Kurz vor der Verleihung der Academy Awards hatte ich doch noch die Gelegenheit einen weiteren nominierten Film zu schauen, der mit einem überraschend späten Deutschlandstart versehen wurde. Während „Can You Ever Forgive Me?“ in den USA im Oktober 2018 anlief, war der Film hierzulande frühestens am 21. Februar 2019 zu sehen. Review ist selbstverständlich spoilerfrei.
Anfang der 90er Jahre ist Lee Israel (Melissa McCarthy) kurz vor dem Ruin. Die einstige Autorin von Biografien hat sich schon lange nur mit journalistischen Jobs über Wasser gehalten und selbst ihren aktuellen nun verloren. Ihre Verlegerin meidet sie bereits und gibt ihr deutlich zu verstehen, dass man an einem weiteren Buch von ihr Interesse hat. Die Miete ist seit Monaten überfällig, die Katze krank und so langsam realisiert Lee selber, dass sie wahrscheinlich auch alkoholsüchtig ist und es nicht mehr lange so weitergeht. Als sie beiläufig entdeckt, dass Sammler für Memorabilia wie beispielsweise Briefe bekannter Personen, bereitwillig nette Sümmchen zahlen, beschließt sie ihr Talent als Autorin zweckdienlich einzusetzen.
„CAN YOU EVER FORGIVE ME? | Official Trailer [HD] | FOX Searchlight“, via FoxSearchlight (Youtube)
Und Lee hat Talent – das steht außer Frage. Sie imitiert den Stil der Personen, hat demzufolge eine gewisse Menschenkenntnis, Kreativität und Teilweise auch recherchiertes Wissen über die, deren Konversation sie fälscht. Außerdem geht sie systematisch zu Werke. Sie verkauft die Fake-Memorabilia an unterschiedliche Läden, legt sich verschiedene Schreibmaschinen zu und überlegt sich Techniken um die Briefe alt aussehen zu lassen. Was Lee zum Verhängnis wird, ist aber dass das Herstellen von Briefen und Vorspiegeln einer Korrespondenz, die es nie gab, sie zu einer Dokumentenfälscherin macht. Der Film überträgt die Spannung nüchtern und realistisch, aber mit einschlagender Wirkung auf den Zuschauer: die Schlinge zieht sich zu und wir spüren es deutlich. Dabei spielt Melissa McCarthy, die verhärmte und einsame Autorin mit dem losen Mundwerk großartig. Lee charakterisiert sich selber als jemand, der „Katzen mehr mag als Menschen“ und der scheinbar trotz ihres Talents für Worte stets die richtigen fehlten um Liebe auszudrücken. Dieses „Untalent“ zu Glück und Liebe rührt sehr. Melissa McCarthy muss dafür wenig tun. Im Gegensatz zu ihren Comedy-Rollen schafft sie es mit minimaler Mimik und Gestik das Bild eines Menschen zu erschaffen, der sich wieder in seinem eigenen Leben wohlfühlen lernen muss. Das eigene Werk verschmäht, überrumpelt von der eigenen Einsamkeit und die Probleme mit Alkohol und Schlagfertigkeit ertränkend, ist ihre Lee ein Mensch, der sich in eine Ecke hat treiben lassen, mit der nicht glücklich ist, aber unfähig sich aus eigenen Stücken daraus zu befreien. Ein Gefühl, das jeder von uns schon erlebt hat – auch wenn wir es vielleicht anders nach außen gekehrt haben. McCarthys Schlagfertigkeit und gleichzeitig dargestellte Verletzlichkeit beweist einmal mehr, dass sie in Charaketrdramen brilliert und den albernen Comedys gern öfter den Rücken zukehren sollte.
Genauso wie Melissa McCarthy war Richard E. Grant für seine Rolle als Jack Hock für einen Oscar nominiert. Hock ist ein homosexueller New Yorker, der den Abstieg schon ein Stück länger mitmachen musste als Lee. Ob er überhaupt noch eine Wohnung hat, ist nicht klar. Er hat soviel Stolz nicht darüber zu sprechen. Stattdessen wird er Komplize Lees und vielleicht ihr einziger Freund. Ein ebenso nuanciertes Spiel, das zusammen mit der Inszenierung Marielle Hellers den Film zu einem wunderbaren Charaketrdrama macht, dass sich nach Sepiatönen und noir-iger Musik und Kneipenstimmung anfühlt und dem Sammlerwahn und der Verlagswelt den Spiegel vorhält. Da wo Echtheitszertifikate ausgestellt werden, aber Mut sich den weniger schillernden Charakteren und Themen zuzuwenden rar ist. Man könnte den Film als Außenseiterdrama betrachten – aber ich glaube das ist ein Label, das nur diejenigen vergeben, die auf Partys den Leuten mit dem Zahnpastalächeln zuhören. Der Film basiert auf dem Leben der echten Lee Israel und Jack Hock. Und Israels Buch. Es wurde kontrovers diskutiert und teilweise als Frevel erachtet, dass sie mit ihren Straftaten auch noch Geld verdient. Dabei ist ihre Rede am Ende so ehrlich wie man es sich nur wünschen kann. Dank des nüchternden Realismus und bissigen Witz ist der Film perfekt abgestimmt – nicht zu leicht, nicht zu schwer.
„Can You Ever Forgive Me?“, USA, 2018, Marielle Heller, 107 min, (8/10)
Haltet ihr es auch für fragwürdig, dass sie mit ihrer Geschichte Geld verdient hat? Zwar habe ich das Buch nicht gelesen, aber finde es doch ehrlich und authentisch. Kennt ihr den Film? Ein bisschen traurig bin ich ja, dass Richard E. Grant ohne Oscar nach Hause gegangen ist. Und Melissa McCarthys mochte ich ja schon sehr in Brautalarm und St. Vincent – welche ihrer Filme könnt ihr mir noch empfehlen? Mit den reinen Komödien habe ich es nicht so … . Habt ihr „Can You Ever Forgive Me?“ gesehen? Oder kanntet ihr vllt sogar vorher schon Lee Israel?
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