Spät, aber doch!? Ja eigentlich wollte ich mir „Der Gesang der Flusskrebse“ für das Heimkino aufheben. Aber dann fragte eine Freundin, die das Buch sehr mochte und der Rest ist Geschichte. Ich hingegen kannte weder das Buch, eher die Skandale rings um Autorin der Literaturvorlage Delia Owens. Dabei lese ich gar keine Klatschzeitungen. Tja. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Im Marschland North Carolinas der 60er Jahre wird einer der populären Söhne der Kleinstadt, Chase Andrews (Harris Dickinson), tot aufgefunden. Quarterback war er, beliebt und vermisst. Der jungen Frau Kya alias Catherine Clark (Daisy Edgar-Jones) wird nachgesagt, dass sie was von ihm wollte. Sie ist das komplette Gegenteil von Chase. Von den Eltern verlassen, allein im Marsch aufgewachsen, hat nie eine Schule besucht und erweckt eher den Eindruck sich vor anderen zu verstecken. Die perfekte Schuldige – eine sonderbare Einsiedlerin in den Augen der Leute, die sie nur als „Marschmädchen“ kennen. Strafverteidiger Tom Milton (David Strathairn) kann aber nicht mit ansehen wie einfach es sich gemacht wird als Mord zu deklarieren, was auch ein Unfall hätte sein können. So bietet er ihr Unterstützung an und wir Zuschauende erfahren wie Kya aufgewachsen ist, ihre erste große Liebe Tate (Taylor John Smith) und später Chase kennenlernte.
Der von Reese Witherspoon und Lauren Neustadter produzierten Film basiert auf dem Roman Where the Crawdads Sing (im Original) von Delia Owens. Reese Witherspoons Involvierung lässt sich auf ihren recht prominenten Buchclub zurückführen, in dem die Vorlage thematisiert wurde. Im Vorfeld des Films wurde Trubel um Autorin Owens in ihrer Funktion als Zoologin und Tierschützerin laut. Ihr Stiefsohn soll einen Wilderer umgebracht haben (Quelle Vanity Fair). Ich hadere damit, ob das eine gute Werbeaktion ist oder ein in der Tat streitbare Diskussion um Moral, Fiktion und Fakten. Jeder ist dazu eingeladen sich selbst eine Meinung zu bilden. Was in der Tat ein ähnliches Motiv ist, sind die Liebe zur Natur und die Schuldfrage. Kya zieht im Film aus der Natur ihre Kraft und Resilienz, fühlt sich darin sicher. Menschen hingegen gaben ihr selten das Gefühl von Sicherheit. Und falls doch, war sie sich seither sicher „Menschen bleiben nicht“.
DER GESANG DER FLUSSKREBSE Trailer German Deutsch (2022), KinoCheck, Youtube
In der Tat ist Kyas Geschichte tragisch und empathisch erzählt. Man wünschte ihr, dass mal jemand bleibt. Geht Sicherheit mit Isolation einher, ist Sicherheit auch nur ein schöner Käfig. Soll Kya nun dankbar für den Schutz der Natur abseits anderer Menschen sein, oder ihre Isolation verdammen? Denn vor Allem nachdem sie Tate kennenlernte, wurde sie sich ihrer Einsamkeit wieder bewusst. Was also auch nicht unerwähnt bleiben darf ist die Liebesgeschichte und das Gerichtsdrama, das Der Gesang der Flusskrebse auch ist. Zwar mag der Film beides nicht neu erfinden, aber zumindest ist die Liebesgeschichte zart erzählt. Mit welchem der beiden Männer aber? Davon könnt ihr euch dann im Kino überzeugen. Als Gerichtsdrama mag es nicht besonders überraschen und auch die Figur des Anwalts Tom Milton hätte noch etwas mehr Profil vertragen können. Der Film tut das Minimum um den Fall empathisch vorzutragen und uns mitfiebern zu lassen, wenn die Geschworenen ihre Entscheidung verkünden. Schafft es eine US-Kleinstadt in den 60ern sich über ihre gepflegten Vorurteile zu erheben? Es ist auch ein Kampf gegen Othering, der hier sehr früh gekämpft wird.
Kyas Geschichte hat zwischen all dem wahnsinnig viele fehlende Fußnoten. Wie hat sie allein überlebt? Außer mit Muscheln sammeln? Warum hat sich ihre eigentlich recht große Familie nie wieder um sie geschert? Warum wird Tates Geschichte ab einem gewissen Punkt nicht noch etwas hinterfragt? Auch muss man erstmal verschmerzen, dass die ehemals im Dreck und allein in den 60ern aufgewachsenen Kya später aussieht und sich kleidet wie ein Model aus einem H&M Frühjahrskatalog. Es fällt bei der einfühlsamen Darstellung von Daisy Edgar-Jones leicht sich romantisch in dem Traum der naturnahen Marsch-Prinzessin von Federn sammeln und Malen in der Natur zu verlieren. Vielleicht ist das auch der einzige Knackpunkt neben den plot holes. Das es alles ein bisschen zu schön dargestellt ist und zu sehr vehement gefallen will.
Der Gesang der Flusskrebse (OT: Where the Crawdads Sing), USA, 2022, Olivia Newman, 126 min, (7/10)
Was tatsächlich gefällt: die Naturaufnahmen. Natürlich ist das nicht alles. Ich habe mich in dem Film wie man den Sternchen ansieht gut unterhalten gefühlt. Aber so ein paar Tage nach dem Kinobesuch merke ich, was mir gefehlt hat. Kennt ihr zufällig die Literaturvorlage und wie hat euch der Film als Adaption gefallen? Oder auch gern eure Meinung ohne Kenntnis der Vorlage? 🙂
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