Seufz. Wieviele Filme habe ich durch krank sein und später Umzugskartons packen verpasst? Die letzten Wochen waren etwas stressig. Viele Indie-Filme, die ich unbedingt sehen wollte, sind mir durch die Lappen gegangen. Kennt ihr das, wenn man nach einer Weile mal wieder ins Kino geht? Wenn man schon danach lächzte? „A Quiet Place“ ist zwar keiner der wunderbaren Indie-Filme, die ich mir geben wollte, aber wenigstens ist mir der Horror-Thriller nicht durch die Lappen gegangen, der hat nämlich ein interessantes Konzept. Er spielt mit Stille. Review ist spoilerfrei.
Der Film macht in seinen ersten Minuten mit sich langsam aufbauender Spannung klar, in welcher Lage sich die Familie befindet, die wir hier beobachten. Die Stadt ist verwüstet, der Supermarkt und die Apotheke geplündert. Es liegen Zeitungen rum, die berichten: „It’s sound!“ Ja, irgendwas ist mit Geräuschen. Die Familie läuft barfuß und auf Zehenspitzen. Was passiert, wenn sie unvorsichtig werden? Der Familienvater (John Krasinski), seine Frau (Emily Blunt) und deren drei Kinder suchen Medizin für den älteren Sohn (Noah Jupe). Der jüngste Sohn (Cade Woodward) findet ein batteriebetriebenes Spielzeug. Die Eltern verbieten ihm es mitzunehmen, weil es zu laut sein würde. Seine ältere Schwester (Millicent Simmonds), ermutigt ihn es trotzdem einzustecken, denkt aber, dass er die Batterien liegen lassen würde. Weniger später sind sie auf dem Rückweg zu ihrer Zuflucht, als plötzliche das laute Plärren des Spielzeugs durch die Stille hallt und es alle trifft als wäre eine Bombe eingeschlagen. Nur wenige Sekunden später ist das Kind tot. Er wurde von der Bedrohung erwischt, die alle fürchteten und die scheinbar die Zivilisation dahingerafft hat.
Es sind Monster. A Quiet Place ist ein klassischer, reduzierter Horrorthriller, dessen große Gegenspieler Monster sind, die auf Geräusche reagieren. Im Film sind wir ein Teil des aktuellen Geschehens, es gibt keine erklärenden Rückblicke oder Stimmen aus dem Off. Wir sind Teil der Stille und ziehen unsere Informationen aus den Hinweisen aus dem Screen. Das bedeutet aus dem was der Vater an bekannten Informationen auf einem Whiteboard zusammengetragen hat, aus den Zeitungsartikeln, die er gesammelt hat. Oldschool aber effektiv. Es fordert den Zuschauer zumindest mehr als ein bedeutungsschwanger gesprochenes Intro. Und die Stille macht den Film fast zu einem internationalen und universellen, denn es wird kaum gesprochen. Die meiste Zeit kommuniziert die Familie in Gebärdensprache, nicht nur wegen der Bedrohung, sondern auch weil die Tochter taub ist. Für sie scheint die Bedrohung aber umso krasser zu sein. Es ist nicht klar, ob sie seit Geburt an taub ist oder erst später taub wurde. Zumindest ist es für sie unendlich schwerer zu erkennen, zu erahnen, zu wissen wie „laut“ oder „leise“ sie ist. Ihr Vater arbeitet immer wieder an einem Chochlea-Implantat – bisher ohne Erfolg.
„A Quiet Place (2018) – Official Trailer – Paramount Pictures“, via Paramount Pictures (Youtube)
Und Stille ist ernstzunehmen in dem Film. Die Familie muss sich selbst vor knarzenden Bodendielen in Acht nehmen und hat ihr Leben als Selbstversorger darauf angepasst. Die Stellen auf dem Boden, die sicher sind, sind bspw. markiert. Laute Geräusche sind tödlich. Musik und Filmscore wird spärlich eingesetzt und das ist gut so. Das Augenmerk liegt auf dem Sound Design und man beginnt als von dröhnendem Film-Score „verwöhnter“ Zuschauer erstmal wieder aktiv hinzuhören. Die jump scares sind erstklassig vom Timing – das Label Horror-Thriller hat sich der Film verdient, denn er zieht ordentlich die Spannungsschrauben an. Was aber die Plausibilität und Handlung betrifft, hinkt der Film an der einen oder anderen Stelle. Warum kein Bunker? Warum nicht unter die Erde flüchten? Weil die Auswege überschaubar sind? Warum die Wohnung nicht „sound-proof“ machen? Warum morsen? Gibt es kein Internet? Warum informationslos leben und Feuersignale geben? Touch screens wurden bestimmt nicht alle von Monstern zerstört. Aber eins muss man dem Film lassen: er bringt zum nachdenken. Was würde ich tun? Auch was das große moralische Dilemma des Films betrifft. Einerseits die Schuldgefühle seine Familie nicht beschützen zu können, das alle Familienmitglieder begleitet. Andererseits ist die Mutter erneut schwanger. Wie kümmert man sich in einer auf Stille angewiesene Welt um ein Baby, das nun mal schreit, wenn ihm etwas fehlt oder weh tut? Ist es eine Welt, in der man nun keine Kinder mehr haben kann oder sind sie dazu verdammt so zu aufwachsen wie die Familie es sich überlegt hat? Andererseits: wenn sich alle dafür fürchten Nachwuchs zu bekommen, dann war es das mit der Menschheit?
A Quiet Place ist ein erfrischend anders angelegter Horror-Thriller. Zuschauer, die willig sind, von Filmen gefordert zu werden und nach dem Film zu diskutieren, wird er gut abholen. Wer sich an der nicht sehr antwortenreichen Prämisse des Films stößt, hat weniger Freude. Auch gegen Ende verfällt er in allzu koventionelle Handlungsabläufe, die weniger überraschen als die frischen Ideen mit denen man anfangs konfrontiert wird. In jedem Fall aber ist es ein Film, der Gebärdensprache auf den Bildschirm holt, aufmerksam macht, den Zuschauer wieder zu einem Zuhörer befördert und vor Allem: ein gehörloses Mädchen zur Heldin macht. Wohl eins der besten Pro-Argumente.
A Quiet Place, USA, 2018, John Krasinski, 90 min, (7/10)
Eins muss ich noch sagen, bevor ich euch zu Wort kommen lasse: der Trailer zu „A Quiet Place“ war mal richtig gut und demonstriert wie das mit den Trailern geht. Nicht die halbe Story vorweg nehmen, keine falschen Voraussetzungen vorgaukeln, neugierig machen. Hat der Trailer euch auch ins Kino gezogen? Wie hat euch der Film gefallen? Was hat euch rein logisch an der Handlung gestört oder empfandet ihr es als perfekt und gut überlegt? Das möchte ich dem Film auch im Großen und Ganzen nicht streitig machen, aber meine Restzweifel bleiben, dass das Leben in einer stillen Welt auch anders ginge.
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