David Robert Mitchell ist ein Zauberer oder sowas. Mit It Follows hat er dem Horrorgenre einen Subtext gegeben, der aus dem Leben gegriffen ist und gerade deswegen sehr sehr unheimlich. In Under the Silver Lake widmet er sich Film Noir und inszeniert eine Art Abgesang auf das Hollywood der alten Ära durch das Hollywood und den halbseidenen Star-Rummel der neun Ära. Jeder will Fame, jeder ist verwöhnt vom Gedanken an ein sorgloses Leben in Saus, Braus und Pools aus Champagner. So wie im Film eben. Darauf wartet auch noch der Protagonist Sam (Andrew Garfield). Seine Miete und die Raten für seinen Wagen zahlt er schon lange nicht mehr und steht kurz vor der Zwangsräumung. Eine Arbeit hat er nicht. Und sucht sich auch keine. Irgendwie wird sich schon alles von selbst lösen. Stattdessen beobachtet er tagaus, tagein seine Nachbarin Sarah (Riley Keough). Als in der Stadt eine lebendig gewordene urban legend, der Dog Killer, umgeht und sich in Sams Umfeld seltsame Zeichen verdichten, verschwindet Sarah plötzlich. Und Sam will sie unbedingt wiederfinden.
„Under the Silver Lake | Official Trailer HD | A24“, via (Youtube)
Under the Silver Lake strotzt nur so vor Anspielungen, Rätseln, Popkulturreferenzen und Foreshadowing. Man weiß förmlich kaum wo man zuerst hinschauen soll vor lauter Hinweisen und versteckter Komik. Nicht zuletzt, weil sich verschiedene Handlungsfäden häufen. Da ist einerseits Sam, der nach Sarah sucht. Ein Milliardär, der verschwunden ist. Ein seltsamer Comiczeichner und und noch seltsamerer Comic, der scheinbar von Legenden aus L.A. erzählt. Und wer ist eigentlich der Typ im Piratenkostüm? Hängt alles zusammen? Sam ist da irgendwie mittendrin und stolpert von einer Katastrophe in die nächste. Verbunden mit der einen oder anderen absolut lächerlichen Szene, furchterregenden Träumen oder surrealen Erlebnissen.
Und der body count erhöht sich in Sams Umfeld. Zwischen all den Glücksrittern L.A.s und den Hollywood Hills im Hintergrund, vermutet Sam stets ein großes Geheimnis oder eine Verschwörung um Sarahs Verschwinden – und entdeckt bald schon mehr und mehr Hinweise in seinem Umfeld. Für den Zuschauer eine gekonnte Schnitzeljagd. Durch den großartigen Soundtrack von Disasterpeace (die schon für It Follows mit Mitchell zusammenarbeiteten), wird trotz dieses wilden Mixes dafür gesorgt, dass sich Under the Silver Lake wie ein (Neo) Film Noir anfühlt. Das mysteriöse Pfeifen, die tiefen Klänge der Blasinstrumente, das hat die Atmosphäre vom guten alten noir.
„Unknowable Things“, via Disasterpeace – Thema (Youtube)
Wann hat Noir zuletzt mit Popkultur, Parodie, Komik und Absurdität funktioniert? Die Elemente gehen hier wunderbar Hand in Hand. Der Genremix ist wild, der Humor herrlich unterschwellig. Ein Beispiel: Sam besucht den Comiczeichner, dessen Reihe Under the Silver Lake von urbanen Mythen erzählt. Er erhofft sich, dass der vielleicht weiß, was hinter Sarahs Verschwinden steckt. Im Haus des paranoiden und zurückgezogenen Künstlers hängen zig Masken von berühmten Leuten. Während der Comiczeichner darüber schwadroniert, dass sie alle so bedeutungsvolle, wunderbare Persönlichkeiten wären, schwenkt die Kamera auf einen Ausschnitt mit der Maske Abraham Lincolns. Daneben: die von Kim Kardashian. Und wenn dann eine Map aus einem alten Zelda-Spiel zur ultimativen Lösung des Rätsels beiträgt, ist klar, dass der Film ziemlich irre ist und mit kleinen, versteckten Seitenhieben glänzt.
Under the Silver Lake muss ein bisschen interpretiert werden – man schmeißt uns die versteckte Botschaft nicht gerade hinterher. Sie ist aber auch nicht zu subtil. Der Film ist eine Parodie auf die Traumfabrik und prangert an, dass sich die Industrie mit Remakes immer wieder bei der goldenen Ära bedient, ja sogar Tote wiederbelebt und dabei absolut kein Interesse am Individuum hat. Weder die Künstler, noch die Konsumenten. In einer Szene stehen wortwörtlich Leute auf Hitchcocks Grab und feiern. Diese scheinheilige Traumfabrik lässt desillusionierte Gestalten wie unseren Protagonisten Sam zurück, die schon irgendwie durch’s Leben kommen und an die große twistreiche Wende vom Tellerwäscher zum Millionär glauben und dabei noch das Mädchen abkriegen. Aber mit der Betonung auf irgendwie. Wenn man dann bei der großen Auflösung landet, wird einem als Zuschauer umso mehr bewusst wie wichtig es ist, dass sich Under the Silver Lake in keine bekannten Schablonen anderer Filme pressen lässt. Chapeau.
Under the Silver Lake, USA, 2018, David Robert Mitchell, 139 min
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
Schreibe einen Kommentar