Fantastischer Film: Relic

Kay (Emily Mortimer) und ihre Tochter Sam (Bella Heathcote) sind in Sorge, weil sich ihre Mutter bzw. Großmutter Edna (Robyn Nevin) nicht bei ihnen meldet. Das Haus finden sie verlassen vor. Es ist bekannt, dass Edna Anzeichen von Demenz zeigt, aber wie schlimm waren die zuletzt? Die Polizei fragt, wann sie sich zuletzt gesprochen hätten. Kay weiß selbst nicht, ob sie das als Vorwurf sehen soll. Zu lange nicht mehr? Edna taucht einfach plötzlich wieder auf. Ohne eine Erklärung wo sie war. Kay und Sam beschließen noch eine Weile zu bleiben und Ednas Zustand zu beobachten. Dabei werden die Beziehungen zwischen den Generationen auf die Probe gestellt und es erweckt den Eindruck als ob das Haus ein Eigenleben entwickelt hätte. Schwarzer Schimmel, Klopfen hinter den Wänden und Gänge, wo zu Kays Kindheitszeiten noch keine waren – und die ungute Gewissheit, dass sich die Geschichte wiederholt.

Als Symbol dafür steht ein Buntglas-Fenster, das offenbar in der Familie weitergegeben wird und vielleicht das titelgebende Relic ist. Es ist wie ein Mahnmal. Eigentlich erstrahlt es in vielen Farben und gilt als Erbstück in der Familie, wird aber auch selbst vom schwarzen Schimmel heimgesucht, der offenbar vor nichts halt macht. Besonders viel Liebe hat der Film trotz seines Metaphernreichtums und seiner Symbolsprache in der Filmblogosphäre bisher nicht abbekommen. Manch einer scheint sich daran zu stören, dass in Relic zwischenzeitlich der nackte Körper einer alten Frau zu sehen ist. Und wie wir wissen, ist das für manche Zuschauer schier unerträglich. Vor Allem für diejenigen, die noch nicht realisiert haben, dass wir mit ein bisschen Glück alle alt werden.

Sterblichkeit, Krankheit und wie sich unsere Beziehungen dadurch verändern: das ist der richtig harte Stoff des Lebens und das zentrale Motiv. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es hart ist zu sehen wie ein geliebter Mensch erkrankt, nicht mehr er oder sie selbst ist und man fast unter der Pflege, die man nie gelernt hat und auf die man wahrscheinlich auch nicht vorbereitet war, zerbricht. Und wie das wiederum an der pflegebedürftigen Person nagt. Es ist ein schwerer Kreislauf und einer, der vieles verändert.


„Relic – Official Trailer I HD I IFC Midnight“, via IFC Films (Youtube)

Kay und Sam merken das im Umgang mit Edna anfangs v.A. durch die plötzlichen Stimmungswechsel und Ausfälle. Im einen Moment ist sie dieselbe nicht auf den Mund gefallene und gewitzte alte Edna, im nächsten ist sie charmant, dann plötzlich fährt sie aus der Haut und bezichtigt Sam ihren Ring gestohlen zu haben, den sie ihr vor fünf Minuten geschenkt hat. Wir würden uns wie Sam gern vormachen, dass uns das nichts ausmacht und über den Dingen stehen. Wir würden gern sagen „Das ist die Krankheit“, aber wir sind nicht völlig gegen das Gefühl der Entfremdung immun.

Etwas ähnliches empfindet Kay in dem Haus, das eigentlich ihre Heimat ist. Es wird in einigen sehr schaurigen Szenen für die Frauen zu einem Labyrinth, das wie eine einzige große Metapher auf Ednas Demenz wirkt. War da eben nicht noch der Ausgang? Regisseurin Natalie Erika James arbeitete auch am Drehbuch mit und legt mit Relic ein dichtes, stimmungsvolles, aber unkomfortables Regie-Debut hin. Denn es erwischt uns da, wo es weh tut: Das dargestellte Grauen könnte sich wie ein Fluch anfühlen, ist aber letzten Endes einer, der uns alle befällt. Der dargestellte Horror liegt im Altern und allem, was damit einhergeht.

Ähnlich den Konflikten zwischen Kay und ihrer Mutter, leidet auch die Beziehung zwischen Kay und Sam. Es gibt eine Schlüsselszene im Film, die mich noch selbst Monate nach dem Schauen verfolgt. Den ganzen Film über sieht man Post-Its und Zettelwirtschaft Ednas, mit der sie versucht hat ihre Erinnerungen zusammen zu halten. Gegen Ende des Films findet Kay den wohl tragischsten. Den, auf dem sich Edna versucht hat daran zu erinnern: „I AM LOVED“. Lasst uns einander nicht aufgeben. Denn unten drunter sind wir immer noch diese Menschen, die füreinander da waren und nicht die Krankheit oder das Alter, das uns den Charakter und die Gesundheit raubt. Nebenbei gesagt wirkt der Film wie die inoffizielle Verfilmung von Mark Z. Danielewskis schaurigem House of Leaves. Plus: Genre-Debut einer Regisseurin mit weiblichem Main Cast. Chapeau.

Relic, USA/Australien, 2020, Natalie Erika James, 89 min


„Relic Explained by Director Natalie Erika James – The Witching Hour“, via Collider Extras (Youtube)

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

Eine Antwort

  1. Ooooh, der kommt doch gleich mal auf meine Regisseurinnen Filmliste. Klingt nach hartem Tobak, aber egal…

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