Im Titel hätte es auch heißen können: „wann“ Serien nicht mehr funktionieren. Der Beitrag widmet sich beidem. Kennt ihr das? Ihr freut euch sehr, weil endlich das Box-Set einer eurer Lieblings-Kindheitsserien auf Disc rauskommt oder die Serie auf einem Streaming-Portal aufgetaucht ist. Auf der Couch sitzend, drückt ihr auf Play, aber schon nach dem Ende der ersten Folge, friert euch das Lächeln ein. Es gibt einige Gründe, aus denen Serien plötzlich nicht mehr funktionieren. Lasst uns das mal auseinander nehmen … .
„HD und 4K war noch kein Konzept“ – Technik-Affront
Schlecht aufgelöst und quadratisch, praktisch gut? So erschien mir neulich der Anime Trigun (nicht das Remake!). Das war etwas verstörend. Dass sich technische Anforderungen im Laufe der Zeit überholen ist nicht neu und muss auch nicht zwingend nur Animationsserien betreffen. Hier merken wir mal wieder, warum Box-Sets häufig digital remastered erscheinen: damit sie mit modernen Sehgewohnheiten wieder mithalten können. Dabei ist Trigun aus dem Jahr 1998 und damit auch nur 25 Jahre alt. Und damit jünger als ich. Warum trifft es trotzdem so hart? Wir wussten doch, dass Bildschirme früher kleiner waren? Sicher, aber das vergisst man leicht. Manchmal wird man durch den Retro-Charme von Serien selber daran erinnert. Da trägt jemand Dauerwelle, Schulterpolster und das Handy ist ne halbe Telefonzelle!? Eine Zeitkapsel! Und stört mich das gleichermaßen?
Ich behaupte, dass Auflösung mehr „stört“ als Retro-Charme. Kommt sicherlich auf Zuschauende an, aber ich tue mich mit „schlecht aufgelöst und quadratisch, praktisch gut“ schwerer, während ich die Telefonzellen manchmal noch recht witzig finde. Oder auch kreativ wie man sich so manche technischen Errungenschaften in Raumschiff Enterprise vor- oder darstellte. Zugegebenermaßen ist auch das manchmal regelrecht Comic Relief. 😉 Etwas überraschter bin ich schon, wenn in einigen Episoden von Star Trek The Next Generation einige Szenen blurry und nicht fokussiert sind. Fiel das niemanden auf? Mit der verbreiteten Bildschirmauflösung und damaligen Kameras hat das nicht soviel zutun. Dazu gibt es einen schönen Artikel am Beispiel von Seinfeld: Have You Ever Noticed How out of Focus a Lot of Old TV Shows Are?
Auch sehr schön erläutert:
Why Star Trek Remasters Are So Hard, Rowan J Coleman, Youtube
„War das schon immer so langweilig!?“ – Sehgewohnheiten, Zeitwahrnehmung und Lebensumstände
Ja, manche Serien kommen so lähmend langsam zur Sache, dass man meint schneller zu altern, während man sie schaut. 🙂 Aber ich meine vor Allem den Shift in der Wahrnehmung von Serien. Das trifft mich häufig, wenn ich Serien rewatche, die ich als Kind geliebt habe wie Lady Oscar, Naruto Shippuden oder Charmed. Woran liegt das? Zum Einen am Aufbau der Serien. Nehmen wir mal Charmed als Beispiel. Wenn es überhaupt episodenübergreifende Handlung gibt, dann wird die in den Formaten unterbrochen von „Cases of the Week“ die dann in 22-Episoden-Staffeln Networks/Sendern viel Spielzeit einbringen und Zuschauende mit abwechselnd spannenden Folgen gerade so bei Laune halten. Irgendwann geht’s ja weiter mit dem spannenden Teil. Okay, zur Ehrenrettung: Charmed war schon recht gut am Anfang. Die 22-Episoden-Serien gibt es aber aus guten Gründen inzwischen kaum noch. Es ist nicht mehr zeitgemäß – auch aufgrund des Überangebots. Gab es zu Zeiten von Lady Oscar aber Überangebot?
Das vermutlich nicht, zumindest nicht stark. Beim Lady-Oscar-Rewatch fand ich einfach alles plötzlich unheimlich langweilig. Die 40 Episoden fühlten sich wie doppelt soviele an, trotz der deutlich kürzeren Laufzeit als bei anderen Serien (ca 20 Minuten). Ich war so angeödet davon, dass ich sie nach dem Rewatch vor ein paar Jahren nicht mal reviewen wollte. Der „Lady Oscar“-Effekt ist aber eher, dass ich das Gefühl hatte ewig auf meine Lieblingsszenen warten zu müssen und bis dahin „aushalten zu müssen“. Die Dramaturgie der Serie erscheint sehr stark gestreckt und sehr kalkuliert, dass zu jedem Episodenende ein dramatischer Höhepunkt stattfindet. Der Umstand die Serie schon zu kennen und die Gleichförmigkeit der Episodenformel trägt zum Ermüden bei. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Beispielen. Die vielen Filler-Episoden bei Naruto und One Piece halten mich noch immer davon ab die Serien mal bis zu Ende zu schauen. Mag sein, dass Filler Episoden unter Umständen eine Berechtigung haben (s. Artikel auf Anime2You), aber inzwischen nehme ich sie trotzdem nicht mehr nur als nervig, sondern auch als nicht mehr zeitgemäß wahr.
Also haben wir uns mit den Serienformaten verändert und nur unsere Sehgewohnheiten angepasst? Nicht nur. Vielleicht hattet ihr beim Rewatchen auch schon mal das Gefühl: „hatte ich als Kind irgendwie mehr Zeit?“ Zum Einen hat man das ja wirklich. Gaaaanze Nachmittage nur Anime und ich. Ich und Anime. Jetzt ist das schon anders und manchmal finde ich es schade, wenn es in 5 Episoden einer beliebigen Serie keine Fortschritte gibt oder ich das Gefühl habe „meine Zeit zu verschwenden“. Etwas anderes ist da die Wahrnehmung. Zeitwahrnehmung orientiert sich nach einigen Annahmen daran wieviel „neues“ man noch erlebt. Weil für Kinder alles neu ist, wirkt es so als würde die Zeit langsamer vergehen. Man hat mehr zu verarbeiten. Als Erwachsene:r hat man häufig den bekannten Trott und daher das Gefühl, als ob die Zeit rast. Siehe hierzu »Kinder, wie die Zeit vergeht!« Über Paradoxien in der Zeitwahrnehmung von Katja Irle, pdf verlinkt. Angeblich soll man wohl den Effekt normalisieren können, wenn man alltägliche Dinge „anders tut“. Also beispielsweise mal als Rechtshänder mit links Zähneputzen oder was Neues lernen. Hätten sich Serien dann damals nicht noch länger anfühlen müssen? Vielleicht taten sie das auch, es hat uns nur nicht gestört. Spekulation. Ich vermute hier spielen sehr viele Faktoren eine Rolle.
„Was habe ich da gerade gesehen?!“ – Serien entwachsen
Die Witze sind nicht mehr witzig, die Charaktere nicht mehr so cool wie man sie in Erinnerung hat. Was könnte für mich ein besseres Beispiel sein als die Serie Supernatural, die ich gerade wegen meines Liebsten sogar nochmal rewatched habe. Alle fünfzehn Staffeln. Zum Einen wurde Supernatural offenkundig schlechter gegen Ende und hat seine Haltestelle verpasst. Zum Anderen habe ich aber auch angefangen die Figuren viel stärker zu hinterfragen, weswegen der Rewatch manchmal ärgerlich, aber auch erhellend war. Sah ich beispielsweise Dean Winchester früher als einen echten Helden, sehe ich das von der Serie propagierte Männerbild heute als höchst problematisch. Sie trinken ihre Probleme weg, haben anger issues, fahren mit Muscle Cars durch die Gegend und sowohl Sam als Dean gefährden viel zu bereitwillig andere Menschen für das Überleben ihres Brudis. Toxische Männlichkeit und die dominant auftretende Alphafigur wurde in den 90er und 2000er Jahren eben noch als Standard-Heldenmaterial gesehen.
Everything Wrong With Supernatural – Why Supernatural Is Problematic | Video Essay, PopDrop, Youtube
Gesellschaftlicher Wandel holte Supernatural noch während der Laufzeit ein, aber die Serie reagierte darauf notdürftig und komplett ohne Bewusstsein für Soziologie. Zwar wird Sam im Laufe der (Serien)Zeit zum Fitnessjunkie und Vegetarier umgeschrieben, aber das ist nur ein notdürftiges (und fragwürdiges) Pflaster für zuviele Probleme. Hinzu kommt der Mangel an weiblichen Charakteren und Diversität im Allgemeinen. Die lesbische Hackerin Charlie hatte nur wenige Episoden und ob Castiel nun auch kanonisch queer ist, ist immer noch ein großes Streitthema, das von Cast und Produzenten noch immer ganz seltsam gehandhabt und am liebsten im Keim erstickt wird (Youtube: Bob Wess „Let’s Talk About the VanCon Question“). Neulich wurde mir mal entgegen gesetzt, warum nun alle Serien Quoten-Inklusionsfiguren haben müssen und ob das nicht irgendwie scheinheilig sei. Ich denke eher, dass es überfällig ist, dass Serien die Realität statistisch widerspiegeln und sich mehr Personen in Serien repräsentiert sehen. Idealerweise nicht nur weiße Männern mit Alkoholproblemen. Dass man nun die queeren, BIPoC Charaktere usw. als überrepräsentiert empfindet, liegt dann wohl eher daran, dass sie jahrzehntelang eben unterschlagen wurden. Zwar mag auch in Supernatural nicht alles schlecht sein, aber es schreit einem förmlich entgegen, dass in 15 Jahren Laufzeit Supernatural keine Entwicklung durchmachte.
Warum nehmen wir das alles nicht gleich wahr? Zum Einen weil man in jüngeren Jahren Serien weniger hinterfragt. Nur sehr langsam habe ich das beispielsweise bei den Gilmore Girls verstanden. In frühen Teenagerjahren wollte ich wie Rory Gilmore sein. Strebsam, belesen, meine eigene Introvertiertheit akzeptieren und verteidigen, tolle Beziehung zur Mutter und besten Freundin, bescheiden sein. Rory ist perfekt, dachte ich. Erst später in der Serie ging mir auf, dass Rory kein Rolemodel ist. Die Bestätigung gabs doppelt im Sequel A Year in the Life. Sie ist sich ihrer eigenen Privilegien nicht bewusst und setzt voraus, dass ihr alles zufliegt, weil sie doch „eine Gute“ ist. Warte … hab ich was falsch gemacht, wenn ich das früher noch nicht kapiert hatte?? Naja, die Serie schenkt einem die Lehre nicht von Anfang an. Also solange man es später begreift … 🙂 Außerdem ist Rory deswegen nicht hassenswert, deine Lieblingsserie nicht ruiniert, weil du jetzt erst merkst, was sie dir eigentlich was anderes sagen wollte. Es erscheint mir gar falsch als sehr schade, wenn man nach der Erkenntnis plötzlich alle Empathie für die Geschichte und Charaktere verliert. Natürlich kann man manchen Serien einfach wirklich entwachsen, weil beispielsweise der Humor nicht mehr passt. Das tut im Zweifelsfall weniger weh. Es war gut bis es weniger gut war.
Gilmore Girls – Rory, the O.G. Annoying Millennial, The Take, Youtube
Ikonen, Abgesänge und Fazit
Sind Rewatches also böse? Sollte ich das einfach lassen, um meine rosarote Brille aufzubehalten? Nein, wo kommen wir denn da hin. Erstens ist nicht alles schlecht. Kein Quatsch – ich kann der alten Serien Sailor Moon immer noch sehr viel abgewinnen. Nur nicht mehr Tuxedo Mask. 🙂 Aber der Rest!? Gut, obwohl lang. Zweitens brauchen wir eben ab und zu mal unsere Komfortserien. Manche behalten auch lange ihre Vorschusslorbeeren trotz oben genannter technischer oder erzählerischer Defizite: sie tun uns einfach gut, weil wir sie kennen, damit positives verbinden und sie uns den Eindruck von „Kontrolle“ vermitteln. (time.com Why Rewatching Your Favorite TV Show Is Good for You) Wie das gemeint ist? Naja: „wir wissen was kommt“.
Have you ever seen the humourous Tuxedo Mask „My job here is done“ meme where he leaves without doing anything? Here’s my analysis of the scene in question and Tuxedo Mask in general to determine just how accurate the meme really is! https://t.co/YeJiKOKh9r pic.twitter.com/btotRWv0eO
— Sailor Moon News (@SailorMoon_News) October 15, 2018
Häufig wird das so wahrgenommen als ob Serien nicht gut altern oder als ob „Rewatches“ es einem versauen. Das habe ich bis vor Kurzem auch so gesehen. Wie ich oben versucht habe darzulegen ist aber, dass Serien letzten Endes ein Ausschnitt ihrer Epoche sind, genauso wie wir das waren oder sind. Falls uns die Serie nun nicht passt ist es ein Zeichen von unserem Wachstum. Wir haben etwas dazugelernt, deswegen es auch ok ist die Meinung darüber zu ändern. Serien sind statisch in den meisten Fällen – die können’s nicht.
Welche Serien sind eure Beispiele für oben genannte Gründe aus denen Serien plötzlich nicht mehr für euch „klicken“? Kennt ihr vielleicht noch andere Ursachen aus denen Serien plötzlich nicht mehr passen? Und was war euer letztes unglückliches Rewatch-Erlebnis? Aufmerksame Lesende haben auch sicherlich gemerkt, dass unten angegebenes Datum nicht stimmt. Serienlandschaft erschien diesen Monat später als sonst, weil ich mit dem Netzgeflüster-Beitrag anlässlich des Internationalen Frauentages getauscht habe.
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).
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