Es ist faszinierend wie unterschiedlich der Joker schon dargestellt wurde und dass die Figur scheinbar nie alt wird, sondern immer nur neue oder andere Formen animmt. Aufgedreht, pointiert und bunt von Jack Nicholson in den Batman-Filmen der 90er Jahre. Realistischer, subversiv und mehr an Chaos als Profit interessiert: von Heath Ledger in Nolans „The Dark Knight“. Als Grillz-tragender Rockstar in „Suicide Squad“. Und das sind nur ein paar Beispiele. Einer meiner 19 Gründe um sich auf 2019 zu freuen war aber die neuste Personifikation und Origin Story des Jokers – dieses Mal durch Joaquin Phoenix und Regisseur Todd Phillips.
Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) droht durch das Raster zu fallen. Zwar hat er einen Job als Party- und Krankenhausclown, mit dem er sich und seine Mutter Penny (Frances Conroy) über Wasser hält, aber er fühlt sich von der Gesellschaft ausgestoßen. Aufgrund psychischer und neurologischer Erkrankungen beginnt er unkontrolliert zu lachen, insbesondere wenn er nervös ist. Zwar befindet er sich in Behandlung, aber man begegnet ihm nicht mit echtem Interesse und zeigt schon gar keine Handlungsbereitschaft. Andere Menschen begegnen ihm oftmals misstrauisch, er schaut v.A. in stirnrunzelnde und skeptische Gesichter. Arthur würde die Menschen gern zum lachen bringen und entweder die Tätigkeit als Clown professioneller, sichtbarer und anerkannter betreiben oder gar Standup-Comedian werden. Als er aber in allen Bereichen seines Lebens herbe Rückschläge erleidet, möchte er die Menschen auch nicht mehr zum Lachen bringen.
Regisseur Todd Phillips erzählt mit Joker die Origin-Geschichte des Clown Prince, der als Gegenspieler Batmans aus den Comics von DC bekannt ist. Es ist quasi das genaue Gegenteil des Nolanschen Ansatzes den Mythos um den Ursprung des Jokers aufrecht zu erhalten. Wir erinnern uns, dass er dort Heath Ledgers Joker-Inkarnation verschiedene Geschichten erzählen lässt wie er der Joker wurde und woher sein „Grinsen“ kam, von denen vielleicht keine wahr ist. Ist es aber nun besser oder interessanter oder aufschlussreicher die Origin-Geschichte zu erzählen? Oder entmystifiziert es die Kultfigur? Beides zum Teil. Joker ist kein Feelgood-Movie, soviel dürfte klar sein. Arthur Fleck wird in allen Belangen korrumpiert und scheinbar vom Schicksal sabotiert. Anfangs noch ein gutmütiger Kerl, der stets und ständig von seinen Mitmenschen ausgestoßen wird und auf Intoleranz seiner Erkrankung, Lage oder Person stößt; wandelt er sich zu einem subversivem Element, das vor Gewalt nicht zurückschlägt. Er wird sogar die Symbolfigur einer ganzen Protestbewegung, die dem Gefolge des Jokers in den Comics ähnelt. Ein beträchtlicher Teil des Films ist der Effekt, den Arthur als Joker auf die Menschen ausübt. Die nehmen sich seiner „Fuck the system“-Attitüde an, derer er sich vielleicht nicht mal selber voll bewusst ist, und begehren gegen die Politik und Klassengesellschaft auf. Die Origin-Story, die auch die Comics nicht erzählten. Der Zuschauer muss selber entscheiden, ob das der Joker ist, den er erwartet hat.
„The worst part of having a mental illness is people expect you to behave as if you don’t.“
Dabei positioniert sich der Film einerseits sehr politisch und lässt an zahlreiche Demonstrationen denken, in denen das Volk aufbegehrt wie in Hongkong oder auch an bloße Zerstörungswut wie vor Jahren während des G20-Gipfels in Hamburg. Ein gefährlicher Spagat ist es aber andererseits die Darstellung Arthurs psychische(n) Erkrankung(en) oder viel mehr dessen, was daraus resultiert. Die im Übrigen leider sehr unscharf umrissenen Erkrankungen münden hier in Gewalt. Damit widerspricht sich der Film quasi selber in einer sehr wichtigen Aussage. Arthur scheitert an der Härte und Kälte der Menschen in seinem Umfeld, die von ihm (so das Zitat im Film sinngemäß) erwarten, dass er sich so verhält, als ob er keine psychische Erkrankung hätte. Menschen müssen nach der allgemeinen Meinung funktionieren. Und alles was das nicht tut, wird gemieden, ausgegrenzt und wie in Arthurs Fall gar in schwachen Momenten verprügelt und misshandelt. Regisseur Todd Phillips kannte ich bisher eher als Schöpfer der Hangover-Filme und hätte diese Psychostudie nicht unbedingt von ihm erwartet – denn die ist gelungen. Bis eben auf den Punkt, dass psychische Erkrankung nicht mit Amokläufen und Gewaltausbrüchen gleichgesetzt werden dürfen. Denn entgegen dieses Bildes sind die oftmals gefährlich leise. Und meistens vor Allem gefährlich für die Erkrankten.
„JOKER – Teaser Trailer – Now Playing In Theaters“, via Warner Bros. Pictures (Youtube)
Während dieser Aspekt des Films ein bisschen mit Vorsicht zu genießen ist und stark von der Interpretation des Zuschauers abhängig, ist der Rest stimmungsvoll und handwerklich gut gemacht . Und tragisch, zeigt er doch Arthurs abgleiten in eine zum Teil mehr von der Öffentlichkeit geschaffene Antihelden-Figur und abdriften von seinem Alter Ego. Es ist definitiv kein Film, bei dem man mit schallendem Gelächter aus dem Kinosaal geht. Joker kann die Stimmung (vielleicht auch wegen der Relevanz und Brisanz?) drücken. Joaquin Phoenix trägt maßgeblich dazu bei Arthurs Dilemma von der Leinwand auf den Zuschauer zu transportieren – und trägt den Film. Man ist als Zuschauer hin- und hergerissen von dem tragischen Antihelden und den Eindrücken, die er auslöst. Die Schattierungen zwischen Fremdschämen und tiefem Mitgefühl sind dicht und die Übergänge scheinen nahtlos. Phoenix nahm beträchtlich für die Rolle ab und inszeniert Flecks pathologisches Lachen mindestens so ernsthaft und glaubhaft wie die Szenen des Clowns, der sein weinendes Gesicht versucht zu überschminken. Zazie Beetz ist zwar sehr sympathisch in ihrer Rolle als Nachbarin der Flecks, aber das Drehbuch gestattet ihr dabei so wenig Raum, dass sie den sexy lamp test wohl nicht bestehen würde (leider). Ein bisschen mehr Raum nimmt da schon Robert De Niro als Late Night Show Master Murray Franklin und Arthurs Idol und Vaterfigur ein, der Arthur nicht nur seinen Namen geben wird, sondern ihn auch zutiefst enttäuscht.
Natürlich stellt sich dem comic-begeisterten Zuschauer die Frage, ob man auch andere DC-Charaktere zu Gesicht bekommt. Aber darüber hülle ich den Schleier des Schweigens. Vorfreude ist doch die schönste Freude, oder? In jedem Fall ist Todd Phillips Joker ein Psychogramm unserer Gesellschaft und des Umgangs mit psychischen Erkrankungen, wenn auch kein Psychogramm psychischer Erkrankung. Der Film ist keine leichte Kost, gewinnt aber sehr durch einen großartigen Joaquin Phoenix, einen Hauch comic relief und eine gewisse Brisanz in punkto Politik, Gesellschaft und Zeitgeist. Vielleicht kriegen wir alle noch die Kurve, wenn wir unsere Empathie rechtzeitig wiederfinden.
Joker, USA, 2019, Todd Phillips, 122 min, (8/10)
Ihr seht, dass ich jetzt nicht total in Begeisterungsstürme ausbreche und zehn Punkte gebe. Warum kann man ja der Besprechung entnehmen. Aber wenn es um Joaquin Phoenix Darstellung alleine ginge, würde ich ihm (wieder mal) liebend gern zehn von zehn, ach was, elf von zehn Sternchen geben – ich verstehe, warum er jetzt schon als Oscar-Anwärter gehandelt wird. Wie habt ihr den Film wahrgenommen?
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