Heute trifft sich beides: eine neue Reihe, von der ich zuvor kaum etwas wusste und deren ersten Band ich gelesen habe und das Ende des Rereads einer meiner Lieblingsmanga. Wortwörtlich Anfang und Ende. Ich versuche bestmöglichst Spoiler zu vermeiden. 🙂
„Yokohama Station Fable“ Bd. 1; Gonbe Shinkawa, Yuba Isukari (Carlsen)
Yokohama Station Fable ist die Manga-Adaption des fast gleichnamigen Romans von Yuba Isukari. Die Zeichnungen steuert hier Gonbe Shinkawa bei. Prämisse des Manga ist, dass der sich autonom selbst-reparierende Bahnhof von Yokohama seit Jahrzehnten immer weiter ausbaut und ausbreitet. Inzwischen nimmt er große Teile Japans in Beschlag und hat die Menschen stark verdrängt. Sie leben entweder in dem Bahnhof oder sind Ausgestoßene, die sich an der schmalen Küstenlinie zwischen Meeresufer und Bahnhofswänden von den Abfällen der Yokohama Station ernähren. Dort ist auch Hiroto aufgewachsen. Als ihm jemand ein 5-Tages-Ticket für den Bahnhof schenkt, kann er nicht widerstehen und will das Gebiet erkunden.
Eins muss man Yuba Isukari lassen – die Geschichte hat einige spannende Details. So hat sich der Bahnhof inzwischen sogar bis über den Fuji hinweg gebaut. Die Bewohner des Bahnhofs werden mit einer Suica ausgestattet, die ich selber auch noch aus meiner Japanreise von vor ein paar Jahren kenne. Aber alles erzählerische außer den Ideen an sich hinkt, v.A. das Pacing und die Motivation der Charaktere. Ich habe ehrlich keine Ahnung warum Hiroto den Bahnhof besuchen will. Er scheint sein Leben an der Küstenlinie nicht zu hassen. Nur weil ihm jemand ein Ticket in die Hand drückt? Das wirkt alles mächtig dünn und an den falschen Stellen aufgebläht. Es werden reichlich Fakten einfach so fallen gelassen. Da wird von DNA und Evolution gesprochen, das war es dann aber auch ganz schnell wieder. Nichts bleibt besonders lange hängen. Fast so als ob alle Ideen in den Manga reingekotzt worden wären.
Auch die Optik setzt seltsame Prioritäten. Was erwartet man bei einem Manga über ein riesiges technologisches Monstrum? Ein Geflecht aus Technik, das fast ein ganzes Land eingenommen hat? Ich denke da an labyrinthische Gänge, technophile Ansammlungen von … Schrott!? Oder auch ellenlange Rolltreppen ins scheinbare Nichts. Stattdessen gibt es reichlich Panels mit Köpfen. Mit sich unterhaltenden Charakteren. Viele enge kleine Panel, sehr dialoglastig. Mag zwar eine schöne Metapher sein, aber ich hätte mir hier eher einen Hauch dessen gewünscht, was der dystopische Manga Blame! vor einer Weile kultiviert hat. Wenigstens ein bisschen. Durch die Dialoglastigkeit kommt leider auch sehr wenig Stimmung auf außer mal als Hiroto sich durch enge Gänge quetschen muss und in stockdunklen Hallen landet. Es ist schwer abzuschätzen wie die Arbeit an dem Manga lief. Hat der oder die Zeichnerin Einfluss auf Pacing und Look? Denn Können hat Gonbe Shinkawa – das Characterdesign mag ich sehr.
„20th Century Boys“ Perfect Edition Vol. 11, Naoki Urasawa (engl. Ausgabe, VIZ)
20th Century Boys endete 2006 mit dem 22. Band. In der Neuauflage als Perfect Edition oder auf dem Deutschen Markt veröffentlicht durch Panini als Ultimative Edition endet die Reihe mit 11. Damit gehen so ungefähr zwei Bände der ursprünglichen Veröffentlichung in einer der großformatigen Perfect Editions auf. Im Gegensatz zur Erstveröffentlichung werden wir aber nicht mehr von der Meldung überrascht, dass doch noch nicht alle Fragen beantwortet sind und es vielleicht doch noch eine „Falle“ gibt, in die unsere 20th Century Boys und Girls tappen könnten. Es wurde relativ früh angekündigt, dass zusammen mit der Perfect Edition zu 20th Century Boys auch der finale Abschlussband 21st Century Boys erscheinen würde. 2006 war die Überraschung, dass da noch was kommen möge also definitiv größer. 🙂 Aber eine Sache bleibt auch nach zehn Jahren: wie ein richtiger Abschluss der Reihe fühlt sich der Band nicht an.
Ich habe zahlreiche Gerüchte gehört oder gelesen, warum es so endete mit 20th Century Boys, aber keine wirklich bestätigte. Was ist das Problem mit dem Band? Das Ende fühlt sich nach langer Vorbereitung etwas überstürzt an, hat einen Cliffhanger und es kommt nicht zu den großen Aussprachen, glorreichen Momenten und Wiedersehen wie wir sie uns als Leser*innen wohl gewünscht haben. Zumindest nicht in der Ausführlichkeit, die der Vorbereitung in den 21 Bänden davor entspricht – oder 10 in der Rechnung in Perfect Editions.
Irgendwann habe ich mal gelesen, dass Urasawa die Reihe aus gesundheitlichen Gründen zu einem etwas verfrühten Ende führte um dann ca ein halbes Jahr später mit 21st Century Boys alles ausgesparte nachzuliefern. Heute las ich irgendwo, dass er unzufriedenen Fans „noch etwas geben wollte“. Der Cliffhanger gegen Ende des Bandes spricht gegen die Theorie. Aber es ist eh egal – alle Quellen sind unzuverlässig. In jedem Fall ist der elfte Band trotzdem keinesfalls schlecht. Der Höhepunkt des fiesen Plans von Freund 2.0 spitzt sich schnell zu. Kanna und ihre Freunde versuchen in einem letzten Rettungsakt soviele Menschen wie möglich zu überzeugen ihnen zu folgen, was fast zu einer fatalen Fehleinschätzung führt und Naoki Urasawas Plan mit Kenjis Schicksal nimmt eine interessante Wende. Er bricht mit der klassischen Heldenfigur! Das ist der eigentliche, wirklich gute Kniff, der den Manga nach hinten raus trotz des überstürzten Endes nochmal sehr sehr interessant macht. Und Freund 2.0!? Darauf gibt es auch eine Antwort. Nur selbst die hätte noch etwas ausführlicher ausfallen können.
„21st Century Boys“ Perfect Edition, Naoki Urasawa (engl. Ausgabe, VIZ)
21st Century Boys ist ein als Einzelband erschienener Abschluss der Managreihe 20th Century Boys und damit sowas wie der „quasi 12. Band“ der Perfect Edition oder „quasi 23. Band der Erstveröffentlichung“. Nachdem unsere Freunde der Schlag gegen Friend 2.0 gelungen ist, stellt sich aber immer noch die Frage, wer Freund eigentlich war und warum er diesen persönlichen Kampf überhaupt gekämpft hat. Ohne Identifizierung bedeutet das vorerst viele offene Fragen. Nachdem unsere Bande aber die vielleicht letzte Falle des Freundes gefunden hat, geht die Spurensuche in zwei Ebenen weiter. Der virtuellen Welt in Friend Land, die vielleicht offenbart was Kenji damals getan hat, das so gar nicht heldenhaft war und auch die Suche Kannas in der Welt, die nun versucht sich nach der Diktatur neu zu gruppieren und zu erholen. Auch bei dem letzten Band schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits Rührung über all die Wiedersehen und Abschlüsse der vielen kleinen Nebenhandlungen. Inklusive Läuterung und Gerechtigkeit für soviele Charaktere, aber auch bittersüße Enden wie das Sadakiyos. Andererseits beinhaltet der Band auch die eine oder andere Wiederholung. Nochmal zurück in die virtuelle Welt. Nochmal ein Wiedersehen mit totgeglaubten Gegnern. Als ich die Reihe das erste Mal gelesen habe, hallte der erste Aspekt länger und positiver nach als das Gefühl, nochmal viel des Vorherigen zu sehen. Zu dem alternativen Ende der Perfect Edition sage ich nochmal in einer vollständigen Review zur Neuauflage etwas. 🙂 Alles in allem ist mein Gemecker welches auf hohem Niveau – 21st Century Boys ist der wirkliche und wirklich gute Abschluss der Reihe, der nochmal alle losen Enden aufhebt. Maximal dabei einen zuviel (ein kleiner Wink in Richtung des alternativen Endes).
Man erahnt es schon beim Lesen der Rezension, aber ich werde wohl „Yokohama Station Fable“ nicht weiterlesen. Damit wäre die Reihe also vom Tisch und 20th Century Boys erstmal auch. Es war ein schöner Ritt – nochmal mit Kenji den Untergang der Menschheit vereiteln und die Nostalgie von Kindheitserinnerungen schnuppern. Die zwei Aspekte haben für mich beim ersten Mal lesen wie auch jetzt im Reread so gut funktioniert. Trotz meiner Ermüdungserscheinungen bei länglichen Reihen ist „20th/21st Century Boys“ für mich immer noch einer der besten Manga überhaupt. Jetzt könnte aber auch mal was neues von Urasawa her. Umso mehr freue ich mich, dass ab Februar 2022 das aktuell sehr gefeierte „Asadora!“ bei Carlsen erscheint und sich mal einer weiblichen Heldin widmet. 🙂
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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