Filmbesprechung „Can’t Stop the Dancing“ & „Tremble All You Want“ (JFFPlus 2021)

Seit 2016 bewirbt das Japanese Film Festival (JFF) die ganze Bandbreite des japanischen Films. Zuerst in Südostasien und Australien, dann in immer weiteren Ländern wie beispielsweise auch Teilen Europas. Zwischen November 2020 und März 2021 fand nun die letzte Runde statt – dieses Mal als Online-Filmfestival, dessen Beiträge nach Anmeldung auf der Webseite von JFF zum kostenfreien Streamen zur Verfügung stand. Und weil ich den japanischen Film liebe, konnte ich nicht widerstehen und bespreche heute zwei Filme, die zumindest auf den ersten Blick wie eine „Office-Romance“ erscheinen, es dann aber glücklicherweise nicht sind. Die Besprechungen sind selbstverständlich spoilerfrei.

Can’t Stop the Dancing (auch: „Dance With Me“)

Shizuka Suzuki (Ayaka Miyoshi) ist eine relativ genervte und etwas verwöhnte Bürokraft, die mehr durch Zufall hypnotisiert wird und von da an singen und tanzen muss, sobald sie Musik hört. Das bringt sie in die eine oder andere Zwickmühle und peinliche Situation, wenn beispielsweise in einem Meeting ein Werbejingle abgespielt wird und sie kurz darauf Reißwolf-Konfetti-werfend über die Schreibtische im Büro tanzt und dabei singt. Sie begiebt sich auf einen Roadtrip, um den Hypnotiseur Martyn Ueda (Akira Takarada) zu finden und zu bitten den Effekt rückgängig zu machen.  Die Suche führt sie einmal quer durch Japan, wo sie unfreiwilligen Musicaleinlagen schwer aus dem Weg gehen kann.


„Can’t Stop the Dancing Trailer“, via SDAFF Trailers (Youtube)

Klingt in Summe ein bisschen nach Zoey’s Extraordinary Playlist, was ich aber nicht bewerten kann, weil nicht gesehen habe. Shizukas Drama und Verbindung zu Musicals wurzelt natürlich in einem Kindheitstrauma. Damals wollte sie unbedingt Musicaldarstellerin werden bis es ein, naja, sagen wir mal kleines Unglück auf der Bühne gab. An Shizukas grantiger Art merkt man, dass der Knackpunkt des Films ihre Selbstfindung ist und nicht wie die meisten Zusammenfassungen im Internet weismachen wollen eine RomCom, nur weil sie irgendwann kurz ihren Chef datet. Was wir hier geliefert bekommen ist ein klassisches, schönes, aber nicht allzu tiefgründiges Feelgood-Movie, das als schöne Hommage an Musikfilme dient und einfach schön absurde, bunte Momente hat. Beispielsweise als der Privatdetektiv, den Shizuka auf Martyn ansetzt, entdeckt, dass sie nicht weggehen kann, solange er singt. Ganz witzig ist auch, dass der Vorname unserer Protagonistin „still“ bedeutet. Shinobu Yaguchi ist auch der Regisseur einer meiner japanischen Alltime Film-Favourites Swing Girls um eine japanische Schul-Big-Band. Auch „Can’t Stop the Dancing“ verströmt diesen Charakter. Bei all den Feelgood-Vibes frage ich mich doch aber recht stark … warum ist der Film nur so lähmend lang?

Can’t Stop the Dancing (OT: ダンスウィズミー „Dance With Me“), Japan, 2019, Shinobu Yaguchi, 103 min, (7/10)

Sternchen-7

Tremble All You Want

Mittzwanzigerin Yoshika (Mayu Matsuoka) ist Buchhalterin, introvertiert, aber clever und lustig und hatte noch nie einen Freund. Seit ihrer Schulzeit träumt sie von einer Beziehung zu einem Mitschüler, den sie nur Ichi („Nummer Eins“, gespielt von Takumi Kitamura) nennt. Obwohl Ichi und sie nur eine Handvoll Unterhaltungen hatten, kann sie den Gedanken nicht abschütteln mit ihm zusammen zu sein und denkt nur an ihn. Als ein potentieller „Nummer Zwei“, ihr Arbeitskollege Kirishima (Daichi Watanabe), mit ihr flirtet, beschließt sie sich Klarheit zu verschaffen und Ichi zu suchen.


„Tremble All You Want (Katte ni furuetero) Trailer #1 (2020) | Movieclips Indie“, via Movieclips Indie (Youtube)

Und das ist Tragikömodie vom Feinsten. Yoshika ist personifizierte Emotion. Wenn sie gut drauf ist, scheint sie durch die Straßen zu tanzen und zu plappern, wenn sie schlecht drauf ist, dann transportiert sich ihr „FUCK“ herrlich spröde und barsch. Akiko Ōku lässt Hauptdarstellerin Mayu Matsuoka in allen Facetten die Emotionen transportieren ohne ihnen Namen geben zu müssen und Yoshika als herrlich schräg und wunderbar zu charakterisieren. Ihre Nächte schlägt sie sich schon mal auf Wikipedia um die Ohren um Fakten über ausgestorbene Tiere zu lesen. Im Grunde erzählt uns Yoshika aber bereits im ersten Satz des Film, dass sie eine unzuverlässige Erzählerin ist. Dort sagt sie, dass sie sich in ihrem Kopf alle möglichen Dinge ausdenkt, aber weil sie sich als Schwächling betrachtet, die alle niemals im echten Leben aussprechen oder tun würde. Trotzdem kreiert der Film in Summe ein wunderbares Bild einer jungen Frau, der wir sehr gern glauben wollen und für sie auf dem Weg zu ihrem „Nummer Eins“ die Daumen drücken. Vielleicht aber auch ein bisschen für „Nummer Zwei“. Was mir mehr zu denken gibt, ist ob es nicht zu gewollt und missgerichtet ist Yoshika als unonventionell darstellen zu wollen. Was ist konventionell außer eine Schublade, in die man eigentlich eher nicht will. Sie ist gut so wie sie ist. Vielleicht ist das aber auch die Erkenntnis, die der Film wecken soll.

Tremble All You Want (OT: 勝手にふるえてろ „Katte ni furuetero“), Japan, 2017, Akiko Ōku, 117 min, (8/10)

Sternchen-8

Header image uses a photo by Carolina Garcia Tavizon on Unsplash

Akiko Ōku ist mit My Sweet Grappa Remedies und „Tremble All You Want“ sofort auf den Olymp meiner Lieblings-Regisseurinnen aufgestiegen. Ihre Filme handeln oftmals von Menschen, die liebenswert, „unkonventionell“ und introvertiert sind. Sie legt das Psychogramm und lebhafte Kopfkino von Individuen frei, das einen eigentlich recht „normalen“ Alltag zu einer Fontäne aus Emotionen, Eindrücken, Enttäuschungen und Ideen macht und dadurch so begreiflich macht wie stark uns unsere Beziehungen und Alltagseindrücke bewegen. Durch das lebendige Kopfkino der Protagonistinnen entsteht nie der Eindruck, man schaue „nur“ einen Slice-of-Life-Film und erweckt stattdessen soviel Empathie für die spezifische Lage der Heldinnen. Hach. Zu meinem Glück würde ja jetzt sehr beitragen, wenn die Filme in Deutschland erscheinen würden… .

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