Neulich auf der Nippon Connection … Dokumentarfilm-Reviews zu „An Ant Strikes Back“ & „This Planet is not my Planet“

Überraschenderweise bin ich dieses Jahr zur Nippon Connection doch mal stärker auf Dokumentarfilme abgegangen. Die Themen waren aber auch gefühlt kontroverser als in Vorjahren. In den heute besprochenen Dokumentationen geht es v.A. um Arbeiten in Japan und ridige gesellschaftliche Rollen. Besprechungen sind spoilerfrei. Was sonst.

An Ant Strikes Back

Eine Ameise ist wohl das perfekte Sinnbild für ein Umzugsunternehmen. Die Tiere sind emsig, arbeiten gut im Kollektiv zusammen und können das Vielfache ihres eigenen Körpergewichts stemmen. Die eifrigen Mitarbeiter des Umzugsunternehmens, dass sich Ameisen als Maskottchen erwählt hat, werden dem insofern gerecht, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes aufopfern und nahezu illegale Arbeitspraktiken akzeptieren. Das Maskottchen wird ad absurdum geführt, statt dem kleinen Finger, die ganze Hand genommen und daran erinnert: du bist ganz „klein“ im Gegensatz zu deinen Chefs. Alles für das Unternehmen. Aber wie der Titel verrät, schlägt eine „Ameise“ zurück. In dieser Firma können Überstunden weder abgebummelt, noch ausgezahlt werden . Es ist den Mitarbeitern untersagt sich in ihrer Freizeit zu treffen und außerberuflich auszutauschen. Regisseur Tokachi Tsuchiya beginnt einen Mitarbeiter des Unternehmens mit der Kamera zu begleiten, nachdem dieser als „Disziplinarmaßnahme“ vom Vertriebsleiter zum Dienst am Reißwolf eingeteilt wurde.


„An Ant Strikes Back // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Kein Scherz – der Mitarbeiter wird tatsächlich zu einer Stelle degradiert, die es vorher nicht gab und offenbar nur geschaffen wurde, um ihn zu erniedrigen. Es kommt allerdings noch dicker ab dem Zeitpunkt, als der Angestellte beginnt die Gewerkschaft einzuschalten. Die japanische Mentalität verlangt absoluten Gehorsam gegenüber hierarchisch höhergestellten und speist sich aus einer unsichtbaren, aber immer gegenwärtigen Klassengesellschaft. Zumindest, wenn Traditionalisten am längeren Hebel sitzen. Begriffe wie Karōshi (Tod durch Überarbeitung) sind kein Gimmick aus einem Heft wundersamer Fakten über Japan, sondern ernst zu nehmen. Verpflichtungen werden nicht auf die leichte Schulter genommen, weswegen auch der Angestellte aus Tsuchiyas Dokumentarfilm lange dachte „ich kann doch nicht gegen die Firma vorgehen“. Doch. Kann er. Ab dem Zeitpunkt wo die Fronten geklärt sind und der Rechtsstreit beginnt, dokumentiert Tokachi Tsuchiya am Fall auch eindrucksvoll die Arbeit japanischer Gewerkschaften. Die drehen richtig gut auf.

Ich war beeindruckt wie laut plötzlich die japanischen Gewerkschaftler werden können! Der Dokumentarfilm entstand unter dem traurigen Anlass, dass der Regisseur selber den Tod eines Freundes zu beklagen hat, der sich wegen der Arbeit umbrachte. Es macht fassungslos zu sehen und zu hören, was sich die Angestellten alles gefallen lassen und was Teil ihres Berufsalltags ist. Übermüdung, Depression, Burn-Out, Herabwürdigungen, Drohungen, üble Nachrede – es sind traurige Wahrheiten, dass das alles für manche Menschen (egal ob in Japan oder nicht) zum Arbeitsalltag gehört. „Behandle andere Menschen so wie du behandelt werden möchtest“ ist doch aber eine der einfachsten und naheliegendsten Weisheiten der Menschheit!? Summa summarum speist sich der Film viel aus dieser Fassungslosigkeit und der Empathie, die er erzeugt und hat für seinen „Wachrüttler“ verdient den Nippon Connection Online Award gewonnen. Rein handwerklich wäre wohl noch etwas Luft nach oben gewesen. Wenn alles so pointiert gefilmt worden wäre wie die sich anbrüllenden Geschäftsführer und Gewerkschaftler oder die reumütigen Trauermomente Tsuchiyas, hätte ich nichts zu meckern gehabt. Auch blieb eine Frage unbeantwortet: warum hat er nicht gekündigt? Ich kann mir die Antwort denken, aber doch scheint es mir so offensichtlich, dass sie gestellt werden muss.

An Ant Strikes Back (OT: アリ地獄天国 „Ari jigoku tengoku“), Japan, 2019, Tokachi Tsuchiya, 98 min, (7/10)

Sternchen-7

This Planet is not my Planet

Vier Jahre lang hat Regisseurin Miwa Yoshimine die Aktivistin Mitsu Tanaka begleitet und wirft dabei sowohl einen Blick auf deren Überzeugungen und Privatleben in der Vergangenheit wie auch der Gegenwart. Tanaka ist eine feministische Aktivistin, die v.A. in den 1970ern als einer der Köpfe der Garuppu Tatakau Onnatachi („Fighting Women Group“) in Erscheinung trat und zahlreiche Publikationen verfasste. Einer der Auslöser für ihr Engagement ist das Gefühl sowohl als Mensch wie im Speziellen als Frau keinen Platz in der Gesellschaft zu haben. Mitsu Tanaka wurde als Kind von ihrer Mutter wegen eines Vorfalls gescholten und ausgegrenzt, wo man eigentlich elterliche (Für)Sorge erwartet. Das Gefühl wegen etwas, bei dem sie sich nichts zu Schulden kommen ließ als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden, zog sich von da an durch Tanakas Leben und erweckte bei ihr den Eindruck, dass „dieser Planet nicht ihr Planet ist“. Einer, auf dem sie nicht zuhause ist, das Leben mehr vortäuscht und „nicht dazu gehört“. Genauso wie es für japanische Frauen und Frauen allgemein in der Zeit nicht selbstverständlich war dieselbe Behandlung wie Männer zu erfahren.

Tanakas Kindheitstrauma kommt fast etwas zu kurz. Wenn man von der Sachlage hört, hat man noch gefühlt tausend Fragen um überhaupt die Sachlage zu erfassen. Darauf wird nicht weiter eingegangen, aber auf das Gefühl, dass Tanaka im zarten Kindesalter traf: Ausgrenzung. Ihr Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit und den prägnanten Satz als Titel des Dokumentarfilms zu wählen ist gut getroffen. Er weckt in mir Erinnerungen an hunderte Male wo insbesondere in Kindheit, Jugend und Studium Menschen ein vorgefertigtes Bild von mir als Mensch hatten aufgrund des Fakts, dass ich eine Frau bin. Mein Informatikstudium „müsse direkt scheitern“ – um nur ein Beispiel zu nennen. Die Doku geht dankbarerweise auf einigen Irrglauben ein. So werden andere Geschlechter nicht per se zum Unterdrücker, sondern es wird dafür sensibilisiert, dass zusammen mit der Rolle der Frau auch die gesellschaftlichen Zwänge „wie Männer zu sein haben“ korrigiert werden müssen. Problem dabei: das ist alles nur eine Randbemerkung in einem Film, von dem man bei Tanakas Biografie erwarten müsse, dass er von Feminismus handelt. Der aber von Tanaka als Person handelt.


„This Planet is not My Planet // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Der handwerklich ausgezeichnete Dokumentarfilm zeigt viel. Er zeigt wie Mitsu Tanaka aufwächst, Akupunkteurin wird, wie sie ihren Sohn aufzog und wie sie sich zu #MeToo äußert. Er zeigt wie sie sich auf eine esoterische Reise nach Okinawa begibt und konzentriert sich stark auf eine Reihe von Protesten bezüglich des Abzugs von US-Soldaten aus Okinawa. Er zeigt viele unsortierte Momentaufnahmen und irritiert v.A. durch den starken Fokus auf Okinawa und Kriegsverbrechen, wo man gedanklich eben noch bei Feminismus war. Und lässt eine Pointe oder Botschaft vermissen. Etwas, dass ich mitnehmen kann, nachdem der Abspann zu Ende ist. „Ich erzähle dir von Mitsu Tanakas Leben, weil …“. Es wird viele Menschen geben, die ihr This Planet is not my Planet nachempfinden können. Die auch mal diesen Moment hatten oder dass dieser Moment für sie nie endete. Aber was ist mit den anderen 80 Minuten des Films?

This Planet is not my Planet (OT: この星は、私の星じゃない „Kono hoshi wa, watashi no hoshi janai“), Japan, 2019, Miwa Yoshimine, 90 min, (6/10)

Sternchen-6

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Dass ich mit Mitsu Tanakas Überzeugungen hinsichtlich Feminismus nur zum Teil mitgehen, ist nicht in meine Bewertung und Besprechung eingeflossen. Sie hat eben andere Meinungen als ich. Tanaka plädierte beispielsweise früher dafür, dass Frauen keine Mittel zur Geburtenkontrolle zugänglich sein sollten, sondern dass stattdessen Abtreibungen nicht mehr hinter vorgehaltener Hand und Frauen nicht als „Mörderinnen“ stigmatisiert werden sollten. Ich finde es ja eigentlich immer schöner, wenn „man die Wahl hat“ und v.A. selbstbestimmt Entscheidungen trifft. Dazu wird aber in der Doku auch gar kein Wort verloren. Ich habe lediglich den Titel eines Pamphlets ihrer Gruppen gelesen, mich gefundert, recherchiert und mich noch mehr gewundert. Daran erkennt man denke ich sehr gut wieviel potential die Doku verschenkt, obwohl sie handwerklich spannend gemacht ist und einige Sequenzen voller Empathie und in moderner Facon enthält, die ich bei anderen Dokumentarfilmen im Programm etwas vermisst habe. Habt ihr die beiden hier zufällig auch gesehen und wie ist eure Meinung?

2 Antworten

  1. Die Ameisen hatten mich positiv überrascht und schockiert zugleich.
    Teilweise hatte ich aber das Gefühl es fehlt was, so wie z.B. die Frage, die du stellst.
    Trotzdem fand ich es gut, da mal SO einen Einblick in die jap. Arbeitswelt zu bekommen 🙁

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja ne … man hört es ja immer, dass dort durch die allgemeine Mentalität eine andere Haltung und härtere Ansprüche bis zur quasi-Selbstaufgabe an die Mitarbeiter gestellt werden, aber dass es so krass ist. Umso beeindruckter war ich von denen von der Gewerkschaft. Wow – die haben sich ja ins Zeug gelegt!
      Aber gut, dass du auch so einen Eindruck hattest. Ich verstehe halt nicht, warum er nicht einfach wo anders neu angefangen hat – bevor sie ihn verunglimpft haben. Aber gut, ich kenne auch die aktuelle Arbeitslosenquote nicht und ob das wechseln des Arbeitgebers in Japan kritischer beäugt wird als bei uns.

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