Das hätte eigentlich mein Frauentags-Artikel sein sollen bis mir etwas anderes auf- und einfiel. Jeder Tag ist Frauentag, genauso wie jeder Tag Männertag sein kann und jeder Tag auch allen gehört, die sich nicht bei diesen beiden Begriffen einordnen. Was ich aber am Frauentag schon feiere und niemand von uns leugnen kann ist das lange Streben nach Gleichberechtigung und Anerkennung. Ich könnte euch Geschichten aus meinem Leben oder denen anderer Frauen erzählen, die zeigen, dass wir leider immer noch auf dem Weg und noch nicht angekommen sind. Vielleicht fragt ihr einfach mal die Frauen in eurem Alltag. Heute geht es aber nicht um all den Schmutz an Unterschätzung, Diskriminierung, Sexualisierung, gar Gewalt oder Erasure. Heute gibt es hier ein leuchtendes Hinweisschild auf Frauen, die großartiges leisten. Es sind „nur meine“ persönlichen Game-Changerinnen. Frauen, die mich in verschiedenen Lebenssituationen beeinflusst haben. Im Stile einer Top-Liste numerieren kann und will ich sie nicht, weil ich Einfluss nicht messbar machen kann.
Margaret Atwood
Gibt es ein Genre, dass Margaret Atwood noch nicht erobert hat? Krimi in Alias Grace, Drama in Der blinde Mörder, Science-Fiction in der MaddAddam-Reihe beginnend mit Oryx und Crake und Dystopie in Der Report der Magd. An Humor mangelt es den Büchern trotz der teilweise harten Themen auch nicht. Zwischen den Zeilen liest sich ein feises Gespür für das Handwerk, die Kunst des Schreibens, heraus. Ich erinnere mich gern an die verpflochtene und mehrschichtige Handlung im blinden Mörder und die clever arrangierte (Un)Schuldfrage in Alias Grace. Ob der fast hellsichtige Gegenwartsbezug von The Handmaid’s Tale oder die wissenschaftlichen und Umwelt-Aspekte in Oryx und Crake – Atwood greift zudem gesellschaftliche Streitthemen auf und verarbeitet sie mal subtil, mal weniger subtil in Fiction. Atwood ist ein Vorbild und ja, als ich mal auf der Suche nach einem Schreibkurs war, habe ich ihren abonniert. Sie ist für mich ein Genie.
Iconic Author Margaret Atwood on Abortion, Twitter, and Predicting Everything We’re Doing Wrong, VICE Life, Youtube
CLAMP
Über kaum jemanden in dieser Liste weiß ich soviel und doch so wenig wie über die japanische Mangazeichnerinnen-Gruppe CLAMP. Ich habe unheimlich viel von ihnen gelesen. Meine Finger reichen nicht, um die Reihen CLAMPs aufzuzählen, die ich als Teenagerin verschlungen habe. Auch hier zwischen allen Genres. Ob das steampunkige und melancholisch-schöne Clover, das apokalyptische X-1999 oder gar Magical Girls Krams wie Card Captor Sakura ^^ … es ist fast alles dabei. Erotik gelang ihnen nie so ganz, obwohl sie es mehrmals versucht haben (z.B. Chobits). Dass ich so wenig über sie als Person weiß, liegt v.A. an der Zurückgezogenheit der Gruppe. Sie zeigten sich lange gar nicht in der Öffentlichkeit. Der Kult um CLAMP liegt sicherlich v.A. in ihren Werken begründet. Trotzdem feiere ich es sehr, dass die Gruppe langläufig aus wechselnden weiblichen Zeichnerinnen bestand bis sie sich zu dem Vierergespann formierte, das sie noch heute sind. Lange gehyped, wurde es in letzter Zeit eher ruhig um sie. Immerhin ist die Involvierung in das vor einigen Jahren gestartete Card Captor Sakura Remake, den (geplatzten?) Tokyo Babylon Anime und ein anstehendes Netflix-Projekt bekannt. Also gibt es vielleicht bald wieder mehr von CLAMP zu sehen.
Agnès Varda
Als ich vor vielen Jahren anfing über Filme zu bloggen und Werkschauen zu wechselnden Themen zu machen, wurde mir das eklatante Ungleichgewicht zwischen Regisseuren und Regisseurinnen bewusst. Historisch betrachtet, versteht sich. Natürlich gibt es unfassbar viele fantastische, zeitgenössische Regisseurinnen, deren Filme ich am liebsten alle sehen will. Zeitgenössisch bedeutet aber eben auch: diese Filmografien sind noch dabei gemacht zu werden. Suche ich welche mit sieben Filmen für meine Werkschauen, dann sieht das schon schwieriger aus. Wie konnte das passieren, wo es Trailblazer und Vorreiterinnen gab wie Agnès Varda, die quasi rücksichtslos Filme in die Welt filmte, damit experimentierte und ein Genre mitbegründete? Worüber ich mir immer noch unklar bin ist wie treffend ich einen Spitznamen wie Grand-mère de la Nouvelle Vague (Großmutter der Nouvelle Vague) finde. So oder so habe ich mich neulich quer durch ihre Filmografie geschaut und es war spannend und ich habe es genossen mir Zeit für ihre Filme zu nehmen, die so vor weiblichen Sichtweisen strotzen und der Freiheit zum filmischen Experiment. Das Video unten mag Werbung sein, es ist aber auch eine gute Zusammenfassung von Vardas Schaffenswerk und visuellem Stil. Wer je daran gezweifelt hat wie rebellisch der weibliche Film aussehen kann, sollte bei Varda anfangen. Und bloß nicht aufhören. Denn es ist mir nicht klar wie weibliche Regiearbeit übersehen werden oder nicht vertraut werden kann.
THE COMPLETE FILMS OF AGNÈS VARDA Trailer, criterioncollection, Youtube
Brit Marling of Netflix’s ‚The OA‘ had a Near Death Experience at Goldman Sachs, theoffcamerashow, Youtube
Brit Marling
Ich warte so laut auf den nächsten Streich von Brit Marling (Retreat soll die Serie heißen), so laut habt ihr noch nie jemanden warten hören. Bis jetzt hat mich noch jede Serie oder jeder Film mit Brit Marling als Darstellerin und/oder Drehbuchautorin schwer beeindruckt. Ihre Ablehnung des überstrapazierten Begriffs strong female lead, ihre Entscheidung ihrer Karriere im Finanzwesen den Rücken zu kehren und ihr Mut für unkonventionelle Stoffe sind nur drei Gründe. Die Absetzung von The OA war das erste Mal, dass Netflix mir das Herz brach. Die Einflüsse und Songs sind aber noch heute Teil meiner Playliste wie auch meiner Gedanken. Falls ihr noch nicht die Ehre hattet, empfehle ich auch sehr die Filme Another Earth, Sound of My Voice und I Origins.
Simone de Beauvoir
Noch weiß ich nicht, ob Existentialismus mein Ding ist. Außerdem stehe ich noch relativ am Anfang meiner Auseinandersetzung mit Simone de Beauvoir. Aber ich finde ihre Romane bisher faszinierend. Ihr Alle Menschen sind sterblich ist einer meiner Lieblingsromane, dessen pointierte Betrachtung über die Welt, Macht und Beziehungen ich so mutig und kraftvoll fand. Es ist ein Abgesang auf den menschlichen Wunsch nach Unsterblichkeit und ich kann es kaum erwarten noch mehr von dem zu lesen, was Simone de Beauvoir zu sagen hat.
Ursula K. Le Guin
Man kann noch Talks und Interviews mit Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin finden, die gerade mal 5 Jahre alt sind. Inzwischen ist sie leider verstorben. Wie wir auch neulich beim Lesen von Left Hand of Darkness im Buchclub feststellen mussten, sind die Inhalte ihrer Bücher noch immer voller spannender Debatten und bieten zumindest mir soviel mehr als andere Sci-Fi-Klassiker, die ich gelesen habe und die öfter kopiert wurden und doch weniger tief gingen als ihre Romane.
Buchbloggerinnen
Warte – während ich hier so schreibe, fällt mir auf, dass ich Sabine zu verdanken habe, dass ich mehrere der Autorinnen hier überhaupt kennen gelernt habe. So gesehen ist Sabine dann auch eine meiner Game-Changerinnen. Überhaupt hat mich die Blognachbarschaft sehr bereichert. Mir vieles beigebracht, mich auf spannendes oder diskutables aufmerksam gemacht. Ich habe viel gelernt. Denn so ist es doch letzten Endes. Hören wir anderen zu, erweitern wir unseren Horizont. Ein Hoch auf die Blog-Nachbarschaft, v.A. auch aus Bloggerinnen, die das Zerrbild helfen zu korrigieren. Die einen Autorinnenschuber zusammenschreiben, statt immer mehr des gleichen die Bühne zu geben. Die über Frauen in der Science-Fiction schreiben wie Sabine oder Erasure in Historienadaptionen.
Mai Thi Nguyen-Kim
Ich frage mich, ob Männer überhaupt nachvollziehen können, was für ein Quantensprung es für Frauen darstellt, wenn der Wissenschafts-Erklärbär kein alter, weißer Mann ist, sondern eine Frau!? Zumindest erlaube ich mir zu sagen: mir bedeutet es unfassbar viel. Ich komme noch aus einer Generation, in der man in der Schule(!) gesagt bekommt, dass technische Beruf nichts für Mädchen sind. Zwar kennen die meisten Mai Thi Nguyen-Kim wahrscheinlich durch ihren Youtube-Kanal mailab, dabei ist das noch nicht mal der Anfang ihrer Karriere. Es gab bereits davor einige Wissenschaftsformate, in denen die promovierte Chemikerin mit Stereotypen aufräumte, sich für gesunden Diskurs und Wissenschaftskommunikation einsetzte. Inzwischen kann man ihre Sendung MAITHINK X – Die Show im ZDF sehen und sie ist in vielen anderen Formaten zu Gast. Was ich am meisten an ihren Formaten bewundere ist, dass sie keine Angst vor Streitthemen hat und die von vielen verschiedenen Seiten betrachtet. Sie hört auch die Kritiker:innen-Stimmen und geht darauf ein. In allen ihren Formaten ist Wissenschaft so, wie sie kommuniziert werden sollte: nicht von oben herab, verständlich und belegt*. (* natürlich gibt es immer irgendwem, dem:der das nicht ausreicht..)
Kathryn Bigelow
Kathryn Bigelow macht das, was viele nicht von Regisseur:innen erwarten. Sie nimmt sich beinharter Stoffe an und dreht Filme darüber. Ob Hurt Locker, Zero Dark Thirty oder mein Lieblingsfilme von ihr Strange Days – Bigelow macht es und liefert ab. Sie ist für mich der personifizierte Gegenbeweis, dass Begriffe wie „Frauenfilme“ (gleichermaßen „Frauenliteratur“) ganz mächtiger BS sind. Außerdem hat sie wahrscheinlich den Female Gaze erfunden. 😉
Kathryn Bigelow: Directorial Trademarks, Fandor, Youtube
Han Kang
Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang ist längst Liebling der Kritiker:innen, Buchbloggender etc. Wie viele in dieser Liste ist sie hier wegen ihres Werks, wobei ich über ihre Person vielleicht gar nicht soviel weiß wie man wissen könnte. Was ich aber weiß: ihre Bücher sind fast zeitlose Spiegel von gesellschaftlichen Themen. Es ist nicht mal ihr wohl bekanntestes Werk (Die Vegetarierin), sondern viel mehr Deine kalten Hände, das mich am meisten begeisterte. Es handelt von den Masken, die Menschen für die Gesellschaft aufsetzen. Wenn ich Han Kang lese, habe ich den Eindruck, das sie Gefühle besser erkennt. Mehr erkennt. Besser versteht, was Menschen bewegt und gnadenlos draufhält. Ihre Bücher enthalten nicht immer körperliche Gewalt, aber sind brutal in ihrer Offenlegung von all dem, was in uns vorgeht.
Notable Mentions
Wie schon bei Simone de Beauvoir und Han Kang herauslesbar sind viele Personen hier in der Liste, obwohl ich kein komplettes Wissen über ihre Person, ihre Ansichten oder ihr Privatleben habe. Zum Einen ist das denke ich auch per se unmöglich. Zum Anderen muss ich nicht ein Poesiealbum voll mit Zeitungsartikeln über sie haben, um sie als Game-Changerinnen auf ihren jeweiligen Gebieten zu verstehen. Es gibt auch eine Menge Personen, die ich nicht in die Liste oben aufgenommen habe, weil mein Wissen über sie mir noch zu unkomplett erscheint. Weil ich noch mehr über ihren Werdegang wissen will oder sehen will wo es für sie hin geht wie im Falle der Autorin Hanya Yanagihara und Sharon Dodua Otoo, von Becky Chambers, der Wissenschaftlerin Sabine Hossenfelder und Regisseurin/Drehbuchautorin/Schauspielerin Greta Gerwig. Wie im Falle von Alice Oseman, die das wunderbare Heartstopper geschrieben und illustriert hat.
Oder im Falle der Politikerin Annalena Baerbock. Sie macht moderne, feministische, empathische Politik und es ist für mich teilweise unfassbar wie jede ihrer Bewegungen vielfache, unsachliche Stimmen produziert. Wurde jemals die Krawattenfarbe eines Politikers mit soviel Hass diskutiert wie die Wahl ihrer Anzug- oder Kleidfarbe? Die Kommunikation über Frauen des öffentlichen Lebens in der Öffentlichkeit ist mehr als schwierig. Manchmal kommt es mir vor wie ein Spiel, das man nur verlieren kann. Wenn ich das so empfinde, schaue ich mir wieder diese Liste an von Frauen, die das Spiel geändert haben. Happy Frauentag – denn das ist jeder Tag.
Welche Frau ist eure Game Changerin? Nicht genannt habe ich übrigens Familienmitglieder und Freundinnen, die durchaus meine Game Changerinnen waren und sind. 🙂 Auch nicht genannt habe ich fiktive Figuren. Und ja, ich war kurz davor „Sailor Moon“ zu nennen bzw. das „Sailor Team“. Du lachst!? Lach ruhig – ich tue es auch. Aber es ist so – es ist eine Serie, die gezeigt hat, dass Charaktere und Beziehungen zwischen Freundinnen unterschiedlich sein können und doch funktionieren. Dass man ein „ich selbst“ sein kann und keine Kopie idealisierter anderer Charakterzüge.
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