Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Ammonite“

Auf den mussten wir ja mal so richtig lange warten. „Ammonite“ ist eine BBC-Produktion über das Leben der Paläontologin Mary Anning und ihrer Beziehung zu einer Frau. Pandemiebedingt wurde der Kinostart einige Male verschoben. An einem verregneten und sehr nassen Abend fiel ein Firmenevent aus, auf den ich mich eigentlich sehr gefreut hatte. Das musste ich irgendwie kompensieren und war sehr froh zu sehen, dass an dem Abend „Ammonite“ lief, auf dessen Kinostart ich schon eine Weile wartete. Die Besprechung ist weitestgehend spoilerfrei.

Als Kind fand Mary Anning (Kate Winslet) an der Küste ihrer Heimat Lyme Regis im britischen Dorset ein großes Fossil. Für sie eine Initialzündung sich des Sammelns und Erforschens von Fossilien zu verschreiben. Viele Jahre später aber musste sie das Fossil verkaufen, um für ihre Mutter (Gemma Jones) und sich selbst zu sorgen. Ein Jahr lang finanzierte das Fossil ihnen ihren Lebensunterhalt. Inzwischen kommen sie kaum über die Runden und Anning fertigt nebenbei aus Fossilien und Muscheln auch Souvenirs an. Obwohl sie die Anfrage wenig schätzt, kann sie so dem betuchten Roderick Murchison (James McArdle) nicht absagen als er darum bittet sie begleiten zu dürfen und später sogar darum, sie möge seine Frau Charlotte (Saoirse Ronan) in die Lehre nehmen. Oder sie auch einfach nur begleiten zu lassen. Der Grund liegt v.A. darin, dass Charlotte unter Depressionen leidet. Anfangs wenig begeistert, erweicht die fragile Charlotte nach und nach das Herz Marys.


„AMMONITE Trailer Deutsch | Jetzt im Kino!“, via TOBIS (Youtube)

Über die Foliensammlerin Mary Anning las ich das erste Mal im Blog der Bingereaderin Sabine und ihrer großartigen Reihe #Women in Science. Umso mehr reibe ich mich daran auf, dass Anning der Begriff Paläontologin in manchen Quellen verwehrt bleibt und sie als Fossiliensammlerin bezeichnet wird. Anstatt das schlimmste zu denken (Diskriminierung), ist das aber wahrscheinlich v.A. darauf zurückzuführen, dass die Paläontologie zu Annings Lebzeiten noch kein etablierter Begriff war. Nicht umsonst, heißt es in einigen Quellen, dass Anning die Paläontologie mit begründet hätte. Der Film betreibt allerdings eher keine Aufklärungsarbeit über Paläntologie im Sinne eines Dokumentarfilms, aber konzentriert sich auf die harte Arbeit Annings des Freilegens der Fossile und ihre Leidenschaft für die Spurensuche und das Zeichnen der Funde. Aus Kate Winslets Worten und v.A. ihrer Mimik und Gestik spricht sogar Verlust und Bedauern, dass sie ihre größeren Fundstücke abgeben muss, um ihre Mutter und sich über Wasser zu halten.

Das Fossil an sich scheint dabei eine Art Metapher zu sein auf Anning, die ihre Gefühle verschließt und für ihre Außenwelt versteinert. Der Verlust ihrer Geschwister und ihres Vaters könnte wohl eine der Ursachen sein, wie auch das Pflichtgefühl für den Lebensunterhalt ihrer Mutter und sich selbst aufkommen zu müssen. Francis Lee muss sich das nicht ausdenken – die Geschichte setzt die Motive nebeneinander. Charlotte hingegen wird mehrmals mit einem Schmetterling gleichgesetzt, der gefangen ist. Später gar als Präparierter Schmetterling im Glaskasten. Beide liefern eine großartige Performance ab. V.A. Kate Winslet schafft es immer und immer wieder soviel aus ihrer Mimik zu transportieren, es braucht nicht einmal Worte.

Regisseur Francis Lee muss ein bisschen aufpassen, dass wie in zuvor in seinem God’s Own Country dargestellte Motive gleichgeschlechtlicher Liebe in einem ländlichen oder hier historisch-kleinstädtischen Umfeld inklusive langsamer Erweichung der Charaktere nicht zu einem Motiv wird, dass sich totläuft. Denn es ist eigentlich ein sehr schönes Motiv und eins, was zumindest ich noch sehr gern im Film sehe. Der Stoff mag als einer erscheinen, der nie alt wird, aber was sich jetzt schon doppelt, läuft Gefahr sein emotionales Gewicht durch Wiederholung und Formelhaftigkeit zu verlieren.

Als ich in Vorbereitung auf das Schreiben dieser Besprechung und aus Interesse über Mary Annings Biogafie nachlas, suchte ich nun die ganze Zeit nach Charlotte. Ich war tatsächlich etwas enttäuscht, dass die Beziehung Marys und Charlottes fiktiv ist (Quellen faz, npr). Was nützt mir die fiktive Liebesgeschichte zweier Personen, die real sind, wenn auch lange verstorben? So war mein erster Gedanke, der obwohl ich wirklich sehr maulig bin, die Bewertung des Films in Sternchen natürlich nicht beeinflusst. 😉 Nach etwas reflektieren sehe ich das nun anders. Warum auch nicht? Eine Film ist eine Adaption und erhebt selten Anspruch auf historische Akuratesse. Und sollte das auch nie tun. Was letzten Endes zählt ist, dass Annings Geschichte erzählt wurde und ihr Name wieder in das kollektive Bewusstsein geholt wurde.

Was auch zählt ist, dass eine lesbische Beziehung auf der großen Leindwand zu sehen ist. Etwas das vollkommen normal ist und im Kino normal sein sollte, aber immer noch nicht so häufig anzutreffen ist wie heterosexuelle Beziehung. Was Ammonite dankenswerterweise anders macht als andere Stoffe, die queere Figuren in einem historischen Kontext zeigen ist, dass sich der Film auf die Beziehung und Personen konzentriert, statt sie als „Problem“ für die damalige Zeit zu erzählen. Denn das haben wir inzwischen schon verstanden und bedauern es. Themen wie das Zulassen von Nähe, das sich eingestehen von Gefühlen und die Frage nach persönlichen Freiräumen ist schließlich nicht weniger erzählenswert als Leute in lustigen Hüten zu zeigen, die empört über eine gleichgeschlechtliche Beziehung sind. Diese Konzentration auf die Charaktere ist absolut lohnenswert. Gegen Ende des Films wird es auch Thema, ob die Beziehung zu Charlotte erfordert, dass Mary ihre Berufung und ihr Leben wie sie es bis dahin kannte aufgibt. Sich für andere zu öffnen heißt nicht, sich und das eigene Leben aufzugeben. Gibt es einen Mittelweg? Nun kann man es als Zuschauer*in schade finden oder genau richtig, dass der Film diesen Aspekt schmerzhaft offen lässt. Ich finde es schade.

Ammonite, UK, 2020, Francis Lee, 118 min, (7/10)

Sternchen-7

Wer übrigens während des Abspanns noch sitzen bleibt, hört am Ende Meeresrauschen. Man kann mal darüber sinnieren, ob das eine Antwort gibt, die das Ende nicht offensichtlich gezeigt hat. Was meint ihr, falls ihr den Film gesehen habt? 🙂 Und wie hat er euch gefallen? Kanntet ihr Mary Anning zuvor bereits? Als ich etwas mehr über sie nachgelesen habe, verstand ich auch einige Kommentare im Film besser, zum Beispiel als sie einmal als „vom Blitz getroffene Mary“ bezeichnet wird. Sie hat tatsächlich einmal einen Blitzeinschlag überlebt. Sie teilt außerdem ein ähnliches Schicksal mit Salvador Dalí. Sie beide tragen denselben Namen wie ein zuvor geborenes und direkt verstorbenes Geschwisterchen, was offensichtlich bei beiden Spuren hinterlassen hat. Spannende Frau.

Eine Antwort

  1. […] die selbst auferlegte Quarantäne war ich leider nur einmal im Kino – zu Ammonite. Mensch ey, dabei hätte ich so gern The French Dispatch gesehen. Zwar läuft der noch in […]

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