Also eigentlich sollte das hier bereits der Fazit-Artikel sein, mit dem ich den #Noirvember für mich abschließe. Aber da die Besprechungen doch etwas länglich geworden sind, splitte ich den Spaß doch nochmal. 🙂 Denn wer hätte es gedacht: nachdem ich letztes Jahr eher modernen neo noir geschaut habe, war die Rückkehr zum klassischen film noir dieses Jahr dann cooler als ich erwartet habe!
Die Nacht des Jägers
Was ist mir da bisher entgangen. Die Nacht des Jägers ist einer dieser perfekten Filme. Einer von denen, die seiner Zeit scheinbar voraus waren und die in der Popkultur zahlreich kopiert wurden. Wie so oft, merkt man erst, wenn man ihn gesehen hat. Die Nacht des Jägers schafft es sogar ein film noir zu sein ohne sich irgendwelcher typischen Noir-Elemente zu bedienen. kein Ermittler mit Hut, keine femme fatale. Der Film wurde 1955 veröffentlicht, entführt uns aber in die Vereinigten Staaten zur Zeit der großen Depression. Harry Powell (Robert Mitchum) gibt sich als Wanderprediger aus, nutzt aber dieses Image nur um unbescholten zu wirken. Seine Masche ist es sich an Witwen heranzumachen, zu heiraten, zu töten und mit ihren Ersparnissen abzuhauen. Als er aber wegen einer Bagatelle ins Gefängnis muss, trifft er dort den zum Tode verurteilten Familienvater Ben Harper (Peter Graves), der wegen eines Bankraubs und damit einhergehenden Mordes einsitzt. Er verrät ihm unfreiwillig, dass er bei seiner Familie die damals utopische Summe von 10.000 Dollar versteckt hätte. Klar was Powell als nächstes vor hat.
Nachdem er sich mit seiner Wanderprediger-Attitüde des vorgeblich rechtschaffenden und gottesfürchtigen Mannes an Ben Harpers Witwe Willa (Shelley Winters) rangemacht hat, wird schnell klar, dass sie nichts weiß, aber die Kinder. Er versucht auf perfide Art aus John (Billy Chapin) und seiner kleinen Schwester Pearl (Sally Jane Bruce) rauszukriegen wo das Geld ist. John schätzt Powell von Anfang an richtig ein und lässt Vorsicht walten. Die Raffinesse der Kinder, aber auch wie hilflos sie ihm ausgeliefert sind, macht den Film zu einem spannenden, schier ausweglosen Katz-und-Maus-Spiel. Dazu trägt natürlich ebenso Robert Mitchum als mal kaltschnäuziger Witwenmörder, mal Smooth-Talker bei. Das Bild seiner mit LOVE und HATE tätowierten Hände und der Anekdote dazu ging in die Filmgeschichte ein.
Besonders tut sich aber die Bildsprache und Stimmung des Films hervor. Der Schatten, der sich auf das Gesicht der Kinder legt als Powell das erste Mal vor ihrem Haus auftaucht – Foreshadowing ist hier wortwörtlich zu nehmen. Oder auch das Motiv der schönen Leiche im See mit surreal umherwaberndem Haar zwischen Seegras – die Mischung aus Tod, unausweichlicher Wahrheit und surrealer Schönheit in ein Motiv gepresst, hallt lange nach. Und eine Szene, die ich wohl nie vergessen werde: die Eule, die sich auf das wehrlose Kaninchen stürzt als Metapher auf Powell, der den Kindern nachstellt. Und das alles begleitet von dem Satz: „It’s a hard world for little things“ von Lillian Gish als Rachel Cooper, die später die Kinder aufnimmt und sich Powell mit enorm viel Mut stellt. Es ist ein weiterer Gänsehautmoment, wenn sie mit der Schrotflinte auf der Veranda sitzt und Powell nicht aus dem Augen lässt. Perfekt trotz einiger Längen zu Beginn. Einen guten Trailer ohne arge Spoiler konnte ich nicht finden, stattdessen verweise ich auf diesen Clip in der Arte Mediathek: 5 Gründe um „Die Nacht des Jägers“ wiederzusehen – Blow Up. Hier wird auch ein interessanter Fakt fallengelassen. Da Die Nacht des Jägers der einzige Film ist, bei dem Charles Laughton Regie führte, kann man sagen, dass er die einzige, durch und durch perfekte Werkliste eines Regisseurs hat. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die Nacht des Jägers (OT: The Night of the Hunter), USA, 1955, Charles Laughton, 89 min, (9/10)
„Trailer for The Stranger“, via felixxxx999 (Youtube)
Die Spur des Fremden
Zwei Männer reisen in das Städtchen Harper in Connecticut. Sie suchen denselben Mann, aber mit unterschiedlicher Intention. Mr. Wilson (Edward G. Robinson) arbeitet für die Alliierten Kriegsverbrecherkommission und sucht Franz Kindler. Der ist ein flüchtiger Nazi und soll dafür zur Verantwortung gezogen werden, dass er sich einst die Praktiken zur systematischen Tötung in Gaskammern ausdachte und anordnete. Er will Kindler ausfindig machen und vor Gericht bringen. Konrad Meinike (Konstantin Shayne) hingegen ist ebenso ein flüchtiger Nazi und ehemaliger Kollege Kindlers, der ihn nun aufsucht – mit Wilson auf den Fersen. Kindler hat sich in Harper niedergelassen und lebt dort unter dem Namen Charles Rankin (Orson Welles). Meinike und Wilson wirbeln einigen Staub auf als sie am Hochzeitstag Rankins und seiner Zukünftigen Mary (Loretta Young) in Harper auftauchen. Für einen der Beiden endet die erste Konfrontation gar tödlich.
Der Anfang von Die Spur des Fremden ist hektisch geschnitten und man brauch einen Moment um zu sieben, wer jetzt wer ist und aus welchen Gründen nach Harper will. Das gibt sich allerdings schnell. Was sich danach vor den Augen des Zuschauers auffächert ist ein smartes Katz-und-Maus-Spiel, das v.A. auch Loretta Young in der Rolle der Mary dankenswerterweise einspannt und sie nicht nur zur damsel in distress macht. Sie begegnet Meinike und wird zu einem der letzten Menschen, die ihn gesehen hat. Im Zentrum der Handlung steht ganz klar die große Offenbarung, dass der Mensch, dem sie ihre Liebe geschenkt hat und vertraut, nicht ist, wer er vorgibt zu sein. Und gar Verbrechen an der Menschheit verübt hat. Was brauch es um das einem Menschen glaubhaft zu machen in einer Zeit in der Beweise weniger greifbar waren als sie es vielleicht heute im digitalen Zeitalter wären? Das Kernelement des Films ist gelungen umgesetzt und erwartungsgemäß dramatisch. Und spannend. Orson Welles führte hier sowohl Regie und spielt auch den anfangs unantastbaren, später eiskalten Rankin brillant. Ein erstklassiger Krimi, der leider für mich nicht in guter Qualität zu haben war und einen weniger konfusen Anfang verdient hätte.
Die Spur des Fremden (OT: The Stranger), USA, 1946, Orson Welles, 91 min, (8/10)
Zu den bisherigen Artikeln
Ankündigung und Filmliste
Filmbesprechungen zu „Stadt ohne Maske“, „Abrechnung in Tokyo“ & „Das letzte Schweigen“
Header Image Photo Credits: Djim Loic
Erst jetzt merke ich, dass der Nachname der Kinder aus „Die Nacht des Jägers“ auch der Name der Stadt ist, in der „Die Spur des Fremden“ führt. Spannend! Man merkt es der Länge der Besprechungen, die an der Stelle normalerweise kurz sein sollten an: ich bin gerade etwas gehyped. 🙂 Umso mehr freue ich mich auf „Fahrstuhl zum Schafott“, den ich mir für heute abend zum Abschluss des Noirvembers aufgehoben habe. Denn das ist auch ein klassischer film noir und der Film meiner diesjährigen Liste auf den ich mich am meisten gefreut habe. Kennt ihr die heute besprochenen Filme? Welchen film noir wolltet ihr schon ewig mal sehen?
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