Neulich auf der Nippon Connection … Besprechung und Filmkritik „Daguerrotype“

Einer der Filme auf der diesjährigen Nippon Connection, der am ungewöhnlichsten wirkte, war dank des französischen Casts und Schauplatzes Kiyoshi Kurosawas ‚Daguerrotype‘. Die Neugier hat auch mich in den Film gezogen, nicht zuletzt weil ich den Gedanken der Daguerreotypie und damit verbundenen Mystery-Elementen sehr reizvoll fand. Die Daguerreotypie wurde nach dem Franzosen und Erfinder Louis Jacques Mandé Daguerre benannt. Es ist ein Verfahren durch das Fotografien auf spiegelnden, metallischen Oberflächen angefertigt werden. Review ist spoilerfrei.

Jean (Tahar Rahim) sucht einen Job und wird als Assistent des exzentrischen und zurückgezogen lebenden Fotografen Stephane (Olivier Gourmet) angeheuert. Der fertigt ab und zu Auftragsarbeiten an, verschreibt sich aber v.A. auch seiner Leidenschaft. Er will alte Gemälde und Daguerrotypien in Lebensgröße nachstellen. Das Verfahren erfordert aber sehr viel Geduld, die Belichtungszeit ist lang. Seine Modelle müssen in einer Apparatur manchmal Stunden ausharren. So lernt Jean Stephanes Tochter Marie (Constance Rousseau) kennen, die ihm als Modell dient. Aber dann sind da die sich von selber öffnenden Türen, die Frau die Jean im Treppenflur sieht und die nicht Marie ist und Stephane wird von Stimmen verfolgt. Vielleicht halten die Daguerrotypien mehr als nur ein Abbild am Leben.

Kurosawas Daguerrotype ist keiner dieser jump-scare-Filme. Er hat zwar an einer Stelle das Potential dazu, aber es handelt sich hierbei mehr um ein Drama, dass einem an der einen oder anderen Stelle eine Gänsehaut beschert. Die übernatürlich angehauchten Elemente der vorrangig ersten Hälfte des Films sind subtil und wie ein ständiges Understatement des Mystery-Films und doch ziemlich effektiv. Sie demonstrieren, dass es eigentlich kein Effektgewitter braucht, um uns einen Schauer einzujagen. Beispielsweise wenn wir hören wie eine vertraute Stimme unseren Namen sagt, aber niemand außer uns im Raum ist. Das ist es wie ‚Daguerrotype‘ funktioniert. Das eigentliche Kernelement des Films ist aber das Unbeantwortete. Man bekommt ein paar Brocken an Information hingeworfen, die gemischt mit unserer eigenen Fantasie und Kombinationsgabe eine moralische Horror-Mär erzählen. Beispielsweise ein nicht so schönes Bild von Stephane zeichnen, der seine Modelle sehr leiden lässt. Und das um nur ein Beispiel zu nennen für eine ganze Reihe von unheilschwangeren Andeutungen. Gerade die und deren moralische Konsequenzen sind die eigentliche Würze des Films. Aber eben nur dann, wenn man mit offenen Fragen umgehen kann, die eben auf viele auch sehr unbefriedigend wirken können.

Die zweite Hälfte des Films widmet sich aber dem Sündenfall von Jean. Der kommt eigentlich als ein ganz guter Kerl daher, strickt sich aber bald einen Plan zurecht wie er mit dem Anwesen Stephanes Geld machen will. Und das auf eine Art und Weise, bei der man sich fragen muss, ob er den Verstand verloren hat. Wer weiß – vielleicht wird er von einem der Geister besessen, die in ihren Daguerrotypien für immer perfekt konserviert wurden? Marie fragt in einer interessanten Szene nicht umsonst nach den Grenzen des Seins, was ihre Figur zu einer der interessanteren des Films macht und viele Deutungsmöglichkeiten erlaubt. Was den Spaß an dem arthousig anmutenden Mystery-Drama schmälert ist Jeans langatmig inszenierter Betrug und die seltsamen Totalausfälle im Verhalten der Charaktere. Wer zur Hölle kommt auf die Idee jemanden, der gerade eine Treppe runtergefallen ist, zu bewegen, geschweigedenn in ein Auto zu legen und durch die Heide zu fahren? Irrationale Szenen wie die entrücken den Zuschauer unnötigerweise stark von den Charakteren und ihren Sinnfragen.

Daguerrotype (OT: ダゲレオタイプの女, Daguerrotyp no onna), Japan/Frankreich/Belgien, 2016, Kiyoshi Kurosawa, 131 min, (6/10)

Sternchen-6

„Trailer de Le secret de la chambre noire — Daguerrotype subtitulado en inglés (HD)“, via Cine maldito (Youtube)

Habt ihr den Film schon gesehen oder etwas anderem des Regiesseurs? Der ist übrigens nicht mit Akira Kurosawa verwandt 😉 Habt ihr schon mal eine Daguerreotypie gesehen? Und was war das seltsamste und unrealistischste Verhalten, dass jemals ein Charakter in einem Film an den Tag gelegt hat und euch heute noch zum Kopfschütteln bringt?

6 Antworten

  1. als shyamalan fan sollte man doch irrationale figuren mögen 😀

    kenne von kurosawa bisher nur cure. netter mystery krimi mit ganz spezieller atmosphäre und interessanter thematik, nur teils etwas arg lethargisch.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das witzige ist, dass ich in den meisten Fällen das Verhalten der Charaktere in Shyamalan-Filmen eigentlich sehr nachvollziehbar finde. Es ist zwar meistens emotional getrieben, aber meistens mehr mutig als dumm.

  2. Ich hab schon einiges von Kurosawa gesehen: Cure, Pulse, Loft, Tokyo Sonata… bisher haben mir alle sehr gut gefallen. Besonders Pulse fand ich sehr creepy. Von Daguerrotype höre ich zum ersten Mal. Klingt nicht so vielversprechend… unrealistisches Verhalten mag ich überhaupt nicht. Hmm.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, für mich ist das auch ein Abturner. Wobei mir da eigentlich nur zwei Szenen wirklich Bauchschmerzen bereitet haben. Der Rest des Films ist schon sehr ansprechend. Zumindest, wenn man es abkann, wenn sich die Handlung etwas langsam entwickelt. Was ich meistens sehr angenehm finde.
      Oh da hast du mehr von ihm gesehen als ich 😉 Von Pulse kenne ich leider nur das Remake muss ich gestehen … sollte das Original mal nachholen.

  3. Daguerrotypien kenne ich aus dem Studium, die sind mir also zumindest ein Begriff. Der Film klingt ziemlich spannend, weil die Idee doch recht interessant erscheint.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ist sie auch! Definitiv ein interessanter Film, aber man braucht etwas Ausdauer, weil er sich sehr langsam entwickelt. Und er ist eben irgendwie ein nicht-gruseliger Gruselfilm. Oder ein wenig-gruseliger Gruselfilm. Diesem Genre muss endlich jemand einen Namen geben 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert