Serien-Besprechung: „Killing Eve“ Season 1

Vielleicht ist „Killing Eve“ die Serie für die #MeToo-Ära. Handelt sie doch von einer Killerin, die anfangs für einen Killer gehalten wird. Und reichlich Männer in Anzügen finden es doch absolut unglaubwürdig, dass er eine sie sein könnte. Die Unterschätzung ist doppelter Natur: denn auch in den eigenen Reihen traut man es einer MI5-Agentin nicht zu, eben diese Killerin aufzuspüren. Falsch gedacht. Schlimmer noch: beide ziehen sich wie Magnete an. Da hätte man(n) doch besser zugehört. Besprechung ist spoilerfrei.

Bisher kam MI5-Agentin Eve Polastri (Sandra Oh) in ihrem Bürojob vor Langeweile fast um. Als sie im Zuge einer eigentlich rein bürokratischen Angelegenheit mit dem Fall eines Profikillers konfrontiert wird, der sich scheinbar durch ganz Europa schnetzelt, erregt das Eves Aufmerksamkeit. Sie hat so eine Ahnung, sie erstellt ein Profil – denn eigentlich ist sie Profilerin. Der Killer ist eine „sie“. Ihre Vorgesetzten glauben ihr nicht. Bis auf eine. Carolyn Marten (Fiona Shaw) engagiert Eve für eine Task Force zur Ergreifung eben jener Täterin. Schnell vermuten sie eine ganze Organisation („The Twelve“) hinter den Morden und die Killerin nur als ein ausführendes Organ. Wenn auch ein sehr effektives. Und die hat einen Namen: Villanelle (Jodie Comer). Und ihr ist nicht entgangen, dass ihr jemand auf den Fersen ist. Sie fühlt sich sogar ein bisschen geschmeichelt.

„KILLING EVE Official Trailer (HD) Sandra Oh, Jodie Comer Thriller BBC Series“, via JoBlo TV Show Trailers (Youtube)

 

Man kann viel an Killing Eve hervorheben, das irgendwie heraussticht. Da wären einerseits die ausschließlich weiblichen Protagonisten. Wie oft hat man das? Aktuelle Serien, die das schaffen, kann man leider immer noch an zwei Händen abzählen. Oder der teilweise recht derbe Humor? Das Stichwort #MeToo ist ja auch schon in der Einleitung gefallen. Dann gibt es in jeder Staffel auch noch wechselnde, weibliche Showrunner – ein Traum, der einen fast glauben lässt, dass wir bald keine feministische Debatte mehr nötig haben. Davon mal abgesehen ist es sehr leicht Eve und Villanelle aufgrund ihrer Anziehung zu shippen. 🙂 Man kann nahezu alles an Beziehungsebenen reininterpretieren was man möchte. Subtil oder weniger subtil. Schließlich hat Villanelle mindestens zwei sehr reale Liebesbeziehungen zu Frauen. Aber Achtung – es gibt noch einen Umstand, durch den die Serie auffällt, der aber weniger auf der Hand liegt. Im Grunde ist sie voller Tropen. Wir haben das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Killerin und Agentin in einer Fa­çon, die eigentlich nicht so neu ist. Sei der Hannibal Lecter bei meinem Dinner, liebe Villanelle. Die Beziehung der beiden ist durch eine fast greifbare sexuelle und persönliche Anziehung geprägt. Kennt man eigentlich auch. Aber immer wieder gut. Dazu kommen die ganzen Killer- und Agenten-Muster, die man dank reichlich Actionern kennt. Villanelle kann kann auch im Kleid töten, kämpfen und entkommen. Sie scheint unkaputtbar zu sein und höchst effizient. Du hast sie nicht kommen sehen und schon hast du ihre Nadel in der Kehle. Alles irgendwie zu einfach? Kann ich nicht noch einer weiteren Serie verzeihen. Könnte man denken. Aber die Serie bricht so gut mit unseren Erwartungen und den selber inszenierten Tropen.

Einer der größten Trümpfe ist die Menschlichkeit der Hauptcharaktere, die sie zweifelhafte und sprunghafte Entscheidungen treffen lässt. Auch die großartige Villanelle ist davon nicht befreit. Ihr Verhalten ist impulsiv. Sie geht Risiken ein und ist eindeutig viel zu auffällig. Weil sie es kann. Große Fähigkeiten und ein hartes Leben gehen schließlich nicht selten mit Charakteristiken von Psychopathen einher. Man findet sie angeblich überall – in Spitzenpositionen, Managementetagen und ach du Schreck in der Politik. So riskiert auch Villanelle nicht selten ihren Kopf oder tanzt aus der Reihe, weil ihr schlichtweg danach ist. In der ersten Staffel erfahren wir schon einiges über ihre Person und dass ihre Widerstandsfähigkeit und ihr Mut nicht von ungefähr kommt. Es wird angedeutet, dass sie einiges durchgemacht hat. Mal ehrlich: hatten wir denn erwartet, dass jemand der bereit ist Menschen gegen Bezahlung zu töten, nicht ein bisschen kaputt ist? Ich wäre besorgter, wenn sie nicht ein bisschen eine Schraube locker hätte. Normal is boring. Und dann kam Eve. Sie bricht mit dem bekannten Muster des Agenten, der den bösen Killer jagt, weil sie mehr der Jogginghosentyp ist. Durch jahrelanges Exceltabellen füllen hinter dem PC ist sie den Außeneinsatz nicht gewöhnt. Entsprechend gelingt nicht immer alles. Die Bequemlichkeit ihres bisherigen Lebens war für sie ok. Aber … normal is boring. Die Anziehung, die Villanelle und ihr Glam-Killer-Lebensstil auf sie ausübt, lässt sie wortwörtlich ihr altes Leben über den Haufen werfen. Es ist ein Ruf, den man nicht überhören kann. Auch Villanelle wird vielleicht das erste Mal verstanden. Von einer Profilerin. „Dem Feind“. Soviel ist klar. Aber die Anziehung und Gefahr treibt zwei Gewalten zusammen, die unvereinbar schienen. Kann aber eine Killerin ganz aus ihrer Haut? Und eine Bundesagentin?

Killing Eve ist das bessere Guilty Pleasure. Es vereint alles, was an Agenten-Stoffen anziehend ist: Glam, Spannung, eine Reise um die Welt, Katz-und-Maus-Spiel und Spurensuche. Aber macht es besser. Wer erwartet, dass sich Eve und Villanelle erst in der letzten Folge begegnen, der wird enttäuscht. Denn Villanelle steht viel früher in Eves Wohnung als wir es uns wünschen könnten. Die Serie konfrontiert uns mit zwei Charakteren, die herrlich menschlich sind und die selber schwer greifen können, was sie eigentlich wollen. Ihnen bietet sich eine Gelegenheit, die sie beim Schopf packen ohne über die Folgen nachzudenken. Und das macht Killing Eve zu einer herrlichen wilden Serie. Sie ist spannend, witzig und die Charaktere tun sehr oft alles andere als das, was wir von ihnen erwartet hätten. Vielleicht liegt auch gerade darin der gedankliche Punktabzug, denn im Finale deutet sich schon an, dass man nicht weiß, was man sich für die Serie und die Hauptcharaktere wünschen soll. Ein Happy-End in dem Eve und Villanelle gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten, kann es schließlich nicht geben. Oder? Sie badet zeitweise etwas zu stark im Guilty Pleasure und lässt die Plausibilität gegen Ende außen vor. Großartig ist sie trotzdem. Leider ist die Serie in Deutschland noch relativ unbeachtet. Liegt es vielleicht wie im Fall der Scifi-Spionage-Serie Counterpart am restriktiven Vertriebsmodell der Amazon Channels? Sollte man mal drüber nachdenken. Nicht ganz unerwähnt lassen möchte ich den Soundtrack der Serie, der viele weibliche Stimmen vereint, die ganz wunderbar zu den weiblichen Hauptrollen und weiblichen Showrunnern passen. Umso mehr wünscht man sich, dass das Publikum nicht rein weiblich bleibt.

(9/10)

Sternchen-9

„Pshycotic beats, Pati Amor – Killer Shangri-lah (Audio from Killing Eve Soundtrack)“, via PSHYCOTIC BEATS (Youtube)

Warum habe ich so lange mit der Besprechung der Serie gewartet? Man weiß es nicht. Ich weiß es nicht! Schließlich habe ich einst extra den Starz-Channel auf Amazon Video abonniert, obwohl ich das Konzept der Channels eigentlich nicht besonders toll finde. Plötzlich bezahlt man wieder für einzelne Fernsehkanäle. Huh. Ich dachte wir haben Streaming, damit wir das nicht mehr machen müssen? Vielleicht lag es daran, dass ich lange schwer in Worte fassen konnte, was mich an der ersten Staffel gestört hat und warum ich neun statt zehn von zehn Sternchen hier reinmale. Inzwischen ist das Bild klarer geworden. Und ich darf endlich die zweite Staffel schauen. Yesss. Habt ihr die Serie schon gesehen? Wie war euer Eindruck?

2 Antworten

  1. […] Killing Eve Season 1 Sandra Oh und Jodie Comer sind großartig! Schockt, ist witzig, hat alles […]

  2. […] plus Kommentar zum Finale. Falls ihr die Serie nicht kennt, schaut gern mal in die Besprechung zur ersten Staffel. Diese Review ist außerdem ein Teil einer Reihe von Beiträgen anlässlich des Pride Monats Juni […]

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