Es mag schräg klingen, aber ich habe abstimmen lassen. Als ich neulich mein Starz Play Abo (als Amazon Instant Video Channel) kündigte, nahm ich den leichten Druck der Deadline als Anlass noch irgendwas zu schauen, was ich dort auf der Watchliste habe. Aber was!? „Tokyo Vice“ und „Station Eleven“ waren in der näheren Auswahl und ich auf beides gleichermaßen gespannt. Euch habe ich auf Twitter gefragt. Wenige haben geantwortet. Waren sich aber einig. Und war’s ein guter Tipp? 🙂 Die Besprechung ist spoilerfrei.
„I remember damage“
Kirsten Raymonde (Mackenzie Davis) ist eine von wenigen die das Vorher und Nachher einer verheerenden Katastrophe erlebt. Die Menschheit wurde durch eine Supergrippe zu großen Teilen dahingerafft. Ein kleiner prozentualer Teil überlebt. Infrastruktur verkommt, Smartphones und das Internet werden ein Mythos, Elektrizität ist Luxus. Kirsten wusste schon früh, dass sie Schauspielerin werden möchte. Und so reist sie mit der Traveling Symphony, einer Theatergruppe, durch die postapokalyptische Landschaft und verbreitet den Spirit Shakespeares. Wo sich die Natur Teile der Infrastruktur und Städte zurückgeholt hat. Wo Siedlungen symbolische Namen tragen und alte vergessen sind. Wo es aber auch nicht nur ungefährlich ist. Zuerst waren da die Gerüchte und Warnungen, dann kreuzen sich wirklich die Wege Kirstens mit dem Propheten (Daniel Zovatto), der sich nicht nur als gefährlich herausstellt, sondern Erinnerungen bei Kirsten weckt. Woher kennt er Sätze wie „I remember damage“, die doch eigentlich nur Kirsten kennen kann?
STATION ELEVEN Trailer (2021), ONE media, Youtube
„To the monsters we’re the monsters“
Es ist schon bittere Ironie, dass die Adaption von Emily St. John Mandels Roman um eine Supergrippe und ihre Auswirkungen auf die Menschheit von einer echten Pandemie eingeholt wurde. Das Buch spielt in Kanada, gedreht werden sollte in den USA und prompt musste Covid-bedingt wieder nach Kanada verlegt werden. Auch wenn das also für die Dreharbeiten nicht gelten mag, ist Station Eleven ein Buch und eine Serie zur rechten Zeit. Denn was Station Eleven fabelhaft versteht ist Zuschauenden etwas von dem Frieden zurückzugeben, den die Pandemie vielleicht geraubt hat. Verunsicherung, vielleicht sogar Bedrohung, Verlust und begrenzten Freiräumen entgegen zu setzen, dass es ein danach gibt. „Menschheit“ ist hier allerdings etwas weit gefasst, schließlich konzentriert sich die Handlung auf eine Handvoll Personen.
Das bedeutet v.A. Kirsten als Erwachsende nach der Supergrippe und Kirsten als Kind (Matilda Lawler) – vor „Jahr 0“ und währenddessen. Station Eleven springt zwischen den Zeitebenen aber nie zu stark. Stets so, dass es uns Brotkrumen entdecken lässt. Und grob chronologisch bleibt. Relativ früh sehen wir wie sich der im Leben eher etwas orientierungslose Jeevan Chaudhary (Himesh Patel) zufällig der kleinen Kirsten annimmt und versucht das richtige zu tun in einer Zeit wo jeder an sich denkt. Sein Zimmer versiegelt, seine Essensvorräte hortet. Irgendwo in diesem dichten Netz aus Menschenleben ist auch der Schauspieler Arthur Leander (Gael García Bernal) und seine Exfrau Miranda Carroll (Danielle Deadwyler), die auf viele verschiedene Arten ohne es zu ahnen zu einem Lifesaver wird. Da ist der Junge Tyler (Julian Obradors), der für sein Trauma keine Worte findet und Clark Thompson (David Wilmot), der in der Krise überraschend oft die richtigen Worte im richtigen Moment findet.
All ihre Leben sind miteinander verbunden. Manche Wege kreuzen sich fast schicksalhaft, andere gehen zu früh auseinander. Sie alle eint Trauma. Häufig konnten sie sich von ihren Lieben nicht verabschieden. Haben nur Vermutungen was aus ihnen geworden ist, waren im entscheidenden Moment nicht da. Und auch wenn sie die Gelegenheit hatten „Goodbye“ zu sagen, dann ist das abrupte Ausscheiden aus einem ehemals „normalen Leben“ schmerzhaft. Station Eleven demonstriert an ihnen allen faszinierend gut und einfühlsam ausgearbeitete Charakterreisen. Ich habe nicht nur einmal geweint.
„This strange and awful time was the happiest of my life“
„There is no before“
Was Station Eleven hierbei auszeichnet ist v.A. das vollkommene Abhandensein eines Genres. Wenn man sich irgendwie behelfen muss und es um große Gefühle geht (wir können Trauma, Angst, Verlust anbieten), dann schreibt man gern Drama ran. Das kann man schon machen. Dann ist da aber auch das surreale, der sich um sie herum schnell verändernden Welt: die Eskalation der Supergrippe. Außerdem ist da dieser Hauch von Science-Fiction und Dystopie, die wie wir gemerkt haben, gar nicht so dystopisch ist. Und die Flucht in die Fiktion, die sich manchmal leicht nach Fantasy anfühlt. Nicht zu vergessen die Bedrohung durch den Propheten. Dass wir alle Puzzleteile rund um die Personen zusammenfügen können ist Leitmotiven zu verdanken, und davon gibt es einige.
Das offensichtlichste ist wohl Station Eleven. Der Comic, aus dem all die oft zitierten Sätze stammen, die auch die Überschriften dieses Artikels zieren. „I remember damage“ ist wohl mehr als passend für all das Trauma, das all die Überlebenden in sich tragen. „To the monsters we’re the monsters“ erzählt von der Gewalt, zu der Menschen plötzlich im Stande sind, wenn es um ihr Überleben angesichts knapper Ressourcen geht. „There is no before“ ist der Wunsch zu vergessen und sich nicht daran erinnern zu müssen, was man alles verloren hat. Das klingt alles unendlich düster, v.A. ist Station Eleven aber tröstlich. Wenn wir die Charakterreisen weiter begleiten sehen wir da selbstlose Taten, Versöhnung und Zusammenhalt. Ja bitte, davon hätte ich gern mehr. Immer.
Dass „There is no before“ nicht die Lösung ist, lernen wir anhand all den Reminiszenz und Überbleibseln einer Zivilisation. Technik, Bauten und Infrastruktur, die niemand mehr pflegen kann, weil es zu wenige Menschen gibt und weil Wissen abhanden gekommen ist. Weil digitales zusammen mit den Servern auf denen es gespeichert war, verstummte, nachdem die Kraftwerke ausstiegen. Die Serienschöpfer haben einen faszinierend guten Job gemacht das abzubilden. Dazu gehört auch die Charaktere in Überbleibsel eines ehemals sehr privilegierten Lebens einzukleiden. Die Welt in der Kirsten und die anderen jetzt leben ist eine neue Form der Kreativität, der Gelassenheit, eine Neu-Definition von Besitz und Privileg. In vielen Dingen ist dieses „danach“ freier, weswegen gerade das Nomadendasein der Traveling Symphony ein essentieller Bestandteil der Story ist und angenehm andere Impulse liefert als es andere vermeintliche Dystopien tun. Es mag nicht minder gefährlich sein, aber es ist v.A. das: ein Neustart.
Was Station Eleven uns auch lehrt ist Shakespeare, Geschichten erzählen und den Wert von Fiktion und Kunst zu schätzen. Egal ob es der Comic Station Eleven ist, der über so viele Jahre hinweg immer wieder auftaucht und immer wieder Leben beeinflusst, oder ob es Hamlet ist. Die Parallelen zum Leben der handelnden Personen zu der Kunst sind anfangs subtil, später immer präsenter. Shakespeare wird zum Streitthema, zur Ehrensache. Station Eleven wird eingeschweißt und verschenkt, es wird darum gekämpft, es wird heiß geliebt. Kunst ist der Eskapismus, Kunst ist Verarbeitung. Kunst ist etwas, das wir mehr brauchen als wir denken. Wundervolle Serie. Ich würde sie auch gern einschweißen und überall hin mitnehmen und auspacken, wenn ich sie brauche. (10/10)
How the Pandemic Altered a Small, but Pivotal Scene in ‘Station Eleven’, Variety, Youtube
Header image uses a photo by Marek Studzinski on Unsplash
Also um meine Frage aus der Einleitung nochmal explizit zu beantworten: ja! Es war ein sehr guter Rat von euch „Station Eleven“ zu schauen. Vielen Dank! 🙂 Bisher habe ich noch nichts von Emily St. John Mandel gelesen, aber „Station Eleven“ hat mich so begeistert, dass ich das gern nachholen würde. Es passiert quasi nie, dass ich nach dem Schauen einer Verfilmung den Wunsch habe die Literaturvorlage zu lesen. Eher andersrum. Oder das Buch vor der Adaption. Aber ich habe richtig richtig Bock mir die Vorlage zu geben oder irgendwas von Emily St. John Mandel zu lesen. Empfehlungen? Bei meiner Bewertung gibt es übrigens ein paar seltsame Dinge, die ich bereit bin zu übersehen. Beispielsweise die irgendwie sehr mitreißende, aber auch sehr unsinnige Szene um Dan und das Mikro, als er sich um eine Stelle bei der Traveling Symphony bewirbt.
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