Typischer Fall von „Eigentlich wollte ich ja zuerst den Manga lesen.“ Der ist von Q Hayashida und begegnete mir das erste Mal auf Tanuki Republic. Offenbar kam mir (wie so oft) Netflix zuvor und adaptierte die von 2000 bis 2018 veröffentlichte Reihe als Anime – und ich fackelte nicht lang. Jetzt kann ich sagen: „Dorohedoro“ ist vielleicht der beste Anime, den ich dieses Jahr gesehen habe. Review ist spoilerfrei.
Die Welt in Dorohedoro ist geteilt in eine Dimension, in der Menschen in einem Slum-ähnlichen, verrotteten Ort namens The Hole hausen und in die Welt der Zauberer. Die Zauberer können magische Türen beschwören, mit deren Hilfe sie in das Hole reisen und dort ihre Fähigkeiten an Menschen austesten. So kommt es nicht selten zu grausigen Mutationen oder sogar Toden. Für die Zauberer moralisch kein Problem: sie halten Menschen flächendeckend für Abschaum. Die Menschen im Hole sind Gefangene, die schon längst mit ihrer Situation und der Hierarchie abgeschlossen haben. Im Hole lebt auch Caiman. Der Name ist Programm: er ist offenbar ein Mensch, der einem Zauberer zu verdanken hat, dass er einen Echsenkopf hat. Er hat außerdem alle Erinnerung verloren, weiß weder wie er eigentlich heißt, noch wo er herkommt. Aber er will den Zauberer finden, der ihm das angetan hat. Ihm hilft Nikaido, die zwar hauptberuflich ein Restaurant (das Hungry Bug 🙂 ) betreibt, aber ebenso kräftig zuschlagen kann. Und wenn sie nicht gerade Zauberer jagen, dann passieren andere skurrile Dinge im Hole.
„Dorohedoro (2020) – Official Trailer“, via GameSpot Universe Trailers (Youtube) – leider habe ich keinen Trailer mit deutschen oder englischen Untertiteln gefunden
Das ist natürlich noch längst nicht alles. Das volle Ausmaß an Absurdität aber auch Gore wird u.a. sehr gut an Caimains Methode deutlich um den Zauberer zu finden, der ihn verhext hat. Er steckt nämlich dessen Kopf in sein Maul. Dort erscheint dann das Antlitz eines unbekannten Mannes (ja richtig – in Caimans Maul), schaut sich den überwältigten an und urteilt, ob er es ist oder nicht. Vieles der Skurrilitäten muss man einfach akzeptieren und wenn es einem zum Ende der ersten Episode nicht zu schräg war, dann klappt’s auch mit dem Rest der Serie. Die zu mögen fällt zunehmend leichter, da der Anime sich nach und nach erklärt – jedenfalls in Maßen. Bis dahin ist es ein erfrischend wilder Ritt. Denn dankbarerweise greift der skurrile Ton weiter fleißig ineinander. Einerseits anhand der gebeutelten, aber liebenswerten Charaktere im Hole, die wirklich keinen leichten Alltag haben. Andererseits anhand der Zauberer, bei denen einige Hexen-Tropes witzig ausgelegt wurden. So fliegen sie beispielsweise auf Staubsaugern 😉 . So richtig kompliziert wird Caimans und Nikaidos Leben nebenbei gesagt auch noch als Shin und Noi auftauchen. Die Auftragskiller eines hohen Tiers unter den Zauberern, der etwas dagegen hat, dass Caiman und Nikaidos sich in Zauberer-Angelegenheiten einmischen. Alle vier sind mir schnell an’s Herz gewachsen.
Findet man in einer dermaßen skurrilen und blutigen Serie soviele Lieblingscharaktere, dann ist das schon ein Beweis dafür, dass hier narrativ etwas richtig gemacht wurde. Der Kontrast zwischen der allgemeinen Heiterkeit der Charaktere und der Blutigkeit der Serie ist ein starker Motor. Das macht einfach Spaß, wenn den Gore-Teil abkann. Ganz nebenbei erzählt Dorohedoro die Geschichte einer Klassengesellschaft und von Snobismus. Einerseits blicken die Zauberer auf die Menschen herab, andererseits lernen sie langsam durch die immer komplizierter werden Verwicklungen rund um Caiman, dass sie alle im Kern gleich sind. Ob das alle lernen können ist ja schließlich auch die Frage der sehr irdischen und sehr realen Diskriminierung unserer Welt. Aber auch das Streben nach Status ist ein Thema, das v.A. an der Welt der Zauberer abgebildet wird. Die zaubern nämlich mit Rauch. Manche von ihnen sind aber nicht in der Lage soviel Rauch abzusondern wie andere und bleiben dementsprechend schwache Zauberer. Es gibt Drogen und Modifikationen, um sich zu pimpen und pumpen, die entsprechende Nebenwirkungen haben. Zwiespalt und Doppelmoral stehen an der Tagesordnung bei den Zauberern, die sich doch als ach so erhaben sehen.
Adaptiert und produziert wurde Q Hayashidas Mangavorlage von MAPPA, das in seiner Werkliste u.a. Kids on the Slope, Yuri on Ice und die Neu-Adaption des Tezuka-Stoffs Dororo verzeichnet. Die Qualität ist bei allen genannten Serien hoch – bei Dorohedoro setzen sie auch stilistisch noch ein’s drauf. Der Stil der Mangazeichnerin und -autorin wurde nahezu 1:1 übernommen und bedient sich einer etwas untypischen Physiognomie der Charaktere. Wir befinden uns hier im Seinen-Genre (auf den Manga bezogen), also Stoffen die sich an ein erwachsenes, vorrangig männliches Publikum richten. Zwar gibt es in Dorohedoro eine Menge verschiedener Figuren und Staturen, aber die Frauen mit viel Muckis, Schlagkraft und kräftigen Staturen habe ich doch in dem Genre in der Form selten gesehen, wo sonst meist auf dünne Taille und großen Vorbau gesetzt wird. Nicht, dass es an letzterem hier mangeln würde … .
„TVアニメ『ドロヘドロ』ノンクレジットオープニング映像 (K)NoW_NAME「Welcome トゥ 混沌(カオス)」“, via TOHO animation チャンネル (Youtube)
Alles ist absurd und brutal durchkomponiert – vom Vorspann über das Mittendrin bis einschließlich des Abspanns. Unter den 3D-Anime ist er eine angenehme Überraschung und das World Building ausgefeilt. Dabei ist Dorohedoro (jp:“ドロヘドロ“) übrigens keine Netflix-Eigenproduktion, sondern wurde lediglich für den außer-japanischen Markt lizensiert. Wer die Skurrilität, den Mix aus sympathischer Heiterkeit Gemetzel abkann, dem lege ich die Serie stark ans Herz. Die erste Staffel macht übrigens recht schnell klar, dass es Platz für eine Fortsetzung gibt und bei der flächendeckend überwältigend guten Kritik, gehe ich stark davon aus, dass der Anime fortgesetzt wird. Dorohedoro ist brutal, aber recht einzigartig und genial.
(10/10)
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Neben all dem hat mich doch sehr verblüfft, dass der Autor der Mangavorlage eine Autorin ist. Ich kenne einige Mangazeichnerinnen die Shounen (Jungs-Manga) zeichnen (bspw. Hiromu Arakawa „Fullmetal Alchemist“, Kazue Kato „Blue Exorcist“, etc.), aber eigentlich keine, die derartigen schonungslosen Seinen zeichnen. Ihr? Leider hat die Recherche auch keine Zahlen dazu geliefert, stattdessen aber eine (sicherlich nicht vollständige) Liste von Manga-Zeichnerinnen und die Goodreads-Liste Shounen And Seinen Manga Written By Women. Generell sind Frauen natürlich unter den Mangazeichnern stark vertreten, aber es gibt doch ein gewisses „Genre“/“Zielgruppen“-Denken, das mich immer etwas triggert. Habt ihr „Dorohedoro“ schon gesehen?
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