Als ich letztes Jahr die „KI & Wir“ (1. Convention zu Künstlicher Intelligenz und Gender in Magdeburg) besuchte, verpasste ich leider das Panel mit Sophie Wennerscheid und beschloss stattdessen ihr Buch „Sex Machina“ zu lesen, das als Schnittstelle zwischen Geschlecht, Beziehung, Sexualität und Technik fragt „Wie sieht die Zukunft der Lust aus?“ Der Themenmix ist zumindest in meinem Sachbuch-Regal ziemlich einzigartig und hat (vielleicht gerade deswegen) den Bann zwischen mir und den Sachbüchern gebrochen. Ich lese nämlich zu wenige davon. Aber das hier mit Spannung.
Es muss nicht mal so futuristisch wie Vorstellungen von Cybersex sein: das digitale Zeitalter ist Realität und kein piefiger Begriff mehr, der irgendetwas zukünftiges meint. Online-Dating funktioniert inzwischen reduziert auf ein Bild, wenig Text und rechts oder links wischen. Wie wirkt sich das Digitale auf unsere Beziehungen aus? Oder wie es der Beititel von Sophie Wennerscheids Buch adressiert, der „Zukunft des Begehrens“?
Sophie Wennerscheid ist derzeit Professorin für Dänische Literatur an der Universität Kopenhagen[1] und betrachtet in ihrem bei Matthes & Seitz veröffentlichten Buch mehrere Dimensionen von Beziehung und Selbst, aber auch von technischer Abstraktion. Es handelt sowohl von emotionaler Beziehung, sexuellem Begehren, Reproduktion als auch Identität. Dabei wird ein Spektrum von historischen Ankerpunkten wie der sexuellen Revolution der 1960er Jahre, der Rolle der Frau darin und von Viagra bis zum Posthumanismus abgelaufen, verschiedene Technologien und zahlreiche Science-Fiction-Vision aufgegriffen. Vom Cybersex, dem Sex mit der Maschine oder auch dem Sex zwischen Maschinen. Der Ton den Sophie Wennerscheid dabei anschlägt ist angenehm herausfordernd, kritisch und lässig. So sind Kapitel mit Titeln wie „Warum Sex mit einem Roboter, der immer kann, langweilig ist“ nicht selten. 🙂
„Fürsprecher*innen technikgestützter Sexualität argumentieren, dass technisch vermittelte Beziehungen sexuell erregender und vor allem weniger kompliziert sind als Face-to-Face-Beziehungen. Online-Dating, Virtual-Reality-Sex, […] bieten die Möglichkeiten sexueller Lust, ohne sich auf die komplexe Gesamtheit eines körperlich präsenten und in all seiner Körperlichkeit oft unzulänglichen Menschen einlassen zu müssen. Wenn die Person, mit der ich im Netz sexuellen Kontakt habe, mir unangenehm wird, klicke ich sie weg.“ p.18
Zwar bin ich sowohl Science-Fiction bewandert, als auch in Technik-Belangen durch meinen Job als Softwareentwicklerin nicht unbefleckt und auch schon eine Weile ein Frau, doch habe ich in Sex Machina noch einiges an Denkanstößen mitgenommen und dazugelernt. In dem Buch arbeitet sich Sophie Wennerscheid von zwischenmenschlicher Beziehung zum Posthumanismus vor und ich muss leider gestehen, dass ich in dem Zusammenhang das erste Mal von Techno-Feminismus gehört habe, der sich mit der genderpolitischen Bedeutung von Technologie auseinandersetzt. Was der Zusammenhang ist, macht das Buch klar ohne übermäßig definieren zu müssen. So handelt ein Themenkomplex von Cybersex, der im Grunde immer noch ein Mythos ist wie dieses angebliche Cyberspace, das doch immer noch besser als Fiktion funktioniert. Obwohl Virtuelle Realität immer noch an technischen Hürden krankt und knabbert und noch eine Weile kein Produkt für den Massenmarkt sein wird (jaja ich weiß PlayStation VR meine ich aber nicht), war die sexuelle Belästigung (wie so oft) schneller wie hier am Beispiel von LambdaMOO nachzulesen ist. Siehe hierzu auch A Rape in Cyberspace in der Wikipedia.
Neben dem virtuellen Erlebnis von Begehren und Sexualität ist im Buch die nächste Steigerung ein physisches Surrogat: Sexpuppe bis Sexroboter. Klar mag der Grund unterschiedlich sein aus dem Menschen diese in Erwägung ziehen. Aber die Bewerbung dieser, erscheint mit naiver und beschämender Wortwahl und suggeriert, dass sie echte Menschen ersetzen sollen weil sie die kleinen Schwierigkeiten aber auch Freuden des zwischenmenschlichen Miteinanders auslassen (Zitat p. 94) und dabei nicht schlechter als ein warmer Körper mit Gefühlen sind. Das „Meh“-Gefühl adressiert Sophie Wennerscheid vielfarbig.
Das Beispiel erinnert mich stark an den Film #Zeitgeist (im Original Men, Women & Children), in dem ein Junge im Teenageralter so durch Pornografie verblendete Vorstellungen von Sex und Beziehung hat, dass er beim echten Geschlechtsverkehr nicht zum Höhepunkt kommt, weil das doch alles so anders ist als die Fiktion. Ähnlich verstrahlt wirkt da doch das hier zu Youtube verlinkte Video zum Sexroboter Roxxxy. Darin stellt sich Roxxxy vor, wirkt aber doch gemäß des Uncanny Valley v.A. eher ziemlich gruselig. Die Versuche Sexualität zu automatisieren und immer-willige Partner*innen zu schaffen ist wie das Buch demonstriert schon lange eine Fiktion, die Umsetzung aber schwer und krankt zu oft durch althergebrachte Tropen und engstirnige Geschlechter- und Moralvorstellungen bis hin zum abstrusen – vielleicht sogar schädlichen? Führt man sich das alles vor Augen ist es alles andere als abwegig und eine Botschaft, für die ich sehr dankbar bin, wenn Sophie Wennerscheid davor warnt, dass sexuelles Begehren automatisiert wird. Denn das rein physische wird anhand von Viagra wie auch Sexrobotern bereits versucht zu automatisieren. Vielleicht ist das, was sich in unseren Köpfen abspielt dankbarerweise immer noch ein köstliches Geheimnis.
Andere spannende Konzepte, die ich durch das Buch kennengelernt habe sind das Gedankenexperiment des chinesischen Zimmers und was ich definitiv nochmal nachschlagen werde ist Rosalind Picards zur computergestützten Gefühlserkennung (Affective Computing). Die Lehren, aber auch Science-Fiction, die Sophie Wennerscheid erwähnt reichen von Immanuel Kant und einigen weiteren Stimmen aus Philosophie, Geschichte und Wissenschaft bis hin zu Houellebecqs Elementarteilchen, William Gibsons Neuromancer, diversen Werken Margaret Atwoods, Fritz Langs Metropolis und E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann, Orphan Black, Black Mirror und vielen anderen. Dabei findet die Autorin auch immer wieder zur ihrer eigenen Stimme und Wertung zurück, wie die Zukunft des Begehrens aussehen kann und bitte nicht aussehen sollte. Und das mit pointierten Worten, die mich manchmal schmunzeln ließen, manchmal aufrüttelten.
„So stark dieses Bild auf der einen Seite anmutet, bleibt auf der anderen Seite fraglich, ob die Figuren damit nicht doch wieder auf eine Weiblichkeitsvorstellung festgeschrieben werden; eine Vorstellung, die bereits seit Jahrhunderten, ja wenn wir bis in die griechische Mythologie zurückgehen, bereits seit Jahrtausenden besteht: die Vorstellung von der Frau als destruktivem, triebhaft-gewaltsam begehrendem, männermordenden Wesen.“ p.175 über die Verklärung weiblichen Begehrens und das Trope des weiblichen Cyborgs, die für ihren Menschlichkeitsstatus kämpft und dabei bereit ist alles zu tun, bspw. in Westworld, Ex Machina, etc.
Für „wen“ ist das Buch jetzt bei all den verschiedenen Eindrücken? Ich würde sagen für alle technikaffinen oder diejenigen, die sich im digitalen Rumtreiben und ein großes Interesse an gesellschaftlichem Wandel, Technikmissbrauch und/oder Feminismus haben. Besonders begeistert hat mich der Brückenschlag zwischen Quellen aus Wissenschaft und Science-Fiction-Popkultur (egal ob Buch, Serie oder Film). Auffällig, sehr positiv und leider selten ist außerdem, dass Sophie Wennerscheid die geschlechtergerechte Sprache von Anfang bis zum Ende anwendet.
„Björk – All is Full of Love (HD 720P)“, via electricsire (Youtube)
Quellen:
[1] Webseite der Autorin, zuletzt abgerufen am 13.09.20
Besprochene Ausgabe: ISBN 9783957577061, Matthes & Seitz Berlin
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