Durch den Weinstein-Skandal, der derzeit durch die Nachrichten geistert, haben wir ja wieder mal gelernt, dass es für Frauen in Hollywood ein heißes Pflaster ist. Dass es wenige Regiesseurinnen gibt, ist inzwischen aufgefallen und spätestens seit Patty Jenkins Wonder Woman, Ava DuVernay und Kolleginnen bemerkt einen Vorwärts-Ruck im Metier für weibliche Filmschaffende. Aber wie das eben so ist: das Geschäft war bisher nicht gut zu Frauen und die Filmografien noch so großartiger Regiesseurinnen bleiben kürzer als die der männlichen Kollegen. Umso glücklicher macht es mich immer wieder die von Naomi Kawase anzuschauen. Die japanische Regisseurin hat nämlich eine ziemlich lange Liste von Filmen und Dokumentationen vorzuweisen. Darunter v.A. einfühlsame Stoffe. Ihr neuster Streich lief gerade erst bei uns im Indie-Kino. Review ist spoilerfrei.
Misako Ozakis (Ayame Misaki) Beruf ist es Hörfassungen von Filmen für Blinde oder sehbehinderte Menschen aufzubereiten. Bei einer Vorführung mit Test-Publikum bekommt sie aber u.a. eher negatives Feedback, da sie zu sehr ihre eigenen Emotionen und Interpretationen mit einbringt. Vor Allem der ehemalige Fotograf Masaya Nakamori (Masatoshi Nagase) findet dabei harte Worte. Vielleicht gerade deswegen weil er noch ein wenig Sehen kann, aber im Begriff ist die ihm verbleibende Sehkraft zu verlieren. Von da an begegnen sie sich immer öfter, obwohl Misako ihm eigentlich lieber aus dem Weg gehen wollte.
„RADIANCE Trailer German Deutsch (2017)“, via KinoCheck (Youtube)
Misako ist zwar einfühlsam, intelligent und nimmt ihre Arbeit sehr ernst, aber es fällt ihr schwer sich in die Welt derer hineinzufühlen, denen das Sehen verwehrt bleibt. Erst durch die Auseinandersetzung mit Nakamori begreift sie wirklich wie es sich anfühlt nichts zu sehen und sie hinterfragt ihren ganzen Alltag. Wie fühlt sich die Welt an, wenn man nichts sehen kann? Sie beginnt anders zu hören, zu empfinden und es macht ihr v.A. Angst. Sie versteht den Verlust, den Nakamori empfinden muss, gerade als ein Mensch, dem das visuelle Medium und Kunst wichtig war. Seine Kamera nennt er sein Herz. Und sie beginnt Angst zu empfinden, wenn sie mit der ausweglosen Dunkelheit konfrontiert wird und dem Gedanken, dass diese für manche Menschen nie wieder weg geht. Man kann während man im Kino sitzt selber mal die Augen zu machen und darüber nachdenken wie sich das anfühlt. Die Geräusche, die Stimmen, ohne die Gesichter dazu. Bei Radiance versteht man erstaunlich viel. Der Film ist durchdacht, er ist für die Botschaft gemacht, die er vermitteln will. Etwas, dass im klassischen Mainstream-Kino viel zu kurz kommt.
Naomi Kawase hat einen Film für die Sinne gemacht. Empfindungskino. Kino für Kinofans und nicht zuletzt Aufmerksamkeit für ein Thema geschaffen, worüber man zu wenig redet. Nämlich Menschen mit Behinderungen nicht einen Alltag zu verwehren, sondern ihnen auch dieselben Möglichkeiten zu bieten – nur eben anders. Im Film sagt eine Frau aus dem Testpublikum, dass Filme für sie eine Reise in eine andere Welt sind. Ein Satz, der mir nur allzu bekannt vorkommt. Wenn mich jemand fragt, warum ich Filme so liebe, ist das die Antwort, die ich meistens gebe. Ich empfinde Angst bei dem Gedanken sie nicht mehr sehen zu können. Wieviel würde ich verlieren? Wieviel haben die Menschen verloren oder nie gewonnen? Job, Hobby, Leidenschaft, Selbstbestimmung?
Auch Ozakis Job flößt einem Ehrfurcht ein und die Herausforderungen, denen Blinde begegnen. Wie erklärt man ihnen eine Sandskulptur? Sie haben u.U. nie eine gesehen und können sich das vielleicht nicht vorstellen und auch nicht vom Begriff ableiten. Da bedarf es Erklärung, v.A. aber muss man so blitzgescheit sein alles zu hinterfragen, aber niemandem die Gelegenheit nehmen selber zu interpretieren und zu empfinden. Aber der Film kann noch mehr. Er erzählt von Verlust. Alles was Misako erlebt, verankert sich in ihrem Herz v.A. deswegen, weil Verlust für sie ein Thema ist. Der Geist, der sie heimsucht. Ihr Verlust lässt sie den Nakamoris verstehen und langsam nähern sich die Beiden an. Und als ob das nicht schon genug wäre, ist der Film einer für Kinoliebhaber, für Filmgenießer. Nicht nur wegen seiner Machart, sondern wegen des Plädoyers für Kino zum Empfinden, Nachdenken und Hinterfragen. Der Film im Film, für den Misako die Sehbehindertenfassung erstellt, ist nicht minder aufwühlend als Radiance.
Naomi Kawase erzählt einfühlsam von den Verlusten zweier Menschen und schafft es spielend gewichtige Themen durch ihr Beispiel zu erzählen. Undzwar mit Leichtigkeit und Feingefühlt wie bereits zuvor in An – Kirschblüten und rote Bohnen. Sie setzt dabei das titelgebende Licht bzw. den Glanz hinter den Augen gekonnt ein, sodass ein J.J. Abrams neidisch sein sollte, warum er das mit dem Licht nicht so geschmackvoll hinbekommen hat. Nach Radiance schaut man den Sonnenuntergang ein wenig anders an. Vielleicht hat man dabei auch den exzellenten Score des Films im Ohr, der mit seinen Jazz-Nummern perfekt das Gesehene untermalt und die Stimmung einfängt – auch wenn man die Augen schließt. Ein relevanter Film, Empfindungskino und einer dieser Filme, der traurig, aber schön ist und ruhig, aber glücklich macht.
Radiance (OT: 光, „Hikari“), Japan, 2017, Naomi Kawase, 101 min, (8/10)
Man, das war so ein Film, der mitten ins Herz trifft. Aber er ist auch nichts für Menschen, die bei schwermütigen Themen leiden und aus diesem Leiden nicht wieder rauskommen, obwohl er absolut kein negativer Film ist.Habt ihr Anknüpfungspunkte zum Thema Blindheit? Habt ihr schon mal darüber nachgedacht wie stark sich euer Alltag verändern würde und macht euch das Thema auch etwas Angst? Kennt ihr Filme der Regiesseurin und welche könnt ihr besonders empfehlen?
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