Oh ich habe lange überlegt wie ich den Titel nennen soll, aber alles war zu lang oder nur anders kryptisch. Fest steht: heute soll es (das erste Mal in der Rubrik) um Bücher gehen, die in Büchern anderer Schreibender erwähnt werden. Nicht zwingend immer anhand ihrer konkreten Titel, sondern auch einfach nur daran gemessen, was für einen hohen Stellenwert Bücher im Leben der Protagonist:innen haben. Und v.A. noch um ein weiteres Merkmal, nämlich das Alter der Hauptfiguren. Nachfolgenden Ausschnitte und Bücher demonstrieren wie wichtig Bücher für Kinder waren oder sind.
Das Buch als Freund
In Iris Wolffs So tun, als ob es regnet werden wenig bis keine Bücher erwähnt. Sehr wohl aber Geschichten. Kein Wunder, schließlich handelt es sich dabei um einen „Roman in vier Erzählungen“, der teilweise in Zeiten großer Entbehrungen spielt. Die vier Erzählungen handeln von vier Protagonist:innen in vier Generationen einer Familie. Es beginnt im ersten Weltkrieg, wo wir auch Alma kennenlernen. Als Mutter mehrerer Töchter in einer schwierigen Zeit kann man annehmen, dass Bücher knapp sind. Aber an Wert und Wirkung verlieren sie deswegen nicht. V.A. angesichts der darin aufgeschriebenen Weisheit, die sich oftmals in der Masse statt dem einzelnen Wort verbirgt. Und die in schweren Zeiten besonders durch Eskapismus helfen. Es ist wirklich nur das eine kurze, nachfolgende Zitat Almas über Bücher. Aber auch in den folgenden Erzählungen in Iris Wolffs und den Generationen, die nach Alma kommen, ist Eskapismus wichtig. In Form von Tagträumen, in Form von Geschichten bis hin zum Wunsch selber welche zu schaffen.
„Alma nahm den Streit ihrer Töchter hin. Sie hatte ihnen Fleiß und Höflichkeit anerzogen, was darüber hinausging, blieb ihnen selbst überlassen. Sie war davon überzeugt, dass ein Kind nach den ersten zehn Jahren von anderen erzogen wurde, von Freunden, Nachbarn oder Büchern, und mischte sich kaum in die Belange ihrer Töchter ein.“ p.68 in: So tun, als ob es regnet
Hat Alma Recht die Erziehung Büchern zu überlassen? Oh, da gibt es sicherlich noch viele Fußnoten.:) Wie beispielsweise: das den „richtigen“ Büchern zu überlassen. Und was sind die richtigen? Aber grundsätzlich verstehe ich wo Almas Aussage herkommt. Auch in Betracht ihres für Kriegsverhältnisse kinderreichen Haushalts. Generell finde ich aber den Zusatz, dass Bücher erziehen können wahr. Oder zumindest teil-wahr. Auch wenn meine Eltern die Erziehung nicht ausschließlich den Büchern überließen, ist es bei den Gedanken Almas naheliegend über die eigene Kindheit und den Stellenwert von Büchern nachzudenken. Für mich waren sie wie eine Tür in andere Orte und ein anderes Leben. Nichts, dass ich meins nicht mochte. Aber es war zu verlockend, diese anderen Orte zu erkunden. Eskapismus geht immer. Nur das Maß in dem Eskapismus gebraucht wird, variiert.
Ich hatte als Kind noch andere Prioritäten. Illustrationen in Büchern zogen mich noch viel mehr an als jetzt und ich erinnere mich jetzt noch an vieles anhand der Bilder, weniger der Texte. Ich hatte Lieblingsbücher. Aber viel las ich nicht. Trotzdem stimmte ich dem Lesezeichen zu, das mir damals jemand schenkte. Darauf stand ein Zitat – sinngemäß sagte es Bücher seien Freunde. An den genauen Wortlaut konnte ich mich nicht erinnern. Dem Zitat stimmte ich zu. Bücher waren immer für mich da. Während Freunde, so traurig das jetzt klingen mag, nicht immer dem durch Film und Serien zelebrierten Bild von Freundschaft mithalten konnten. Ich gestehe: das ist auch mein Problem, nicht nur das meiner Freunde. Warum habe ich nicht mehr gelesen? Wollte immer zu hoch hinaus, habe mich oft verkalkuliert. Die Sprache in Mary Shelleys Frankenstein war mir zu geschwollen, es dauerte, ich hatte keine Ausdauer dafür. Wie alt war ich? Viel zu jung! Heute weiß ich: manchmal gibt es für Bücher auch den richtigen Moment.
Für David „Davey“ Copperfield kann es wohl kaum einen besseren Zeitpunkt geben Bücher zu entdecken als seine schwierige Kindheit. Zwar hat er eine liebevolle Mutter, aber sie kann sich nur schwer durchsetzen und Davey leidet sehr unter dem fiesen Stiefvater. Die damaligen Geschlechterrollen haben dabei nicht geholfen. Zwar kenne ich die wenigsten der Helden aus den Roman, die David liest, aber die Recherche spricht hier oft von „Schelmenromanen“. Offenbar hat David in ihnen gute Freunde gefunden, die ihn aus der Misere seiner Kindheit entführen. Es war sogar mir beim Lesen ein Trost, dass es ein Ausbrechen aus David Copperfields Alltag gibt. Und viele gute Freunde zwischen Buchdeckeln. Haben die Bücher geholfen ihn zu erziehen, haben sie auch einen guten Job gemacht.
„Mein Vater hatte eine kleine Büchersammlung in einer Dachstube neben meinem Schlafraum, um die sich niemand kümmerte, hinterlassen. Aus diesem gesegneten kleinen Stübchen kamen Roderick Random, Peregrine Pickle, Humphry Clinker, Tom Jones, der Landprediger von Wakefield, Don Quichote, Gil Blas und Robinson Crusoe – eine glorreiche Schar – zu mir, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie erhielten meine Phantasie lebendig – und meine Hoffnung auf etwas über diesen Ort und diese Zeit hinaus; […].“ p.71 in: David Copperfield
Die Bibliothek als Zufluchtsort
Ist der Eskapismus zwischen den Buchseiten schon verlockend, dann ist die Bibliothek ein Versprechen auf so vieles, was es noch zu entdecken gilt. Kein Wunder, dass für viele der Protagonist:innen in Büchern Bibliotheken ein scheinbar magischer oder manchmal einfach tröstlicher Ort sind. In Der blinde Mörder kompensiert Iris was ihr fehlt durch das Lesen von Abenteuerromanen wie Charles Dickens Eine Geschichte aus zwei Städten oder welchen über die Eroberung Perus und Xanadu. Die Reise kann für Iris nicht weit genug sein. Sie bedient sich in der Bibliothek ihres Großvaters, in die sei früher nicht durfte außer um unterrichtet zu werden. Ein Jammer. Wobei es ihre Familie mit dem Unterricht und der Ausbildung eigentlich auch nicht so genau nahm. Schon gar nicht mit Träumen, Wünschen und Perspektiven. Mädchen, was soll man mit denen schon anfangen? So der Unterton dessen, was Iris Vater tut, vielleicht nicht denkt oder sich bewusst macht.
„Die Regale waren voller schwerer ledergebundener Bücher mit in mattem Gold geprägten Titeln, und ich bezweifle, dass Großvater Benjamin sie je gelesen hat: sie waren nur Großmutter Adelias Vorstellung davon, was er hätte lesen sollen.“ p.209 in Der blinde Mörder
Vielleicht kann man also auch noch große Kinder erziehen? 😉 Auch wenn dann erst Iris die Bibliothek so richtig zu schätzen wusste. Hier ist es eine Privatbibliothek. Auch ich träumte als Kind von aneinander gereihten, dich gepackten Bücherregalen voller Lieblingsbüchern oder welchen, die es noch werden können. Ein Ort, an dem alles gut ist. Ein Ort voller Freunde und Sicherheit. Vielleicht strahlt deswegen auch die öffentliche Bibliothek dieselbe Atmosphäre aus!? Nur, dass dort am ehesten mal jemand „Psssst!“ sagt!? Da Ray Bradbury viel in Bibliotheken abhing, kommt es wohl nicht von ungefähr, dass die Bibliothek in seinem Schauerroman Das Böse kommt auf leisen Sohlen eine große Rolle spielt. Zuerst einer, in dem auf die beiden Hauptcharaktere Will und Jim reichlich Eskapismus wartet. Und später hoffentlich Schutz bietet – vor dem Bösen auf den leisen Sohlen.
„Die Tiefen der Bibliothek lagen wartend vor ihnen. Draußen in der Welt ereignete sich nicht viel. Doch hier, an diesem sonderbaren Abend, in einem aus Papier und Lederrücken aufgemauerten Land, da war alles möglich. […] Die Bibliothek war eine Fabrik für Gewürze aus fernen Ländern. Hier schlummerten fremdartige Wüsteneien.“ p.24 in: Das Böse kommt auf leisen Sohlen
Hier schließt sich der Kreis – Wills Vater ist Bibliothekar und wird später der quasi Hauptcharakter des Buches. Und hier schließt sich auch mein Kreis. Denn auch wenn in meiner Familie inzwischen aus Zeitgründen wenig bis gar nicht gelesen wird, war meine Mutter mal Bibliothekarin. Und viele meiner ersten Bücher waren welche, in denen eine Leihkarte (bzw. Buchkarte) steckte. Das bringt mich auch zu den letzten Gedanken über Bücher in Büchern und den sonderbaren Zauber von Bibliotheken, nicht zu wissen womit man dieses Mal herausmarschiert.
Is the hype real?
Nun ja, man kann Autor:innen dann schon unterstellen, dass sie sehr arg ihre eigene Zunft feiern. Aber immerhin nicht ohne Grund. War eins der genannten Bücher vielleicht die Initialzündung selber zu dem Eskapismus beizutragen? Das Feuer am brennen zu halten? Die Freunde auf den Weg mitzugeben, die anderen beistehen? Vielleicht! Ein anderer Gedanke, der mir wiederum beim Schreiben dieser Worte kam: Wer hat schon Privatbibliotheken? Das ist ein Privileg und wie man leicht vergisst: lesen können auch. Unterricht zu haben. Eine Bibliothek besuchen zu können. Oder jemanden zu haben, der einem Lesen als etwas wertvolles vermittelt. Oder jedes Buch kaufen zu können, das man möchte. Sowohl vom monetären als auch der Verfügbarkeit. Daher lasst es uns nicht als gegeben ansehen, sondern feiern! Read on! Und lass uns übelregen, ob wir den Zirkel aufrecht erhalten. Ein Buch verschenken, verleihen, verkaufen, abgeben, spenden. Lasst uns aber auch nicht vergessen: wir reden zwar von Büchern im Speziellen, darin sind aber zumeist Geschichten und Geschichten lassen sich auch in Bildern erzählen. Oder wurden mündlich weitergegeben. Menschen haben stets Wege gefunden.
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Das war der erste Aufschlag zu „Bücher in Büchern“! Sie kennen dieses Format aus Reihen wie Famous First Words I, Musik in Büchern II oder Darüber, die Stelle im Buch zu finden, die den Titel erklärt II! Ok, genug der Werbesprüche. 🙂 Ich sammle schon eine Weile Zitate und Textstellen, in denen Bücher sich selbst zelebrieren oder weise Worte über den Wert von Literatur fallen lassen. Und in den allermeisten Fällen konnte ich zustimmen. Die nächste Ausgabe kommt bestimmt bald. Welche Bücher fallen euch ein, in denen Kinder in Büchern ihre besten Freunde fanden? In denen Bücher leben oder die Welt retteten? Oder in denen Bücher andere Bücher referenzierten? Nutzt ihr eifrig Bibliotheken? Hier geht es übrigens zu allen anderen Literarischen Fundstücken.
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