Serien-Besprechung: „Fleabag“ Season 1 & 2

Als vor ein paar Jahren schon mal alle über „Fleabag“ redeten, war ich gar nicht so unbedingt angefixt. Comedy hat es bei mir immer recht schwer und ich gestehe die schnell auszuklammern und gar nicht erst auf die Watchliste zu setzen. Als ich neulich mehr aus Zufall und Laune doch mal rein schaltete, lernte ich schnell, dass „Fleabag“ was besonderes und bei weitem nicht so einfach in die Schublade zu stecken ist. Vielleicht wird es die beste Serie, die ich dieses Jahr gesehen habe. Wie konnte ich Fleabag ignorieren?? Reviews sind erstaunlicherweise spoilerfrei.

„Fleabag“ Season 1

Sie redet mit dir. Und mit mir. Mit uns. Fleabag (Phoebe Waller-Bridge). Das ist sicherlich nicht ihr echter Name, aber ein bezeichnender. Denn egal ob man es als Sack Flöhe liest oder versucht es aus dem Englischen als Miststück oder Schandmaul oder Ähnliches zu übersetzen: es passt. Fleabag ist eine junge Londonerin, die sich kürzlich mit ihrer besten Freundin Boo (Jenny Rainsford) den Traum vom eigenen Café erfüllt hat. Das nicht so besonders gut läuft. Fleabags Freund Harry (Hugh Skinner) hat sich gerade von ihr getrennt. Als sie zu Barack Obamas masturbiert hat. 🙂 Sie nimmt es mit manchen Sachen nicht so genau. Wechselnde Partner, mal den Pullover lüften um den ersehnten Kredit beim Termin mit der Bank einzuheimsen, ihrer Stiefmutter eine teure Statue klauen und heimlich versuchen die für möglichst viel Kohle zu versetzen … kann man machen. (Tut man normalerweise vielleicht eher nicht, aber pssst.) Und wir sind Komplizen. Fleabag spricht mit uns und durchbricht die vierte Wand. Manchmal reicht ein verschwörerischer Blick über die Schulter zu uns. Und wir wissen was sie denkt. Und wir sind gern Komplize. Denn Fleabag macht zu einem Großteil Dinge, die sehr menschlich sind. Zu einem mittelgroßen Teil Dinge, die wir auch gern machen würden uns aber nicht trauen und zu 20% Dinge, von denen der Zuschauer sich wünschen würde, dass sie es nicht macht!


„When your boyfriend catches you in bed with Obama – Fleabag: Episode 1 – BBC Three“, via BBC Three (Youtube)

Aber es ist nicht alles nur Provokation. Wir lernen bereits in der ersten Episode, dass Fleabags beste Freundin und Geschäftspartnerin Boo sich das Leben genommen hat; dass ihre Mutter vor Kurzem verstorben ist und der hilflose Vater sich inzwischen mit der ehemals besten Freundin seiner Frau eingelassen hat. Olivia Colman spielt eine brillant biestige, artsy-fartsy „Stiefmutter“. Auch die Beziehung Fleabags zu ihrer Schwester Claire (Sian Clifford) ist schwierig und wechselt sprunghaft zwischen Annäherung und Bindung zu Abstoßung und Entfremdung. Die mit im Schnitt nur 23 Minuten langen Episoden macht es zu einer sehr kurzweilige Serie. Es ist rekordverdächtig in was für kurzer Zeit sie sehr natürlich vermitteln, dass Fleabags bewegtes Sexualleben und teilweise radikalen Aktionen ein Ausdruck des Traumas sind, dass sie versucht zu verarbeiten. Die Serie ist Gold. Dabei basiert sie auf eine One-Woman-Theater-Show von Phoebe Waller-Bridge, die ihr einst auch eine Nominierung für den Olivier Award einbrachte. Der bissige Humor treibt einem vor Lachen Tränen in die Augen, die gerne mal ebenso schnell wie die Stimmung der Serie fließend zu Tragik übergehen. Fun fact: Fleabag ist eine von Barack Obamas Lieblingsserien 2019 gewesen. 😉

(9/10)

Sternchen-9


„Fleabag Season 2 – Official Trailer | Prime Video“, via Amazon Prime Video (Youtube)

„Fleabag“ Season 2

Die zweite Staffel von Fleabag wurde mit BAFTAs, Emmys und erst dieses Jahr Golden Globes überschüttet. Während die erste eher noch ein Kritikerliebling und Geheimtipp war, ging die Serie mit der zweiten Staffel durch die Decke und erlangt den Grad Berühmtheit, der macht, dass Hosenanzüge, die Phoebe Waller-Bridge in der Serie trägt ausverkauft sind und es scheinbar zum guten Ton anspruchsvoller Serienkritiker gehört die Serie zu kennen. Vielleicht liegt es daran, dass Fleabag in dieser Staffel etwas gereift ist. In der Serie ist ca ein Jahr seit den Geschehnissen der ersten Staffel vergangen. Zwar ist längst nicht alles vergeben und vergessen, aber der quasi Zusammenbruch im Staffelfinale zuvor hat Fleabags Leben geebnet. Manchmal muss alles raus, damit es weitergehen kann. Aber die Welt um Fleabag bleibt eben nicht stehen und einige der insbesondere familiären Konflikte werden fortgesetzt. Die bevorstehende Hochzeit ihres Vaters und der ehemals besten Freundin ihrer Mutter steht bevor und die Familie lernt den Priester (Andrew Scott) kennen, der die Beiden trauen soll. Es kommt nicht von ungefähr, dass seine Rolle in der Endroll als „priest“ angegeben ist, aber er von der Fanbase eigentlich nur „hot priest“ genannt wird. 😉 Steht die nächste Katastrophe vor der Tür?

Tatsächlich nein. Die zweite Staffel ist deutlich bekömmlicher und weniger provokativ als die erste. Man weiß, was Fleabag durchgestanden hat und kann ihren Charakter besser ab. Dass sie Sex als Instrument benutzt hat um sich besser zu fühlen ist vorbei. Jetzt hat sie Sex, wenn sie ihn wirklich will und nicht wahllos, was die Staffel nicht weniger sexy macht. Vor Allem dank der fantastischen Chemie zwischen Phoebe Waller-Bridge und Andrew „hot priest“ Scott. Dass sie nun ausgerechnet mit einem jungen, gut aussehenden, witzigen und fluchenden Priester zusammen kommt scheint Schicksal zu sein. Noch ist ihre Schuld und ihr Trauma nicht vollkommen gewichen – eine fantastische Vorlage für die Tugendhaftigkeit, die die Bibel lehrt und die Vergebung, die die Kirche und das Priester-Motiv verspricht. Dass eben der neben seiner erleuchteten, weisen Seite, auch noch eine verletzliche und ein bisschen versaute haben muss, passt aber auch so unglaublich gut. Fleabags Dilemma in der zweiten Staffel (mal abgesehen vom Zölibat des hot priest) ist aber auch das Vergessen. In Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit ihres Vaters mit einer neuen (und ausgesprochen biestigen Frau – Olivia Colman ist wieder große Klasse!) kommen auch die Erinnerungen an Fleabag und Claires Mutter hoch. Man kann es in die Länge ziehen, man kann es auch kurz fassen: es ist die perfekte Staffel! Sie hat viel Menschlichkeit (in Stärke wie in Schwäche), viel Komik und ein perfektes Tempo. Außerdem hat die zweite Staffel einen Fuchs. Einen Fuchs!!

(10/10)

Sternchen-10


„Fleabag 2 Minutes of the Hot Priest Being Hot | Prime Video“, via Amazon Prime Video (Youtube)


„Phoebe Waller-Bridge Reveals How She Justified Reviving Fleabag for Season 2“, via The Tonight Show Starring Jimmy Fallon (Youtube)

Aktuell ist es wohl eher nicht zu erwarten, dass „Fleabag“ für eine dritte Staffel zurück kommt. Und auch wenn ich gerade noch extrem gehyped und aufgedreht bin, muss ich sagen: gut so. Phoebe Waller-Bridge ist neben Hauptdarstellerin auch der kreative Kopf hinter dem Drehbuch und kein Fan von Fortsetzungen. Mit gutem Grund. Die machen leider nicht immer was besser. Auch die zweite Staffel hat sich von 2016 (erste) bis 2019 Zeit gelassen und wurde exzellent. Hat aber eben auch ein exzellentes Ende in dem Fleabag erneut sichtlich gereift und noch einmal mehr in ihrem Leben angekommen ist. Warum weiter machen? Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Kennt ihr die Serie? Wie hat sie euch gefallen? Und wünscht ihr euch eine dritte Staffel?

15 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Als hätten wir uns diese Woche abgesprochen mit Fleabag-Veröffentlichungen. Ich finde diese Serie auch großartig… und wenn nicht Corona gewesen wäre, hätte ich mir auch ihr Theaterstück angeschaut. Das haben einige Kinos hier in Berlin als Mitschnitt angeboten.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      In der Tat! 😀 Habe deinen Artikel auch gerade im Feed-Reader gefunden und offen. Schaue gleich mal rein.
      Fleabag war tatsächlich irgendwie Teil von National Theatre Live, oder? Schade, dass das nicht bis zu uns geschwappt ist. Vielleicht ergibt sich ja nochmal eine Gelegenheit. Interessiert mich schon wie das als One-Woman-Show wirkt. Ob das dann ein stetes Durchbrechen der vierten Wand ist oder wie?

      1. Avatar von donpozuelo
        donpozuelo

        Ja. Genau, das gehörte da mit dazu. Und ich kann mir schon vorstellen, dass sie im Stück das Publikum anspricht.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ja das sicherlich – aber wie löst sie das mit den verschiedenen Charakteren? Vielleicht als ob sie das alles dem Publikum rückblickend erzählt oder so? Vllt braucht es die vielen Nebencharaktere auch nicht?
          Schade … kein Sexy Priest …

          1. Avatar von donpozuelo
            donpozuelo

            Ja… kein sexy Priest… oder sie spielt den sexy Priest selbst. Vielleicht erzählt sie das wirklich alles rückblickend, dann könnten die Charaktere gut reinpassen

  2. Definitiv eine meiner absoluten Lieblingsserien, PWB ist einfach genial. Werde mir auch auf jeden Fall demnächst das Theaterstück anschauen, die Aufnahme haben sie ja jetzt wegen Covid-19 auf Amazon Prime hochgeladen. Und alles andere, wobei sie irgendwie beteiligt ist, „Crashing“ hat mir auch super gefallen, „Killing Eve“ begeistert mich auch schon nach den ersten Folgen, und auf den nächsten Bond bin ich ebenfalls sehr gespannt.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Leider habe ich Fleabag als Theaterstück bisher nicht auf Amazon Prime gefunden – hätte mich sehr interessiert! 🙂 Stattdessen habe ich gelesen, dass man es in UK für einen geringen Obulus online streamen kann. Ich suche weiter … Crashing kenne ich nicht, aber Killing Eve hat mir auch sehr gut gefallen. Wobei ich immer schwer unterscheiden kann inwieweit die Tätigkeit einer Produzentin und Showrunnerin da reinfließt.

  3. Hey =)
    Ich fand die zwei Staffeln von Fleabag auch richtig gut, leider so schnell vorbei und es soll ja nichts mehr nachkommen. Das Ende passt aber auch zur Serie. Wenn es irgendwann mal eine schöne DVD-Edition gibt, werde ich mir die sicherlich zulegen.

    Liebe Grüße,
    Nico

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi Nico,

      ja wirklich zu schnell zu Ende! Ich hatte dieses Mal richtig Trennungsschmerzen als ich die zweite Staffel zu Ende geschaut habe. Aber eigentlich ist es auch besser so, finde ich. Also dass es nach der zweiten Staffel endet. Es ist ein so gutes Ende und es wäre schade, wenn mehr kommt, das aber vielleicht im Niveau sinkt. Looking at you BBC Sherlock …

      Ebenso liebe Grüße 🙂

      1. Aufhören, wenn es am besten ist… Gibt nicht viele, die das können, stimmt 🙂

  4. Aaaaah, der berühmte Fuchs… 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Was, Fuchs?? Oh ja! 😀

  5. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Ich hatte die Serie schon mal angefangen, aber sie nach den ersten Minuten schon wieder abgebrochen. Nach derart positiver Kritik habe ich sie nochmal angeschaltet und fand sie doch recht unterhaltsam. Danke für die Empfehlung. 🙂
    Die Auswahl an Charakteren fand ich durchaus interessant. Mir hat es gut gefallen, dass die Serie nicht endlos lang ist, aber wenn eine dritte Staffel gut gemacht ist, hätte ich auch nichts dagegen.
    Ich vermute aber auch, dass die Serie unter Katholiken ihre größten Fans wie auch größten Kritiker finden wird.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Durchaus verständlich, dass man die Serie erst einmal abbricht … ich war bei der ersten Folge auch nicht direkt ein großer Fan. Das kam erst mit dem Ende der Episode, das mich in dem Moment echt mitgenommen hat und gezeigt hat, dass da wohl mehr dran ist.

      Insofern sehr cool, dass du der Serie noch eine Chance gegeben hast 😉

      Also wie der Priester in der zweiten Staffel da so mitunter aufgenommen wird, würde mich auch interessieren … vielleicht recherchiere ich da mal. Wer weiß? Vielleicht gibt es öffentliche Empörungen oder gefangirle aus der digitalen Kanzel …

  6. […] Jahre. Zwar haben die She-Hulk-Comics auch die vierte Wand durchbrochen, aber die Parallelen zu Fleabag hätte man durch eine andere Note in der Umsetzung durchaus vermeiden können. Es ist sehr […]

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