ausgelesen: Junji Itō, „Uzumaki – Spiral Into Horror“ Deluxe Edition

Der Originaltitel von Junji Itōs Horrorklassiker ist うずまき „Uzumaki“, was soviel wie Spirale oder Spiralen bedeutet. Uzumaki erschien von 1998 bis 1999 in Japan und verschaffte Itō nicht nur in Japan, sondern vor Allem auch außerhalb Japans den Durchbruch. Markenzeichen Itōs oder viel mehr seiner Manga ist das Spiel mit menschlicher Angst und Obsession, die sich oftmals bis zum Body Horror und Überirdischen eskaliert. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er der Horror-Mangaka der zeitgenössischen Mangaszene ist. Oftmals werden in seinen Werken normale Menschen mit einem äußeren Einfluss, einem unerklärbaren oder abstrusen Phänomen konfrontiert, dass ihre Urängste und Obsessionen zu Tage treten lässt. So als ob sie mit dem blanken Horror infiziert wurden, werden sie selbst ein Teil dessen und können sich dem nicht entziehen. So auch in Uzumaki, das als Komplettausgabe („Deluxe Edition“) 2019 auch in Deutschland bei Carlsen Manga erschien.

Im ersten Panel blickt die Schülerin Kirie auf ihre Heimatstadt Kurouzu, einen kleinen Küstenort, an dem offenbar seltsame Dinge geschehen. Ihr Freund Shuichi Saito hat Kirie schon länger gewarnt, dass die Stadt verflucht sei und ihr sogar vorgeschlagen gemeinsam durchzubrennen. Hauptsache weg aus Kurouzu. Lange glaubt ihm Kirie nicht, bis sich die Vorfälle häufen. Shuichis Vater scheint besessen von Spiralen zu sein. Es beginnt mit einer Sammelleidenschaft und endet mit seinem grausigen Tod, bei dem er selber versucht zur Spirale zu werden. „Der Fluch der Spirale“ wie Shuichi es nennt, greift wie eine Krankheit um sich und infiziert die Menschen. Lockenschöpfe, Schnecken, seltsame Windhosen und Wasserstrudel – die Spirale scheint überall in Kurouzu zu sein. Und war es vielleicht schon immer?

Junji Itō ist mir zwar seit Langem ein Begriff, aber ich habe bisher nur Kurzgeschichten von ihm gelesen. Enigma of Amigara Fault ist darunter mein absoluter Liebling und nichts für Menschen, die Angst vor engen Räumen haben – so wie übrigens der Autor und Zeichner selber. 😉 Uzumaki ist der erste längere Manga von ihm den ich lese, der wie ich kürzlich erfahren habe auch 2021 eine Veröffentlichung als Anime erhält. Um das psychedelische und hypnotische der Spiralen darin deutlich hervorzuheben wird der Anime in Schwarzweiß produziert, was glaube ich tatsächlich bisher eher eine Seltenheit war, aber seine Wirkung sicherlich nicht verfehlen wird. Junji Itōs Stil ist schön, traditionell und sogar einer der eher realistischeren Zeichenstile – ohne große, funkelnde Augen und derlei Kitsch.

Mit traditionell meine ich, dass es wenige Überraschungen gibt, wenig perspektivische oder dynamische Extravaganzen. Keine Action-Panels, kein Speedlines, keine ausgeschmückten Charaktermomente. Dadurch, dass seine Geschichten meist konventionell erzählt werden und der Leser wie ein Statist neben den Hauptfiguren zu stehen scheint, tritt das außergewöhnliche kurz darauf besonders hervor – denn danach geht er meist in die Vollen. Ins abstruse, eklige, in Body Horror und in Surrealismus. Ebenso realistisch wie die Protagonisten und ihre Umgebung ist der Horror gezeichnet, wenn auch meistens absolut grauenerregend und unwirklich. Und in der Mischung höchst effektiv. Ein weiteres besonderes Merkmal ist sein Spiel mit Licht- und Schatten. Er traut sich düster. Und er traut sich dunkel.

Insbesondere die ersten Kapitel um den Horror in Kurouzu haben mir tatsächlich beim Lesen den Schauer über den Rücken gejagt. Was für vielgestaltige Obsessionen die Bewohner Kurouzus mit Spiralen entwickeln ist krass. Vor Allem weil die Spiralen nicht nur vor Kiries Augen überall auftauchen, sondern auch vor denen des Lesers. Plötzlich sieht man seinen Fingerabdruck mit anderen Augen oder die Lockenpracht der Person vor einem in der Schlange an der Supermarktkasse. Aber es bleibt nicht bei den Einzelschicksalen der Menschen rings um Kirie und Shuichi. Ganz Kurouzu scheint mit einem mal ein Hort aus Monstern und Opfern der Spirale zu sein. Man fragt sich, ob das nicht schon vorher aufgefallen sein muss und ob Kurouzu jemals normal war!? Wie Kirie zumindest einige Kapitel lang dazwischen ein relativ normales Leben lebt, wirkt mindestens so surreal wie der Spiralenhorror. In der echten Welt wäre Kurouzu schon längst voll mit Reportern und Haupt-Gesprächsthema dubioser Verschwörungswebseiten.

Das ist aber nicht das Einzige, was mich zunehmend an der Geschichte befremdete. Während ich den Horror anfangs abstrus, aber auch wirklich genial fand, ist es bald auf einem Level abgedreht, das schwerer zu „akzeptieren“ ist und mehr trashig wirkt. Das geschieht dann, wenn der einst abgebildete Realismus zu stark herausgefordert wird. Da geht es um Menschen, die sich in Schnecken verwandeln und vampirisch veranlagte Schwangere, um mal nur zwei Beispiele zu nennen. Der gesamte Ort erlebt eine Transformation, die unglaublich und letzten Endes total surreal ist. Menschen können durch zu lautes Sprechen eine Windhose auslösen, was sicherlich irgendwo kreativ ist, aber der Geschichte nur noch so halb dient.

Gegen Ende ist von Kiries und Shuichis Leben und auch von Kurouzu nicht mehr viel übrig. Ab diesem Zeitpunkt ist Uzumaki gar mehr ein schauriger, surrealer Survival-Horror, der in Fantasy abgleitet und entlarvt wie schnell die Menschen unmenschlich werden, wenn es um das eigene Überleben geht. Wie das Grauen über die ahnungslosen hereinbrach, erinnert an Horror von H.P. Lovecraft oder Edgar Allen Poe, hat aber in seinen Motiven keine große Gemeinsamkeiten. Es wird etwa ab der Hälfte gar ein Running Gag, wenn Shuichi immer irgendwo auftaucht und mit einem mehr und mehr düsteren Blick immer wieder dasselbe sagt. „Kirie, lass uns von hier verschwinden“ und „Das ist der Fluch der Spirale.“ Tja, hätte sie mal auf ihn gehört. ^^

Das heißt nicht, dass ich Uzumaki schlecht fand. Der surreale Horror-Kosmos, den Junji Itō hier geschaffen hat ist faszinierend. Aber insbesondere die Episoden ab der Mitte befremden stark. Irgendwie dient es ja auch der Geschichte, weshalb es trotzdem ein stimmiges Ganzes abgibt. Es ist eben eine enorm abstruse Abwärtsspirale, in die sich Kiries Geschichte und Leben begibt. Sorry – das Wortspiel musste sein. 😉 Die Deluxe-Edition ist eine Komplettausgabe des Manga und enthält außerdem die Kurzgeschichte Galaxien, die schon fast etwas von lovecraftschem, kosmischen Horror hat und von einer anderen Obsession als der zu Spiralen handelt. Kirie und Shuichi sind hier auch Protagonisten. Außerdem finden sich zum Ende auch noch ein paar kurze Strips im Omake („Bonuskapitel“), in denen sich Junji Itō selber etwas aufs Korn nimmt. 🙂 Die Deluxe Edition ist ein Türstopper mit phänomenalem Umfang. Der Buchrücken ist um die 5cm breit und die dicken Lettern UZUMAKI passen schon irgendwo zu der frontal-surrealen Geschichte. Für Fans eine großartige Ausgabe. Wer noch nicht weiß, ob er mit Junji Itōs Horror kann, denen empfehle ich es auch erstmal mit Kurzgeschichten von ihm zu probieren.

Fazit

Stilistisch schöner, aber durchwachsener Horror – teilweise genial, teilweise sehr abstrus.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-551-75752-4, Carlsen Manga

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

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