Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „The Northman“

Wenn Robert Eggers ruft, dauert es nicht lang bis ich den Weg ins Kino finde. Das war aber nicht immer so. Als Filmzuschauerin musste ich etwas reifen, um seine Filme schätzen zu können. „The Witch“ hat mir erst beim zweiten Mal schauen gut gefallen. „Der Leuchtturm“ war hingegen gleich ein Wirkungstreffer. Umso gespannter war ich auf Eggers „Northman“. Die Besprechung ist weitestgehend spoilerfrei.

Als sein Vater König Aurvandil (Ethan Hawke), nach langer Schlacht zurückkehrt, könnte die Freude für den Prinzen Amleth (Oscar Novak, Alexander Skarsgård) kaum größer sein. Allerdings währt sie nur kurz. Sein Onkel Fjölnir (Claes Bang) erschlägt kurze Zeit später seinen Vater, ehelicht seine Mutter Königin Gudrún (Nicole Kidman) und eignet sich dessen Inselreich Hrafnsey an. Amleth soll getötet werden – schließlich hat er Anspruch auf den Thron. Es gelingt ihm aber zu fliehen. Als er Jahre später mit einer Gruppe Berserker in Rus Gebiete einnimmt und Sklaven eintreibt, scheint im Blutrausch jegliche Erinnerung an früher vergessen zu sein. Bis er den Namen Fjölnir hört und durch eine slawische Seherin (Björk) die Weissagung erhält, dass er seine Familie rächen kann.


„The Northman | Offizieller Trailer #1 deutsch/german HD“, via Universal Pictures Germany (Youtube)

„Ich werde dich rächen, Vater. Ich werde dich retten, Mutter. Ich werde dich töten, Fjölnir.“ sagt sich Amleth, sowohl als kleiner Junge wie auch als hünenhafter Berserker. Während Amleth basierend auf der Weissagung von Rus nach Island übersetzt um sein Mantra Realität werden zu lassen, trifft er die seherisch begabte Olga vom Birkenwald (Anya Taylor-Joy). Amleth verschweigt seine Herkunft und schleicht sich als Sklave in Fjölnirs Haus ein, wo auch Olga als Magd Zwangsarbeit verrichtet. Beide dekonstruieren aus dem Hinterhalt heraus Fjölnirs Hof, Leben und Familie. Vom Rache-Aspekt her unterhaltsam, blutig, in faszinierende Bilder gegossen und wie immer bei Eggers erfordert es etwas Ausdauer.

Wikinger- und Islandfans werden bei dem Film jedenfalls glücklicher als Alexander-Skarsgård-Fans, sofern die nur auf den Fanservice hoffen. 😉 Man muss schon ein bisschen Blut und Grausamkeit abkönnen, wenn Eggers samt Plünderei und Nasen und Köpfe abschlagen in die Vollen geht. Seine Vision und die seines Drehbuch-Co-Autor Sjón Sigurdsson vom Europa des 10. Jahrhunderts ist rau. Das Einfallen der Berserker um Amleth in das Dorf in Rus haben insbesondere derzeit einen (metaphorisch) metallischen Beigeschmack. Leider kenne ich mich mit skandinavischer Geschichte und den Bräuchen der Wikinger zu wenig aus um historientreue fundiert zu bewerten. Histo-Blogger:innen, ist das was für euch? Aber über den Daumen gepeilt, lobe auch ich, was viele andere Reviewer tun: das Bemühen um dichte, historische Akkuratesse (wir wissen, dass es nicht die historische Genauigkeit geben kann, nicht wahr?) und Darstellung des alltäglichen Lebens und Glaubens. Was das betrifft, brilliert Eggers auch in seinem dritten Langfilm.

Was Eggers aber v.A. tut: er dekonstruiert die Schicksalsergebenheit und das rücksichtslose Begründen der Gewalt mit angeblich höheren Idealen. Zumindest teilweise. The Northman hat einige starke Szenen, in denen Amleths ganzes Vorhaben leise und unterschwellig hinterfragt wird. Insbesondere seine Mutter nimmt hier eine besondere Rolle ein, in der Nicole Kidman regelrecht angsteinflößend gut spielt. Amleths Blutrausch fordert immerhin viele Opfer, die aus einem anderen Blickwinkel betrachtet unschuldig sind. Auch sehr schön abzulesen ist das Verhältnis von Wahrheit und Pathos der Sagengeschichten. Gemessen an einer Szene in der Amleth den Untoten Draugr stellen will, fällt die Fantasie oft epischer aus als die Realität. Die Botschaft hätte aber noch deutlicher und v.A. stringenter verbildlicht werden können und geht gegen Ende in Träumen vom glorreichen Einzug in Walhall gänzlich verloren. Eggers gibt in Interviews an, dass er damaligen Glauben und Weisen einfangen wollte – das ist definitiv gelungen. Aber es kommt sehr auf den Interpretationswillen von Zuschauenden an, ob das auch über ein „Krass! Geil!! Blutig!!! Wikinger!!!!“ hinaus verstanden wird.

Wem übrigens beim Namen Amleth und der ganzen Vater-Mutter-Onkel-Sache die Ohren klingeln, täuscht sich nicht. Die Figuren sind bereits der Edda entliehen und später durch Überlieferungen des dänischen Historikers Saxo Grammaticus überliefert worden. Dadurch machte Skapespeare später aus Amleth … richtig: Hamlet. Unter dem Strich ist The Northman ein guter, wenn auch für mein Empfinden nicht Eggers bester oder stringentester Film. Seine Detailverliebtheit,sein Blick für Atmosphäre und Willen zu Annäherung an historische Genauigkeit bleibt großartig und muss seinesgleichen noch mit der Lupe suchen. Eggers als ehemaliger Szenenbildner und jetzt Szenenbildner im Herzen enttäuscht nicht was Atmosphäre betrifft. Wem die isländischen Schauplätze keine Wanderlust bereiten, denjenigen ist nicht mehr zu helfen. Auch die schauspielerischen Leistungen sind eine Wucht. Es bleibt eben nur ein leicht fader Beigeschmack, wenn Eggers hier ausnahmsweise mittendrin seine starke Aussage verliert.

The Northman, UK/USA, 2022, Robert Eggers, 137 min, (7/10)

Sternchen-7

Jetzt fragt ihr sicherlich: aber welcher ist denn dann Eggers bester Film, wenn nicht der!? Für mich ist das Der Leuchtturm. Der hat richtig Spaß gemacht. Wäre er nur einen Tick kürzer und einfacher zu konsumieren, wäre es für mich wahrscheinlich einer der besten Filme überhaupt. Darüber kann man sich sicherlich streiten. Ich habe wenig Besprechungen zu „Northman“ gelesen, aber für die meisten war „Northman“ wohl Eggers bester. Wie seht ihr das? Wie hat euch der Film gefallen?

4 Antworten

  1. Der Leuchtturm war für mich einer der besten Filme der letzten Jahre.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Für mich auch 🙂

  2. Habe Northman noch nicht gesehen, möchte ich aber noch. Leuchtturm fand ich gut, aber am liebsten mochte ich „The Witch“ 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      The Witch fand ich auch großartig! Jedenfalls beim zweiten Mal schauen. Beim ersten mal fand ich es besonders, war aber irgendwie etwas distanziert und konnte mich nicht so recht in die Figuren reinfühlen. Manchmal tut’s was, wenn man ein paar jahre … ähm, reift!? XD

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