Serienlandschaft: Serien-Besprechung zu „Dark Tourist“

Vor Kurzem ging es hier ja öfter um eine gewisse Japanreise. 🙂 Da drängt es sich fast auf die hier auf dem Blog schon ewig als Entwurf schlummernde Besprechung zur Netflix-Reisedoku „Dark Tourist“ herauszukramen, in der auch Japan vorkommt. Ein „Dark Tourist“ bin ich nun wirklich nicht. Der Besuch des Friedensparks und -museums in Hiroshima hat mich schon genug ergriffen und diverse Achterbahnfahrten etc. sind mir schon ausreichend Nervenkitzel. Aber andere sind anders wie die Dokuserie beweist. Besprechung ist weitestgehend spoilerfrei.

Die meisten Menschen suchen in ihrem Urlaub Erholung und/oder Ablenkung. Manche Urlaube werden genutzt um Verwandte und Freunde zu besuchen oder Länder, die man schon immer mal sehen wollte oder um ausschweifende „Projekte“ (Umzug, etc) zum Abschluss zu bringen.  Aber offensichtlich gibt es auch Plätze, die Fans des makaberen anziehen oder solche, die eine Grenzerfahrung suchen. Dark Tourist ist nicht die erste Doku-Serie, die sich des Gedankens annimmt solchen Erfahrungen auf den Grund zu gehen und zu hinterfragen: was ist der Kick, wenn man in ein strahlenverseuchtes Gebiet fährt oder das Geburtshaus eines Serienkillers besucht? Der neuseeländische Journalist David Farrier tritt in die Fußstapfen von Louis Theroux und macht quasi die Dark-Tourist-Weltreise. Jede Episode nimmt sich einen Kontinent oder ein Land vor. Farrier begibt sich in Südamerika auf die Spuren Pablo Escobars, besucht in Japan u.a. die menschenleere und strahlenbelastete Region Fukushima und willigt in den USA ein sich quälen zu lassen. Nicht alle der besuchten Orte und Unternehmungen sind so ernst – andere bringen zum Staunen, beispielsweise die minutiös mit Intention konstruierte Vorzeige-Hauptstadt Turkmenistans, Ashgabat, die teuer aber fast menschenleer ist. So einen Platz gibt es auf der Welt? Ja, gibt es.

„Dark Tourist | Official Trailer [HD] | Netflix“, via Netflix (Youtube)

 

Die Mischung der einzelnen Folgen ist dabei erfreulich durchwachsen. Es gibt meistens einen kuriosen bis witzigen Bericht, der den Zuschauer zum Staunen bringt und klüger macht. Bis zu der Stelle kommt die Dokuserie quasi dem Bildungsauftrag nach 🙂 Die anderen Ausflüge Farriers kratzen aber etwas an der Grenze. Zwar bleibt die Doku durchgängig neutral und wertet nicht, sondern erfasst verschiedene Ansichtsweisen bezüglich des gezeigten Ortes und was Dark Tourists daran anzieht. Dennoch bleibt einem ab und zu ein Kloß im Hals stecken, wenn Farrier und seine Dark Tourists beispielsweise durch das postapokalyptisch anmutende Fukushima laufen –  wegen der Bilder und wegen der Ignoranz der Touris. Beispielsweise, wenn sich die darin gezeigten Touristen naiv darüber beklagen, dass die Strahlung viel höher sei als ihnen vorher gesagt wurde und nervös auf ihre knarzenden Geigerzähler schauen. Was hatten sie denn erwartet? Fukushima ist Schauplatz einer Umweltkatastrophe und nicht nur das: auch einer menschlichen und politischen. Und obwohl die Doku auf all diese Aspekte eingeht (Sensationsgeilheit, Naivität aber auch echtes Interesse und Hunger nach der ungeschönten Erfahrung), stellt sich die Frage warum die Dokureihe so unterschiedlich aufgefasst wird und an wen sie sich eigentlich richtet? An Leute wie mich, die neugierig genug sind, die Doku zu schauen, aber niemals zu diese Orte bereisen würden bzw. diese Attraktionen besichtigen würden? Oder an Sensationslustige, die einen Kick brauchen? Oder an Leute, die ihr Urteil über die Beweggründe für den „Dark Tourism“ schon gefällt haben? Manche Medien haben die Reihe als anmaßend und oberflächlich bezeichnet. Hat die Serie das verdient? Für meinen Geschmack wurden die einzelnen Ereignisse stets mit einem gewissen Abstand betrachtet und die Menschen respektvoll behandelt. Aber wenn „Dark Tourists“ sich von Jeffrey Dahmer angezogen fühlen, „zum Spaß“ die Flucht über eine Grenze simulieren oder gern Kriege nachspielen, dann ist eine provozierende und direkte Frage vielleicht nicht unangebracht. (8/10)

Sternchen-8

Was haltet ihr von dem Trend des „Dark Tourism“? Habt ihr eventuell sogar selber mal einen Ort bereist, der in diese Kategorie fallen würde? Oder eine Aktion mitgemacht, die grenzwertig war? Ich kenne tatsächlich schon mehrere Leute, die in Prypjat waren. Das Interesse an der Grenzerfahrung kann ich verstehen. Es muss nicht nur die Suche nach einem Abenteuer sein, sondern echtes Interesse, der Gedanke einen bewegenden geschichtlichen Moment nachvollziehen zu können und sich ein realistisches Bild von dem zu machen, worüber alle immer nur reden. Aber andere ausboten, um was interessantes erzählen zu haben, die Suche nach dem „Kick“ … das finde ich bei krassem „Dark Tourism“ etwas dünn. Wie geht es euch da? 

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).

5 Antworten

  1. Bin ich ein Dark Tourist, wenn ich mit Vorliebe Friedhöfe besuche, also z.B. Highgate Cemetery in Lonen, Père Lachaise in Paris oder diverse Friedhöfe in Edinburgh? Oder wenn ich an geführten Geistertouren und historischen, nächtlichen Stadtführungen teilenehme? Oder Höhlen besichtige?

    1. es sollte London heißen. Nicht Lonen.

      Wo es mich persönlich schaudert, wenn Fans in dem Hotelzimmer wohnen möchten, in dem ihr Idol gestorben ist – oder sie unbedingt in dem Restaurant den selben Tisch haben möchten, an dem er am Abend zuvor seine letzte Mahlzeit hatte. Da wäre meine persönliche Schmerzgrenze erreicht.

      1. Avatar von Miss Booleana
        Miss Booleana

        Hmmm, weiß nicht. Friedhöfe sind ja Orte des Gedenkens. Also ist ein Besuch dessen nicht so ungewöhnlich. Es ist ja auch oftmals eine Frage dessen wie man sich verhält. Wenn kreischende Frauen Jeffrey Dahmers Wohnsitz besuchen oder sich Möchtegern-Models in Fukushima ablichten, weil die apokalyptische Umgebung so wirkungsvoll ist, ist das schon „darker“ würde ich sagen 😉

        Geistertouren oder nächtlichen Stadtführungen bin ich auch nicht abgeneigt. Das ist halt der normale Spaß am makabren oder interessanten. Aber nicht moralisch verwerflich.

        Kommt halt bei vielem auf die Sichtweise an … der eine siehts so, der andere vielleicht anders.

        Aber wenn man die Orte des Todes oder letzten Mahlzeit besucht, da läuft mir auch ein Schauer über den Rücken … das muss nicht sein

  2. Hm. Ich würde tatsächlich in London auf eine Jack the Ripper-Tour gehen. Und ich glaube, Prypjat würde ich mir auch ansehen. Nur möchte in dabei nicht in Begleitung von Menschen sein, die nicht den nötigen Respekt zeigen. Fukushima, nein. Hiroshima, ja. Ich glaube, die Hemmschwelle ist umso geringer, je länger das Ganze her ist.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ich denke es geht auch mehr um die Kritik daran, wenn Touris nicht den nötigen Respekt zeigen und wenig um die morbiden Erlebnisse selber. Was das betrifft: eine Jack the Ripper Tour würde ich beispielsweise auch mitmachen. Alleine aus Interesse daran den geschichtlichen und lokalen Kontext einordnen zu können.

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