Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „The Monster Collection“

Als Teenager war ich sehr interessiert an Literatur und ambitioniert. „Diese Klassiker – die muss man scheinbar kennen. Redet ja heute noch jeder drüber.“ Nahm mir vor die Dreifaltigkeit aus Mary Shelleys „Frankenstein“, Bram Stokers „Dracula“ und Robert Louis Stevensons „Dr Jekyll & Mr Hyde“ zu lesen. Damals begann ich mit Frankenstein und scheiterte kläglich. Zu ältlich (heute würde ich eher sagen hochtrabend oder vornehm) der Schreibstil für meine damaligen ca dreizehnjährigen Lesegewohnheiten. Zu lange musste ich vor lauter Rahmenhandlung auf Frankensteins Monster warten. Wann kommt es denn nun endlich?? Ich brach ab. Ähnlich war es bei „Dracula“. Jekyll und Hyde probierte ich dann gar nicht erst. Nun mit knapp über dreißig Jahren und als Leser gereift, wäre es doch ein guter Zeitpunkt das nachzuholen? Im Oktober letzten Jahres nahm ich mir anlässlich Halloweens und des Horrorctobers die drei Horrorklassiker nochmal vor. Auf der Suche nach Schauer-Hörbüchern fand ich eine ungekürzte Hörbuchvertonung auf Englisch – im Paket. Uh. Warum nicht? Vielleicht klappt es heute besser mit mir und den Monstern.

Kurzfassung: tat es. Auch heute noch sind die Erzählungen für mich aber einen Tick zu ausschweifend. Außerdem muss ich gestehen, dass mich vor Allem die Sprecher gelockt haben. Richard Armitage spricht The Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde, Dan Stevens (u.a. bekannt aus Downton Abbey und Legion) spricht Frankenstein or The Modern Prometheus und Greg Wise liest Dracula. Alle drei Geschichten im Bündel vorzufinden – das ist nicht unbedingt selten. Es gibt einige Vertonungen des Stoffs. Man möchte gar sagen es gibt sie wie Sand am Meer, ähnlich wie es um Adaptionen daraus steht. Mit satten 30 Stunden und 25 Minuten Spieldauer ist es auch eine ungekürzte Fassung. Eingeleitet werden die einzelnen Geschichten von Dr Maria Mellins und Dr Peter Howell, die Gothic literature an der St Mary’s University in London unterrichten. Es ist sehr spannend anzuhören wie sie das Geschehen und die zeitliche und gesellschaftliche Einordnung zusammenfassen und analysieren. Sie finden ansprechende Worte über die Deutung, denn ein Motiv der drei Bücher ist tatsächlich gleich. Sie thematisieren Leidenschaften und Faszinationen mit abgründigen Themen, die der Mensch nicht wagt auszuleben und stattdessen auf die angeblichen Monster transportiert. Oder noch deutlicher gesagt: auf das Monster in uns. Wissenschaftliche Experimente, Ideen die die Annahmen über Leben, Vernunft und Pflicht auf die Probe stellen – das sind ziemlich kontroverse Stoffe. Und die haben offenbar heute noch eine große Anziehungskraft. Wer sich aber vor Spoilern bewahren will, hört die Analyse der Profis vielleicht lieber danach. Die Vertonung ist ein Audible Exclusive und nur auf der Plattform verfügbar. Dankenswerterweise ist es in drei Teile gesplittet, sodass man sie nicht alle sofort herunterladen muss und es den Datenhaushalt schont. Dass aber die Teile quasi in der Mitte getrennt sind und nicht nach Titel ist leider nicht ganz so schön gelöst. Ansonsten ist die Hörfassung tadellos.


„The Monster Collection | Audiobook Trailer“, via Audible UK – Audiobooks (Youtube)

Richard Armitage variiert in The Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde ausgesprochen gut zwischen dem etwas feiner und feinfühliger klingenden Dr Jekyll und dem rauen und über Leichen gehenden Mr Hyde. Was ich gar nicht wusste oder vor dem Hörer auch gar nicht zwingend vermutet habe, ist dass das Buch aus Sicht der Freunde Dr Jekylls Enfield und Utterson verfasst ist. Durch den recht gestreckten Hergang und Beginn der Erzählung, wirkt das Ende dann doch sehr abrupt. Manchmal ist es etwas schade, dass man den großen Aufhänger des Romans schon kennt und damit quasi gespoilert in die Geschichte hineingeht. Gerade das Motiv Jekylls und Hydes wurde ab dann so oft in anderen Werken kopiert, dass man das Muster schon kennt, den Hergang ahnt. Das gibt einem vielleicht die Freiheit auf die Spuren zu achten, die man als unbefleckter Leser/Hörer leicht übersehen kann. Entwickelt aber eventuell nicht die BÄM-Wirkung, die man hätte haben können. Nichtsdestotrotz war es sehr cool die Geschichte mal in voller Gänze zu hören – und dank Richard Armitages samtiger, tiefer Stimme sehr angenehm. 🙂 Dan Stevens liest Frankenstein or The Modern Prometheus und tut etwas recht ähnliches: er gibt Frankensteins Monster eine empfindlichere, sensiblere Stimme als Victor Frankenstein oder diversen anderen Erzählern. Und das gewohnt gut, manchmal vielleicht etwas zu gleichfömig in der Intonation für meine subjektive Wahrnehmung. Trotzdem hat insbesondere seine stimmliche Darstellung des Monsters mich sehr gerührt und ist mir bis heute im Kopf geblieben.

Greg Wise spricht die männlichen Parts in Bram Stokers Dracula, die weiblichen werden von einer Sprecherin vorgetragen. Das kuriose ist, dass ich durch schnell ein, zwei Mal Googeln nicht rausgekriegt habe, wer u.a. Mina Harker spricht. Wie kann das sein? Die Parts sind schließlich nicht unbedingt gering. Sie spricht die männlichen Parts zwar für meinen Geschmack zu aufgesetzt und bemüht, auch verfällt sie in einen „Singsang“ gleichförmiger Betonung und Sprachmelodie, aber sie hat doch trotz eine solide Arbeit geleistet und wenigstens soviel Kudos verdient. Ansonsten sind die Parts etwas schwierig abzugrenzen. Dracula ist quasi ein in Briefen, Tagebüchern und Berichten verfasster Roman. So werden männliche Parts u.a. auch von der weiblichen Sprecherin vorgetragen, wenn sie bspw. durch Mina Harker in einem Brief wiedergegeben werden. Aber gerade die in amerikanischem Slang vorgetragenen Passagen sind sehr schwer zu verstehen und ich habe mich dabei ertappt darüber hinwegzuhören. Greg Wise spricht den Grafen Dracula mit einem zumindest für mein Empfinden brillanten und stimmungsvollen osteuropäischen Akzent. So wie auch seine beiden Vorgänger hat Dracula selbst für mein heutiges Leseempfinden so seine Längen. Was mich sehr erstaunt hat ist die sehr große Empathie und Aufmerksamkeit die der Fall Lucys in dem Buch einnimmt. Interessant ist, dass Francis Ford Coppola bekannte Verfilmung aus dem Jahr 1992 mit Gary Oldman als Dracula, Anthony Hopkins als Van Helsing und Winona Ryder als Mina Murray Harker v.A. gegen Ende mit dem Buch nichts mehr gemein hat. Vielleicht in den groben Zügen, setzt aber einen anderen Fokus und eine inhaltlich vollkommen andere Note als der Roman. Letztendlich waren alle drei sehr stimmungsvoll und ich kann verstehen, warum sie für die damalige Zeit solche Klassiker und Sensationen wurden. Und warum ihr Charme und ihre Ideen bis heute nachhallen. Als Lektüre sind sie mir etwas zu langatmig. Meine Ungeduld als junger Leser sehe ich heute also nachträglich weniger verschämt. 😉


„Behind the scenes with Richard Armitage as he performs ‚Dr Jekyll and Mr Hyde’“, via Richard Armitage Blog (Youtube)

Zur Hörprobe bei Audible *

Kennt ihr die Horrorklassiker? Habt ihr sie gelesen und durchgehalten? Welcher ist euer Favorit der Drei? Man könnte sicherlich über all die Motive in jedem einzelnen der Bücher seitenweise fokussierte Beiträge schreiben. Aber ich habe das Gefühl, dass das schon andere zur Genüge getan haben. 😉 * Ich bekomme übrigens kein Geld von Audible.

12 Antworten

  1. Bei Frankenstein ist auch der Hintergrund der Entstehung interessant. Gibt sogar einen entsprechenden Film mit Gabriel Byrne als Lord Byron 🙂 (Gothic))

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh – War das nicht so eine Art Wettstreit?? Ich habe da mal ein bisschen was in einer Fernsehserie aufgeschnappt. The Frankenstein Chronicles mit Sean Bean. Habe aber nicht nachgeforscht wieviel Wahrheit da drin steckt.

      1. Ja, genau, wer die beste Horrorstory schreibt. Den Wettstreit hat Mary Shelley definitv gewonnen. 😉

  2. Das klingt schon interessant, besonders die Richard-Armitage-Lesung reizt mich… wenn ich doch nicht schon so viele Hörbuch-Versionen dieser drei Klassiker hätte. Die Bibliothek meines Vertrauens ist ganz gut mit Klassiker-Lesungen im Original von Bertz + Fischer GbR ausgestattet, darunter auch die drei erwähnten. Gerade die Dracula-Lesung ist wirklich nicht von schlechten Eltern, wenn auch die Sprecher nicht unbedingt bekannt sind. Ich bin auch ein großer Fan von Dracula-Hörbüchern, bei denen jeder Tagebuchschreiberling seinen eigenen Sprecher hat, in dem erwähnten Dracula-Hörbuch ist das so. Bei Audible gibt es noch ein weiteres englisches Dracula-Hörbuch, das mich ebenfalls sehr reizt, der Ansatz ist derselbe und die Sprecherriege kann sich wirklich sehen lassen, u.a. machen Tim Curry und Alan Cumming mit.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hätte ich wetten müssen, hätte ich drauf gesetzt, dass du da eine gewisse Historie hast 😉
      Eigentlich finde ich es ja auch schöner, wenn sich nicht ein Sprecher im Imitieren verschiedener Stimmen und Geschlechter gibt. Das kann schon manchmal recht peinlich rüberkommen. Aber einen zu bezahlen scheint wohl attraktiver zu sein als zwei oder mehr zu bezahlen …
      Oh Tim Curry und Alan Cumming! Das kann ich mir gut vorstellen! Spannender Cast.

      1. Normalerweise habe ich damit eigentlich keine Probleme, besonders, wenn mir der Sprecher zusagt, Leuten wie Stephen Fry, Joachim Kerzel oder Franziska Pigulla kann ich ewig zuhören. Aber gerade bei einem Roman wie „Dracula“ drängt sich dieses, nennen wir es mal, „Halbhörspiel-Format“ mit einem Leser pro Tagebuch natürlich fast schon auf – die meisten Hörbuchproduktionen, die ich kenne, machen das dann auch so. Vom Deutschen Grammophon gibt es auch ein richtiges Hörspiel, das wegen langer Erzählpassagen dann aber immer wieder Hörbuchcharakter hat. Ist übrigens auch sehr zu empfehlen, Lutz Riedel spricht Dracula. Und ja, ein ausführlicher Artikel spezifisch zu den Audio-Adaptionen von Dracula ist bei mir schon länger in Planung 😉

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ich hätte Wetten darauf abschließen sollen! 😉 Ist der Artikel schon draußen? Ich bin ja immer mal etwas hinterher mit dem Lesen. Wenn nicht stolpere ich mit Sicherheit darüber, wenn er erscheint und werde ihn gespannt lesen.

  3. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Ich kenne die Drei nur aus Verfilmungen, aber die Persönlichkeitsmuster sind doch bemerkenswert. Ich bin sicher, dass die Bücher da noch sehr viel mehr bieten werden. Erstaunlich finde ich, dass mir diese Muster in jungen Jahren nicht aufgefallen sind. Meine Sympathie gilt wohl Frankenstein, mein Favorit ist er aber nicht.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Und gilt deine Sympathie Frankenstein oder Frankensteins Monster? 😉
      Aber ja – ich kannte vorher auch zu allen die Verfilmungen und fand eigentlich bisher immer Dracula am interessantesten. Aber dann kam diese Twilight-bedingte Übersättigung mit dem Motiv des Vampirs. Danach fand ich auch Frankenstein interessanter und kann mich noch sehr gut an die NT Live Aufzeichnung mit Benedict Cumberbatch als das „Monster“ erinnern. Wirklich toll gemacht.
      Die Muster und Gemeinsamkeiten waren mir vorher auch nicht so bewusst, muss ich zugeben. Hätte mich jemand nach der Gemeinsamkeit der Stoffe gefragt, hätte ich wohl geantwortet „Sie sind Klassiker der Schauerliteratur“.

      1. Avatar von voidpointer
        voidpointer

        Das Monster hat einen Sympathievorsprung. Von Twilight habe ich nie mehr als einen Trailer gesehen. Ich würde vermuten, dass mein klassisches Vampirmotiv in dem Film bestenfalls am Rande vertreten ist und konnte daher Bella und Edward unbeschadet überstehen.
        Danke für die Empfehlung der NTL-Aufzeichnung mit Cumberbatch – ich bin gespannt!

  4. […] Collection“; hier findet man drei Horror-Klassiker, darunter „Dracula“ zum Preis von einem (hier geht’s zur Rezension von Miss Booleana). Das eigentliche Sujet dieses Artikels sind allerdings […]

  5. […] Spiel natürlich schon, aber gut umgesetzt. Das Auftreten Robert Louis Stevensons, des Autors von Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, hätte ich gar nicht unbedingt gebraucht. Zumindest nicht in Person oder auch nicht mehrmals. Es […]

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