Bisher lief die Serie „Flowers“ ausschließlich beim britischen Sender Channel 4 und kann hierzulande nicht gestreamt werden. Glücklicherweise erschien die Serie auf Disc, sodass ich auch in den Genuss der schwarzen Komödie kam, die sich nicht nur, aber zu einem großen Teil, mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzt und wie die eigenwillige Familie „Flowers“ damit umgeht. Ich ging relativ unbedarft und mit wenig Vorwissen an die Serie. Was ich bekam war aber viel. Besprechung ist spoilerfrei.
„How to be happy“
Die Serie beginnt damit, dass Maurice Flowers (Julian Barratt), Strick in der Hand, auf einen Stuhl steigt und versucht sich zu erhängen. Es geht schief. Er packt den Strick, versteckt ihn und tut so als wäre nichts gewesen. Seine Frau Deborah (Olivia Colman) soll nichts davon wissen. Und wenn man Deborah erlebt, dann ahnt man auch warum. Sie liebt Maurice sehr, aber sie liebt auch das Leben sehr. Sie redet schnell, sie kommt zu schnell zu Schlussfolgerungen. Und natürlich bemerkt sie, dass es Maurice nicht gut geht und schenkt ihm Bücher mit vielversprechenden Titeln wie „How to be happy“.
Maurice ist Autor einer beliebten Bilderbuchreihe namens The Grubbs und hat den japanischen Illustrator Shun (Will Sharpe) angestellt, der es als einziger bisher recht lange bei der Familie Flowers ausgehalten hat und von ihnen auch gerne mal als Mädchen für Alles ausgenutzt wird. Deborah versucht zu Beginn der Serie verbissen eine Party anlässlich ihres Ehetags zu organisieren, die schon daran kränkelt, dass sie kaum Freunde haben, die sie einladen wollen. Sohn Donald (Daniel Rigby) interessiert sich mehr für seine seltsamen und wenig nützlichen Erfindungen und versucht die Nachbarin Abigail (Georgina Campbell) abzuschleppen, die wiederum mehr Chemie zu Donalds Schwester Amy (Sophia Di Martino) hat.
„Truth is like a tootbrush …“
Und das Durcheinander aus Charakteren kommt nicht von ungefähr, denn in der Familie Flowers sind alle gewöhnt ihr eigenes Ding zu machen. Obwohl sie alle für sich gesehen liebevolle Charaktere sind, haben sie sich so daran gewohnt, dass die anderen sie eigenartig finden, dass sich alle in ihre jeweiligen Schneckenhäuser zurückgezogen haben. Außer Familienmutter Deborah, die aber die Feinheiten ihrer Eigenheiten und Charaktermerkmale stets und ständig falsch interpretiert oder mit der Tür ins Haus fällt und so verschreckt. Durch das Gefühl nicht als Vertrauensperson oder liebende Ehefrau angenommen zu werden, schreit sie förmlich in jeglicher Situation nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Vor Allem bei anderen Menschen, was zu einigen Szenen führt, die sich sehr menschlich anfühlen, aber auch einen Hauch Scham triggern.
Und genau das ist die Formel von Flowers, die alle Charaktere auf ihre eigene Weise verkörpern. Sie zeigen uns ihre menschlichsten Seiten und erlauben uns dabei zuzusehen wie sie bei den zarten Versuchen aus ihren Weisen auszubrechen scheitern. Dabei macht sich die Serie nie über die Versuche lustig, sondern konstruiert eine irre Situationskomik, die stets betont: die Situation ist lachhaft, aber sie lacht nie über unsere wunderbar menschlichen Flowers. So sieht man schon mal eine heulende und so richtig rumrotzende Amy in ihrem ersten romantischen Moment mit Abigail oder auch wie Maurices Versuch das verhängnisvolle Seil zu verstecken fast im (missgerichteten) Vorwurf der Pädophilie endet(!). Auch großartig: Shuns pseudo-asiatisch angehauchte Weisheiten oder die Erklärung Deborahs warum die Familie manche Details doch lieber für sich behalten soll:
„The truth is sometimes like a toothbrush, and you only share that with people you really trust.“
„TRAILER: Flowers | Watch the full series on All 4“, via Channel 4 (Youtube)
„You can survive.“
Die Serie ist aber auch eine harte Schule für ihre Charaktere. Anfangs werden die Flowers bewusst als unangepasst dargestellt. Donald ist egozentrisch und unheimlich von sich selbst überzeugt; Amy ist elfenhaft, aber verschüchtert; Deborah ist offensiv „normal“, Shun enorm unterwürfig und Maurice vermeidet mit aller Macht über seine Depressionen oder auch nur ansatzweise über Psyche zu sprechen. Aber sie wachsen – oder in dem Fall blühen. Wenn Amy uns an ihrer zauberhaften Gedankenwelt voll traurig-schöner Geschichten und Musik teilhaben lässt oder Donald sich daran erinnert, was seinen Erfindergeist geweckt hat, sind das sehr rührende Momente. Es tun sich Untiefen auf, wo man sie anfangs nicht erwartet hätte. Shun wirkt anfangs so als ob er hauptsächlich Comic Relief in die Serie bringen soll und kleine Seitenhiebe in punkto Vorurteilen gegenüber Asiaten adressiert. Gegen Ende der Serie gibt es aber Momente, die ganz deutlich machen, was Will Sharpe mit Flowers (und auch mit Shun) auf den Bildschirm bringen will. Und was ihm ausgezeichnet gelingt.
Psychische Erkrankungen werden oftmals stiefmütterlich behandelt, in der Öffentlichkeit stigmatisiert und als „Schwäche“ behandelt, über die man nicht redet. In Film, Fernsehen und dem geschriebenen Wort müssen sie oft als musterhafte Ausrede oder Anheizer für persönliche Schicksale herhalten. Sogar das Wording und Sprache scheint nicht hilfreich zu sein … wie tönt es doch negativ konnotiert aus dem Wort „bipolare Störung“. Wieviele Serien versuchen aber beispielsweise Depressionen erlebbar zu machen oder realistisch darzustellen? Oder gar mit blumigen Botschaften aufzuräumen wie wenn Maurice entgegen geschleudert wird, dass Liebe ein Heilmittel sei. Die Antwort: es ist nicht so einfach. Auch die Antwort, die die Serie vermittelt: „You can survive“. (9/10)
Zum weiterlesen: „How we went about portraying mental health in ‚Flowers’“ (mind.org.uk)
Da „Flowers“ bisher nur im britischen Fernsehen (und on demand) lief, stellt sich euch Leser*innen vielleicht die Frage how the heck did you find this? Durch Googelei und Verschwinden in der Wikipedia-Senke. Ich habe vor einer Weile die japanisch-britische Serie „Giri/Haji“ (in Deutschland „Pflicht und Schande“) gesehen, in der Will Sharpe den Charakter Rodney Yamaguchi spielt, der mir mit Abstand am besten an der Serie gefallen hat. Und da ich Will Sharpe bisher in keiner anderen Serie gesehen hatte (dachte ich jedenfalls bis dahin), habe ich etwas geforscht und bin über all die Lobeshymnen für „Flowers“ gestolpert, in dem er sowohl Shun spielt, als auch Drehbuch schrieb und Regie führte. Und Preise abräumte. Es stellte sich allerdings auch heraus, dass er mal eine kleine Nebenrolle in Season 2 von Sherlock hatte, genauer in der Episode „The Hounds of Baskerville“. 🙂 Auch wenn über Umwege, bin ich echt sehr gehyped von der Serie, die man sich von der Tonalität wie „Black Books“ mit mehr Emotionen vorstellen muss. Will Sharpe werde ich mir jedenfalls merken. Seine Kollegin Sophia Di Martino, die mir hier ebenso sehr gefallen hat, kennt man derzeit aus der Loki-Serie von Disney+.
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