Serien-Besprechung: ‚American Gods‘ S1, oder: American Dream trifft Götterdämmerung

Wenn Lieblingsbücher verfilmt werden, ist das immer so eine Sache. Die Einen sind schon vorher sehr reserviert und haben Bauchschmerzen bei dem Gedanken. Ich? Ich freue mich drauf. Was gibt es spannenderes als zu sehen was ein anderer daraus macht? Nörgeln kann ich hinterher. Als es hieß, dass ‚American Gods‘ als Serie umgesetzt wird, musste ich außerdem auch wenig Bauchschmerzen haben, denn Bryan Fuller würde die Serie stemmen. Der hat zuvor schon ‚Hannibal‘ neu aufgelegt und (leider nur sehr kurzweilig) zu einer meiner Lieblingsserien gemacht. Dementsprechend hatte ich vollstes Vertrauen, dass er aus einem meiner Lieblingsbücher (und dem einzigen Fantasy-Lieblingsbuch) was Gutes macht. Nämlich eine Serie, die mit Kultur, Integration und Krieg einige große Themen zu einem wahren visuellen Fest verarbeitet und dabei den Kanon des Buchs tatsächlich sogar bereichert. Review ist spoilerfrei.

„American Gods | official trailer #2 (2017) Neil Gaiman“, via moviemaniacsDE (Youtube)

Shadow (Ricky Whittle) bekommt eine gute und eine schlechte Nachricht überbracht. Er wird ein bisschen früher aus dem Gefängnis entlassen als geplant. Der Haken: es ist, weil seine Frau Laura (Emily Browning) ums Leben gekommen ist. Die Umstände sind außerdem prekär. Sie hatte einen Verkehrsunfall und war mit einem anderen Mann unterwegs, Shadows besten Freund. Es sieht bescheiden aus für Shadow: keine Frau, nicht mehr wirklich ein Zuhause, keine Freunde, kein Job. Zumindest bis ihm ein Fremder im Flugzeug Arbeit anbietet. Er nennt sich Mr Wednesday (Ian McShane) und ist offensichtlich ein smooth talker. Anfangs will Shadow mit dem zwielichtigen Typ nichts zutun haben. Kleine Jobs soll er für ihn erledigen, sein Bodyguard sein, klingt dubios und so als ob Shadow einen Bogen um ihn herum machen sollte. Wie es der Zufall (nicht wirklich der Zufall) aber so will, läuft der Alte mit dem Glasauge ihm immer wieder über den Weg und letzten Endes arbeitet Shadow ja doch für ihn. Das mündet in einem Roadtrip der besonderen Art. Wednesday sucht alle möglichen seltsamen Typen auf, um sie davon zu überzeugen bei seiner „Sache“ mitzumachen. Shadow ahnt nur langsam, dass Wednesday kein gewöhnlicher Trickbetrüger ist. Dass er während dieses Roadtrips neben einem Gott reist, ist eine Erkenntnis, die ihn spät trifft, aber dafür hart.

Götterdämmerung

Der Zuschauer begreift wahrscheinlich schneller als Shadow, dass Wednesday einen Kampf zwischen alten und neuen Göttern anzettelt und dafür Verbündete sucht. Auf der Seite der alten Götter ist da natürlich Wednesday selber. An der Stelle sei darauf verzichtet zu nennen wer er ist. Wer es nicht sofort weiß, hat vielleicht ein schönes Rätselraten vor sich. Außerdem unter den alten Göttern der Leprechaun Mad Sweeney (Pablo Schreiber), Czernobog (Peter Stormare) – der slawische Gott der Dunkelheit, Mr Nancy aka Anansi (Orlando Jones) – der afrikanische Gott des Schabernacks und der Geschichten, um nur ein paar zu nennen. Auf der Seite der neuen Götter sind personifizierte Instanzen unseres alltäglichen Lebens, den keiner eine gewisse Macht absprechen kann. Da wäre beispielsweise der relativ junge Technical Boy (Bruce Langley) – das personifizierte digitale Zeitalter. Er steht für den technischen Fortschritt, Gadgets, Widgets, das Internet. Oder auch die von Gillian Anderson genial verkörperte Media, die mal als Judy Garland, David Bowie oder Marilyn Monroe auftritt und die gemachten ‚Götter‘ repräsentiert. Das Fernsehen und Kino, die Zeitschriften, Publicity, Stars, Werbung und Marken. Und sie alle folgen Mr World (Crispin Glover), der Wednesday zumindest anfangs noch zu verstehen gibt, dass es diesen Krieg nicht geben muss.

„American Gods Opening Credits Title Sequence“, via Cosmic Book News (Youtube)

Coming to America …

Und da ist was dran. Denn die Zeichen stehen anfangs schlecht für die alten Götter. Sie leben im Verborgenen und gar nicht von Ambrosia und Weintrauben. Wednesday hält sich bespielsweise als Trickbetrüger über Wasser und Czernobog arbeitet als Schlachter. Die alten Götter sind vergessen, sie werden nicht mehr verehrt und sind bald nur noch der Schatten einer Erinnerung. Die zarte Ahnung einer Kultur, ein Bodensatz. Genau das will Wednesday verhindern. Die Serie macht deutlich, dass Götter nur das sind, was die Menschen aus ihnen machen. Die neuen Götter wurden aus der Anbetung geboren, die Menschen nun ganz anderen Instanzen zukommen lassen. Die Leute, die vor den Shops eines großen Technik-Anbieters campen und auf das neuste seelenlose Smartphone warten beispielsweise. Anbetung. Verehrung. Die Serie präsentiert zu Beginn jeder Folge eine Sequenz die deutlich macht wie es um Götter und Glauben steht in dieser Welt. Und das ist eine Geschichte, die sich sehr viel den Menschen widmet. Sie erzählt von den Menschen, die ihren Glauben pflegen, ihrem Glauben entsagen oder ihren Glauben importieren.

Hauptimportprodukt: Glaube.

„We are telling an immigration story.“ sagt Bryan Fuller und bringt damit den wahrscheinlich interessantesten Aspekt des Buches zum Vorschein, der beim Lesen damals bei mir für einen gewaltigen Aha-Effekt sorgte. Götter sind nicht allmächtig und allgegenwärtig. Sie sind dort, wo an sie geglaubt wird. All die verschiedenen Gottheiten treffen sich letztendlich in Amerika, weil die Menschen in den Schmelztiegel abgewandert sind und mit ihrer Kultur auch ihren Glauben und ihre Götter mitgebracht haben. Die afrikanischen, die skandinavischen, die slawischen, die irischen, die ägyptischen und noch soviele mehr. Es ist v.A. auch eine Geschichte von Menschen. Und dementsprechend nimmt sich die Serie genug Zeit von Shadows Trauer um Laura zu erzählen, aber auch von den Göttern und wie sie nach Amerika kamen, oder auch von Einwanderern, deren American Dream bedeutet, sich jeden Tag zu fragen wie man den Tag übersteht und die nächste Miete bewältigt. Die Serie nimmt sich dabei auch heraus neue Geschichten zu erfinden, aber auch einzelne starke Geschichten des Buches zu Ende zu erzählen wie die des Einwanderers Salim (Omid Abtahi) und des Dschinns (Mousa Kraish), die das Verlangen nach ein Stück Heimat zeigt und den Wunsch die eigene Sprache aus dem Mund eines Anderen zu hören. Integration und Immigration in allen ihren Schattierungen. Mit offenen Armen empfangen und angekommen vs. allein gelassen und mit Füßen getreten. Manche erwartet statt eines Willkommenspakets eine Kugel. Willkommen im American Dream, der besten Zufallsmaschine die man sich vorstellen kann. Ziehen sie eine Nummer, sie sind auch noch an der Reihe. Erwarten sie nichts. Oder alles. Die Serie bezieht politische Stellung. Man kann ziemlich deutlich ein Augenzwinkern in Richtung Trump-Wahlversprechen erkennen.

Bryan Fullers ‚American Gods‘ schafft es mit gewaltiger Symbolik all diese Elemente zu verbinden und tatsächlich ein sogar noch runderes Bild abzugeben als es das Buch getan hat. Und man wird nicht dümmer: Sagen und Mythen, andere Kulturen – das ist ein Blick über den Tellerrand. Undzwar in allen Farben, die die Palette hergibt. Geschichten von Göttern waren aber noch nie seicht und unblutig. Man braucht ab und zu einen starken Magen. Sei es für Laura, die wiederkommt; für Bilquis‘ (Yetide Badaki) Verlangen nach dem Ruhm und der Anbetung vergangener Tage oder auch für den Kampf selbst, der sich langsam andeutet und uns leider auf eine zweite Staffel warten lässt. Vielleicht der einzige Makel einer perfekten Serie. Einer kritischen und vielschichtigen Serie. Einer Serie, die uns daran erinnert, was oder wem wir unseren Glauben schenken wollen und ob das neuste Smartphone eines angebissen Apfels oder eine Wand voll Kaugummi das wert sind. Immerhin wurde die zweite Staffel schon bestätigt und erspart uns ein Zittern wie bei früheren Fullerschen Serienergüssen. Welcome in America.

(10/10)

Sternchen-10

„American Gods – Drama for the Trump Era“, via American Gods (Youtube)

Foto: Stefan Kunze, Unsplash

Das mit der ‚Wand voll Kaugummi‘ ist ein kleiner Wink auf amerikanische Roadside Attractions, die einem manchmal eher ein Stirnrunzeln entlocken. Es gibt da wirklich irgendwo eine Wand, die mit Kaugummi vollgeklebt ist. Die Serie macht zwischendurch einen kleinen Seitenhieb auf solche Roadside Attractions als Metapher darauf welchen Banalitäten Menschen heutzutage ihre ganze Ehrerbietung schenken, wo Menschen früher um ihr Leben beteten und die Götter wegen gewichtiger Dinge anriefen. Glaube ist nichts was man leichtfertig verschenkt. Ich finde mit ‚American Gods‘ bekommt Bryan Fuller endlich die Aufmerksamkeit, die ihm schon lange gebührt. Er ist zwar Produzent, aber bei seinen Serien geht er immer in die Vollen. Er schöpft optisch und was die zu übermittelnde Message betrifft alles aus was geht und gibt vielleicht sogar noch mehr. Neil Gaiman als Drehbuchautor ins Boot zu holen, war mit Sicherheit eine gute Idee. So wurde der gaimansche Kosmos sogar noch weiter gesponnen und Figuren wie Vulcan eingeführt. Aber dazu schreibe ich einen extra Artikel über die Unterschiede zwischen Buch und Serie. Ich habe ein bisschen ein Tränchen im Auge, dass es schon vorbei ist und jetzt das Warten auf die nächste Staffel beginnt. Habt ihr ‚American Gods‘ gesehen oder sogar das Buch gelesen? Wie hat es euch gefallen (das eine wie das andere)? Findet ihr die Umsetzung als Serie gelungen? Oder fehlt euch etwas? Ich muss gestehen, dass ich es manchmal konsistenter und spannender gefunden hätte, wenn man in jeder Episode eine homogene Mischung aus ‚Gott treffen‘ und ‚Hintergrundgeschichte‘ erzählen gefunden hätte, anstatt beispielsweise in einer Episode fast nur Lauras Geschichte zu erzählen oder in einer nur Mad Sweeneys. Andererseits finde ich die ausstaffierten Lebensläufe der Figuren auch wahnsinnig interessant, sodass ich mich kaum beschweren möchte.

14 Antworten

  1. Super Review! Meines folgt hoffentlich auch bald.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dankeschön! Das freut mich sehr. 🙂 Ist deine schon draußen?

      1. Hier ist sie endlich, meine Kritik:
        http://www.kino.vieraugen.com/tv/american-gods-staffel-1/

  2. Danke für den interessanten Artikel. Die Serie scheint ja ziemlich gut zu sein und auch die Title Sequence macht ganz schön was her. Auch ist es interessant, dass Mr World keinen Krieg will..

    Ob sich wohl Gott im Göttlichen und göttliches im Übermenschlichen erahnen lässt? In dem was über uns hinaus liegt und nachdem wir streben? Das würde zumindest den Charm der Analogien erklären.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Danke! Freut mich, dass er interessant ist! Ich fühle mich in Zeiten sinkender Kommentarzahlen fast dazu genötigt kürzere Artikel zu schreiben oder andere Sachen anders zu machen. Aber dann heißt es wieder content sei King …

      Ja das stimmt, v.A. weil die ’neuen Götter‘ eigentlich ziemlich mächtig wirken anfangs und gar nicht so als ob sie einen Krieg scheuen müssten. Aber das mit Mr World relativiert sich dann auch.
      Tatsächlich wirkt insbesondere Wednesday anfangs v.A. sehr menschlich. Und wenn es gerade sehr schlecht für die Götter aussieht, dann sind sie ebenso sehr menschlich … wenn man mal nachdenkt vielleicht gar keine so schmeichelhafte Analogie. 😉

  3. Oh je, bei mir ist zur Zeit viel im Wandel, so dass wenig Zeit für vieles bleibt. Ich staune immer wie Du pro Woche so viele hochwertige Artikel schreiben kannst und hoffe, dass Du daran nie den Spaß verlierst. 😉 Als Kritik ist weniger Resonanz bestimmt nicht zu verstehen. 🙂
    Ist mit content Quantität gemeint? Neben Quantität ist Qualität mindestens so wertvoll, aber die ist ja da.

    Mr World könnte durch einen Krieg vielleicht nichts mehr gewinnen?
    Vielleicht liegt es am Aufspalten und Festlegen der Attribute, dass die einzige Würde durch die Befähigung verliehen werden kann… Ich glaub ich schau erstmal die Serie … 😉

  4. […] aus der Blogosphäre: Miss Booleana: 10/10 […]

  5. […] immer noch da“. Man könnte jetzt auch anfangen über alte und neue Götter nachzudenken, wo American Gods Staffel doch noch beharrlich in unseren Köpfen ist … . Neben dem ausgedehnten Spaziergang und der […]

  6. […] war der Monat auch richtig gut. Ich habe u.a. American Gods und Jordskott zu Ende geschaut. Angefangen haben wir Twin Peaks (Rewatch der ersten und zweiten […]

  7. Wow. Das klingt ja wirklich sehr gut. Und du mochtest ja auch das Buch! Da bin ich mehr als nur beruhigt. Ich habe bislang nur die erste Folge gesehen, fand aber auch die schon ziemlich gut. Jetzt wo alle Folgen raus sind, will ich das dann demnächst mal „bingen“ 😉

  8. […] ziemlich genau unter die Lupe genommen und muss sagen, dass es einer der Fälle ist, in denen die Vision und Adaption das Buch übertrifft. Es gäbe noch soviele Momente, die ich hier nennen könnte, aber das würde den Rahmen derb […]

  9. […] noch eine Schippe draufsetzte und eine Aktualisierungskur verpasst bekam – Stichwort Trump Ära. Es war grandios! Ein Slow Burner, aber grandios. Lange dachte ich, dass die größte Gefahr wäre, […]

  10. […] und angesprochen wie kaum eine andere Serie. Nur schade, dass sie etwas träge war und in der ersten Staffel nicht mehr Handlung erzählte. Inzwischen hat die Serie basierend auf Neil Gaimans gleichnamigen […]

  11. […] Rock-Musiker besitz, was schon ein bisschen metal ist und einen Hauch der Note von Stoffen wie American Gods hat, wo die alten Entitäten den Geschmack der Popkultur kosten und sich dort ihre Anbetung […]

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