeitraffer. Dabei werden auch all die Gedanken von Braut und Bräutigam und so ziemlich allen involvierten Personen eingestreut: Arbeitskollegen, die noch nicht wissen, was sie bei ihrer Rede sagen sollen. Familienmitglieder, die für den besonderen Tag einen ungewöhnlichen Show-Act einstudieren und Ex-Freunde, die die Party crashen wollen. Es ist ziemlich wild, was alles passiert, v.a. weil der Film dann am Ende richtig Fahrt aufnimmt. Bis dahin plätschert es über weite Strecken pointenlos vor sich hin.
Die anfänglichen, amüsanten Beziehungsrangeleien sind herzig inszeniert, aber als Gags dann vielleicht doch etwas lau. Es ist ja nicht nur Japan, wo Hochzeiten stark zelebriert werden und die Ansprüche hoch sind. Menschen eingeladen werden, die ich eher als „entfernte Bekannte“ bezeichnet und eher nicht eingeladen hätte. Aber der japanische Perfektionismus schlägt durch, was dann eben den letzten Akt des Films so spannend macht als es davor ist in einer großen Katastrophe zu münden, die v.A. Wedding Plannerin Maho (Ryoko Shinohara) auf Hochtouren bringt. Stellenweise scheint es aber Fisch noch Fleisch, weder Komödie, noch Satire zu sein, sondern etwas dazwischen. Leider kam nicht mir der Gedanke, sondern ist in dieser Review auf Letterboxd nachzulesen. Was der Film sehr gut versteht ist nämlich das japanische Gegenstück von „YOLO“ einzufangen. Viel Arbeit(smoral), wenig Urlaub, Feste sollen gefeiert werden – und der vielleicht schönste Tag im Leben eines Paares soll perfekt sein. Und wie hier am Ende alle an einem Strang ziehen, macht das tatsächlich nachvollziehbar und mitreißend. Das pure Ausmaß an wirkungsmächtigem Zufall ist am Ende dann doch ein guter Gag.
Wedding High, Japan, 2022, Akiko Ohku, 117 min, (7/10)
„Japan Horror Film Competition 2023“ & Fazit
Neben dem dieses Mal sowieso schon sehr groß ausfallendem Filmangebot, konnte man auch eine aus vier Kurzfilmen bestehende Horrorfilm Compilation sehen. Sehr zu meiner Freude war darunter auch Best Wishes to All. Der Kurzfilm aus dem Regisseur Yuta Shimotsu später einen Langfilm machen sollte, den ich wiederum nur wenige Wochen zuvor auf der Nippon Connection sah. Ich bin selber nicht so sehr überrascht, dass mir der Kurzfilm um Längen besser gefallen hat. Er konzentriert sich auf die schaurige Atmosphäre und Unwissenheit am Anfang. Dadurch ist er kurz, prägnant, schockierend und endet genau an der richtigen Stelle.
Gut gefallen hat mir auch der nur 8 Minuten lange Kurzfilm closet, auch wenn die Mittel an manchen Stellen schon arg low cost aussehen. Die Schocker funktionieren trotzdem. 😉Nicht warm geworden bin ich hingegen mit dem mörderischen Regenschirm in Karakasa, was nicht an der schrägen Prämisse, sondern den Charakteren im Film liegt. Für den vierten Film, The Invitation, lief mir leider die Zeit weg. Insgesamt hat mir das diesjährige JFF sehr gut gefallen. Es zentrierte eher aktuelle, im Schnitt 1-3 Jahre alte Filme und immerhin mit Kinoshitas Film und dem Jungle Emperor Leo zwei Klassikern. Dennoch war die Auswahl mit Köpfchen getroffen und sehr divers. Es gab einige Regisseurinnen in der Liste und ein breites Spektrum an Themen. Ich freue mich schon auf das nächste JFF und v.A. darauf zu sehen welche Filme im Angebot des scheinbar permanenten Streamingdienstes landen werden, das JFF wohl am 1. August unter dem Namen JFF Theater startet. Und dann nicht nur für zwei Wochen!?
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Habt ihr das diesjährige JFF verfolgt? Und wenn ja, was sind eure Lieblingsfilme? Meine waren dann unter dem Strich I am what I am und „Vierundzwanzig Augen“. Kinoshita im Speziellen widmet sich übrigens auch der Podcast von SchönerDenken und vielen anderen Film-Podcastern! Da werde ich sicherlich nochmal einige Episoden nachhören. Nun nach der „Nippon Connection“ und dem „JFF“ habe ich aber auch das Gefühl mal wieder ein paar Filme aus anderen Ländern schauen zu wollen. 😂
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