Dass American Gods von Neil Gaiman eins meiner Lieblingsbücher ist, ist wahrscheinlich schon hinlänglich bekannt. Umso gespannter war ich, was Bryan Fuller aus der Serie machen würde. Aber schon als ich das erste Mal die Opening Credits sah, war ich überzeugt, dass das gut wird. Und die Casting-Meldungen haben mir allesamt ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Schön divers und kontrovers ist die Serie geworden. So mag ich Fantasy. Werfen wir aber mal einen Blick auf die Unterschiede zwischen Buch und Serie, da gibt’s einige spannende Änderungen. Der Artikel enthält leichte/wenige Spoiler, die meines Erachtens nicht den Serien- oder Lese-Genuss trüben. Wer nicht weiß, worum es hier überhaupt geht, kann ja mal einen Blick auf meine Besprechung/Review der ersten Staffel von ‚American Gods‘ werfen.
Immigration
Das Buch thematisiert Immigration und dass Menschen ihre Kultur und ihren Hintergrund natürlich nicht zuhause lassen. Kultur, mitsamt Religion und den Göttern wandert also. Das war für mich ein wahnsinnig interessanter Gedanke und letzten Endes der geheime Grundstein der Handlung im Buch. Denn nur so treffen sich alle Götter, alte und neue, ausgerechnet im Schmelztiegel Amerika. Die Serie ist dabei aber fast noch konsequenter als das Buch, wofür natürlich das laute starker-Mann-markieren der Trump-Ära eine ordentliche Vorlage bietet. Anhand von Salim, dem Dschinn oder der Geschichte der irischen Einwanderin Essie MacGowan, die in der Form nur in der Serie auftaucht aber auch am Beispiel der Versklavung werden einige Schicksale aus der Geschichte und dem Jetzt gezeigt, die allesamt auf den Punkt bringen, dass Einwanderung nicht immer gewollt ist, manchmal keine Alternative bleibt und gut wie schlecht enden kann. Und dass die Menschen ihren Glauben mitnehmen, manchmal aber auch zurücklassen. Auch das Vergessen der Götter wird in einer animierten Sequenz einmal thematisiert. Damit geben die Macher der Serie eine gewaltige Brisanz und Gewichtigkeit, denn Immigration geht uns alle etwas an. Egal ob wir zu den vielen Menschen gehören, die ihr zuhause verlassen haben oder verlassen mussten oder ob wir zu denen gehören, die Einwanderer empfangen.
„Neil Gaiman – American Gods Origins“, via American Gods (Youtube)
Die Charaktere
Tatsächlich legt die Serie zumindest in der ersten Staffel den Fokus auf andere Charaktere als das Buch. Dort spielen Mr Nancy und Czernobog beispielsweise eine große Rolle, während die erste Staffel quasi Mad Sweeney und Laura gehört (neben Wednesday und Shadow natürlich). In der Serie treffen Shadow und Mr Nancy relativ spät aufeinander, während das Treffen zwischen Ostern/Easter und Wednesday verhältnismäßig früh stattfindet. Das tut der Sache keinen Abbruch, man muss sich als Kenner des Buchs nur etwas von seinen Vorstellungen lösen. Einige Charaktere werden außerdem etwas ausgeschmückt und bekommen mehr Aufmerksamkeit wie Salim, was v.A. dem Immigrations-Aspekt der Geschichte dient und ein großes Plus ist.
What a difference PRIDE makes…
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— Omid Abtahi (@AbtahiOmid) 11. Juni 2017
Die einzigen, die bisher nicht als die aus dem Buch bekannten Instanzen in Erscheinung getreten sind und die man irgendwie vermisst sind Mr. Wood, Mr. Road und Mr. Town. Es war tatsächlich Recherche nötig, um herauszufinden, dass sie zu den gesichtslosen Helferlein (spooks) von Mr World und Technical Boy gehören. Einerseits ein interessanter Kniff sie als gesichtslos darzustellen, andererseits eine der größeren Änderungen im Vergleich zum Buch, wo sie als adrett gekleidete Agenten á la FBI/CIA auftreten. Es gibt auch Charaktere, die vollkommen neu sind. ‚Vulcan‘ wurde beispielsweise von Neil Gaiman extra für die Serie ins Drehbuch geschrieben. Die Figur existiert im Buch gar nicht. Vulcan ist der Gott des Feuers und der Waffenschmiedekunst. Allerdings hat er sich ‚angepasst‘ an das neue Zeitalter und die Bedürfnisse der Menschen. Er leitet eine Munitionsfabrik und schart eine riesige Gefolgschaft von Menschen um sich, die Schusswaffen feiern – ein weiterer politischer Seitenhieb der Serie an die Regierung der Vereinigten Staaten, den ich sehr begrüße und ein ziemlich guter Zusatz zum Stoff.
„Inside The World: A Murder of Gods (Episode 6)“, via American Gods (Youtube)
Die Frauen
Etwas, das mir im Buch gefehlt hat, waren die Frauen. Es ist ein bisschen so als ob das Buch von lauter Männern getragen wird. Klar: das ist nicht nur ein Plus für die Männer. Schließlich sind sie es, die Krieg schreien. Neben Media und den Zorya-Schwester gab es wenige Akteure, Laura spielt im Buch auch eine etwas kleinere Rolle und bleibt verhältnismäßig charakterlos. Man weiß nicht viel über sie, außer dass sie ihren Shadow Puppy nennt und scheinbar betrogen hat.
Die Serie macht das anders. Laura bekommt eine Hintergrundgeschichte und einen Charakter. Auch Audrey, die gemeinsame Freundin von Laura und Shadow und betrogene Ehefrau, spielt etwas mehr eine Rolle und darf über etwas mehr tun als nur rumbitchen wie im Buch. Die Frauen der Serie sind diverser. Bilquis‘ bekommt beispielsweise eine tragische Seite. Man sieht wie sie als Göttin der Lust und Liebe der alten Zeit nachtrauert. Sie besucht Museen und sieht Schmuck in der Ausstellung, der einst sie zierte. Ein sehnsüchtiger Blick zurück. Man erkennt, dass sie sich in dieser neuen Welt irgendwie nicht gut aufgehoben fühlt. Was ihr im Buch widerfährt, hebt man sich offensichtlich für die zweite Staffel auf oder wann auch immer der Krieg der Götter beginnt. Überhaupt wird den Göttinnen mit der letzten eine ganze Folge gewidmet, eine Ode an die Königinnen unter den Göttern. Nicht nur Bilquis, sondern auch Ostara! Eine andere Frau, der man sich mit viel Screentime widmet ist Essie MacGowan, auch gespielt von Emily Browning. Sie ist ein weiteres Beispiel für Einwanderung und den Glauben, den die Einwanderer mitbrachten. V.A. zeigt ihr Beispiel aber auch wie ihr Glaube ihr Schicksal zum Guten oder Schlechten wendete. Nicht zuletzt auch wie es Frauen früher ergangen ist, als sie kaum selbstbestimmt waren. Das macht die Essie-Folge (1×07) zu einer wichtigen, obwohl die gesamte Handlung nicht im Buch vorkommt und man sich fast ärgern könnte, dass es story-technisch nicht vorangeht.
Etwas schwieriger ist es mit Laura, die das komplette Gegenteil von Essie ist – was es aber auch wiederum so spannend macht, dass Browning beide Figuren spielt. Laura glaubt nicht und misst dem Leben geringeren Wert bei. Ihr Charakter wird definiert, aber nicht unbedingt nur als gut. Die Serie stellt Laura als Person dar, die Shadow erst wirklich liebt, nachdem sie von den Toten zurückgekehrt ist und unter dem Einfluss von Mad Sweeneys Münze steht. Denkt man mal etwas weiter, dann liegt das daran, dass Shadow der Besitzer der Münze ist und er damit wahrscheinlich nur durch diesen Umstand zur ‚ihrer Sonne‘ wird. Es ist vielleicht mehr die Münze als Laura, die zu Shadow will. Das zeichnet irgendwie ein trauriges Bild, da Laura im Buch eher nach ihrem Tod kälter war. In der Serie ist eher Laura vor ihrem Tod kaltherziger. Sie ist es auch, die Shadow quasi in den Knast bringt. Ich als Buch-Kennerin hatte so meine Probleme mit Laura, muss aber gestehen, dass ich die Botschaft interessant finde, die Laura vermittelt. Schließlich wird sie als jemand, der quasi an nichts glaubt, mit verdammt viel konfrontiert, was Glaube bewirken kann. Wenn man das nicht unbedingt in Richtung Religion auslegen möchte, dann meinetwegen schlicht Liebe.
„Laura Teaser | American Gods“, via American Gods (Youtube)
Der Roadtrip neben dem Roadtrip, oder: neue Allianzen
Im Buch kommt der Roadtrip von Shadow und Wednesday deutlicher rüber. Sie sind immer in Bewegung. In der Serie merkt man das nicht mehr so sehr, weil einige Episoden wie 1×07 „A Prayer for Mad Sweeney“ sich auch mal gar nicht mit ihnen beschäftigen. Aber die Serienmacher haben das schlau gelöst und lassen Charaktere, die sich so im Buch nie begegnen auch auf einen Roadtrip gehen: Laura, Mad Sweeney und Salim. Da ich ein Fan von Salim und seiner Darstellung in der Serie bin, ist das für mich eine gelungene Änderung im Vergleich zum Buch. Und irgendwie zeigt es etwas deutlicher wie Laura immer wieder in Shadows Nähe auftaucht. Außerdem gibt uns das eine der besten (und verstörendsten) Szenen mit einem Eis-Truck.
„Traveling America | American Gods“, via American Gods (Youtube)
Style und Visuals
Die Symbolik derer sich die Serie bedient, zeigt, dass die Macher das Buch verstanden haben und fügt dem Stoff viel hinzu. Der Götter-Roadtrip wird als Abgesang auf den American Dream inszeniert. Zufall und Schicksal finden eine schöne Metapher in den Automaten und Spieltischen der Casinos. In einem solchen arbeitet Laura. Motels mit kitschigen, hoffnungsvollen Namen und flackernde Leuchtreklamen sind die Übergangs-Heimat von Shadow und Wednesday während ihrer Reise. Anhand der Roadside Attractions gibt es auch einen kleinen Seitenhieb darauf, welchen Schwachsinnigkeiten oder Nichtigkeiten Menschen viel Glauben schenken und bereit sind Energie und Bewunderung dafür zu opfern.
Aber auch anhand der Charaktere geht die Serie in die Vollen. Ein gutes Beispiel in punkto ‚Botschaft trifft Visuals‘ ist wahrscheinlich Media. Gillian Andersons Media tritt nie als sie selbst auf, was für die Medien wahrscheinlich bezeichnend ist. Dafür hat das Team hinter American Gods einige große Persönlichkeiten gewählt und verneigt sich u.a. vor David Bowie, was so nicht im Buch vorkommt.
„AMERICAN GODS – Gillian Anderson as David Bowie – s1x05“, via Ivan Botty (Youtube)
https://www.youtube.com/watch?v=BHNAzaqIkBc
Fazit
Die Serie zeigt wie keine andere, dass es nicht schlecht sein muss, wenn eine Adaption von der Literaturvorlage abweicht. ‚American Gods‘ hat das Buch verstanden und beweist, dass man manchmal sogar etwas verändern muss, um in der Fernsehlandschaft alles plausibel und nachvollziehbar zu erzählen. Der diverse Cast, die Seitenhiebe auf die US-Politik, die etwas größere Rolle der Frau – das sind einige zeitgemäße Änderungen, die den Zuschauer abholen und bewusst machen, was Glaube bedeutet und in welche Werte man sich selber investiert. Top! Schönes Beispiel für gute Literaturumsetzungen.
Kennt ihr noch mehr Beispiele bei denen die Serie oder der Film mit dem Buch mithalten kann oder sogar noch besser ist? Oder seht ihr das ganz anders und haltet die Serie nicht für gelungen oder nicht im Sinne von Neil Gaimans Roman? Seid ihr grundsätzlich Skeptiker bei Literaturumsetzungen? Hat euch etwas aus dem Buch gefehlt?
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