Bericht von der Nippon Connection 2021

Ja da bin ich mit meinem Bericht wohl etwas spät dran. Die Nippon Connection 2021 (NC) war vor so ungefähr zwei Monaten. Womit habe ich mir bis jetzt die Zeit vertrieben? Mit Reviews schreiben und dem Schauen der immer noch auf dem Youtube-Kanal der NC verfügbaren Vorträge und anderen Formate. 🙂 Das war natürlich eine schöne Maßnahme um das Festivalfeeling und die gebündelte Japanophilie zu verlängern. Wie war sie nun also, die NC 2021?

Nippon Connection … Online! Again!

Aufgrund der Corona-Pandemie fand das japanische Filmfestival Nippon Connection (NC) zum zweiten Mal in einer Online-Ausgabe statt. Die zum Großteil aus ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern bestehende Crew kennt das schon, denn bereits 2020 wurde kurzfristig auf eine Online-Ausgabe umgerüstet. Normalerweise findet das jährliche Festival vor Ort in Frankfurt am Main statt. Dieses Jahr starteten wir in die 21. Ausgabe. Das Festivalmotto war Family Matters. Anders als im Jahr davor gab es dieses Mal eine eigene Plattform um die Filme zu schauen, nicht mehr via Vimeo. Vor und während des Festivals hatte man die Auswahl aus verschiedenen Festivalpässen, je nachdem was die Kasse zulässt und das übliche Beuteschema ist.

Zwanzigeinhalb Spielfilme habe ich gesehen und eine Handvoll Kurzfilme. Das ist eine Menge Holz. Aber andererseits: ich habe extra Urlaub genommen um die alle schauen zu können. Und nein, in der Couch war keine Kuhle, ich bin zwischendurch immer mal aufgestanden. Am Ende des Beitrags findet ihr alle meine Besprechungen der Spielfilme verlinkt, außer dem halben. Warum? Weil während des Schauens meines letzten Films („The Promised Land“) leider der Zeitraum der Online-Verfügbarkeit ablief. Das hatte ich eigentlich auf dem Schirm, aber wie das eben so ist – Zuhause kam plötzlich was dazwischen. Ein kleiner Nachteil eines Online-Festivals? Fehlender Austausch mit anderen Filmfans, Störungen oder zuviel Alltag im Heimkino und es fehlt das Flair des Festivals vor Ort mit japanischem Essen und freundlichen Gesichtern. Aber wiederum die Vorteile des Festivals online: ich konnte überhaupt dabei sein. Frankfurt am Main ist von mir aus gesehen nämlich alles andere als um die Ecke. Somit ist das Festival online für mich auch weitaus einfacher und kostengünstiger. Noch dazu habe ich mehr Filme gesehen als es in einem Vor-Ort-Festival möglich gewesen wäre. Tatsächlich würde ich mir aus dem Grund wünschen, dass selbst in der Zeit nach der Pandemie (ich glaube fest daran, dass sie kommt ^^) eine Online-Option für einige Filme erhalten bleiben wird!? Das wäre phänomenal. Ansonsten würde ich wohl nicht so oft teilnehmen können.

Abseits der Filme

Abseits der Filme gab es ein breites Angebot von Live-Events/Streams mit Musik, buchbaren wie auch freien Zoom-Meeting-Workshops beispielsweise zu Zen-Meditation oder diverse Tee- oder Gin-Tastings. Mit zahlreichen Regisseur*innen wurden Interviews geführt, z.B. mit SABU, Yukiko Sode, Anshul Chauhan und Toshiaki Toyoda and Kiyohiko Shibukawa, unvm. Ich habe mich auch getraut mal Fragen zu stellen und habe vor dem Bildschirm wild gefangirled, wenn sie vorgelesen wurden. So konnte ich meinen NC-Urlaub gut mit einem bunten Programm füllen. Für Zen-Meditation wäre im Vorfeld der Hinweis gut gewesen, dass die Kamera angemacht werden soll. So würde es kurz etwas hektisch den angedachten Meditationsplatz in den Kamerawinkel zu bringen. Abgesehen davon muss ich wohl noch ein bisschen üben … aber ich weiß ja jetzt wie. 😉

Sehr cool und ähnlich wie die Interviews noch auf dem Youtube-Kanal der NC verfügbar sind die Vorträge, von denen ich einige mitgenommen habe. Wieder sehr gut gefallen hat mir der filmhistorisch-soziologische Vortrag von Chantal Bertalanffy. Dieses Mal gemäß dem Festivalthema als Querschnitt durch die japanische Filmgeschichte in Hinblick auf das Gesellschaftsbild der klassischen oder weniger klassischen japanischen Familie im Laufe der Zeit – ich habe mir mal erlaubt den Vortrag unten einzubetten. Da sich nun die Dreifachkatastrophe von Fukushima zum zehnten Mal jährte, gab es auch eine sehr spannende und ausführliche Diskussion mit Experten 3.11 – 10 Jahre danach: Alles „Under Control“? // 21. Nippon Connection Filmfestival um nur einige der anspruchsvollen Formate zu nennen. Für ordentlichen Fernweh sorgte Japans traumhafter Süden: Eine Reise nach Kyushu & Okinawa. Und das sind nur einige Beispiele für das breite Programm. Auch sehr schön ist dazu der Austausch in der Blogosphäre, auf viel mehr noch auf Twitter etc. Zwar sind meine Reviews jetzt nicht die meist-angeklickten und darunter wenige bis keine Kommentare, aber ich ahne schon warum. Wer setzt sich schon gern mit Filmen auseinander, die man jetzt erstmal nicht sehen kann. Aber … ABER: wer weiß was ein Nippon Connection Replay in absehbarer Zeit anbietet oder gar das Kino!?

Family Matters

Das Festivalmotto kann entweder gedeutet werden als „Familie ist wichtig“ oder „Familienangelegenheiten“ – beides trifft auf die eine oder andere Weise zu. Zahlreiche Filme widmen sich der unkonventionellen Familie, die nicht blutsverwandt ist. Menschen, die eine Familie in anderen Menschen gefunden haben, weil sie ihre ursprüngliche Familie verloren haben, nie kannten, von ihnen enttäuscht oder gar verstoßen wurden. Sehr schöne Beispiele dafür sind „Under the Open Sky“ und „Family of Strangers“. Aber auch die Familie als Bürde und Verpflichtung findet sich in „A Girl Missing“ wieder. Dass alles was vom klassischen Vater-Mutter-Kind-Bild abweicht als unkonventionell gilt (und wie überholt dieser Gedanke ist), demonstriert „his“, in dem ein Mann, der inzwischen in einer Partnerschaft mit einem anderen Mann lebt um das Sorgerecht für seine Tochter kämpft. In „Kontora“ mischt sich Verlust mit Aufarbeitung der Vergangenheit. Wie verstehen wir, was unsere Vorfahren durchgemacht haben und wie lange hallen frühere Traumata nach? Bis in die nächsten Generationen? Und es gibt natürlich noch eine ganze Menge mehr Filme im Festivalprogramm, die das vielschichtige Motto illustrieren. Der Rundumschlag dazu ist der Vortrag von Chantal Bertalanffy:


„Familie im zeitgenössischen japanischen Kino // 21. Nippon Connection Filmfestival“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Nebenbei entdecken sich ja noch kleinere ungewollte „Motti“ 😉 im Festivalprogramm. Beispielsweise gab es doch wieder ein, zwei Filme die das Kino und (Laien-)Darsteller-Dasein adressieren.

Meine TOP 5 Filme

Was sind nun aus meiner Sicht die Festivalhighlights? Am meisten mitgerissen hat mich Shiver, was sicherlich nicht nur daran liegt, dass ich schon seit Jahren gern Taiko-Musik höre und auch den Auftritten der lokalen Gruppe hier in meiner Umgebung gern beiwohne. Wenn der Film wie angeteasert Ende diesen Jahres in die Kinos kommen sollte, wisst ihr, wo ich sein werde. Anshul Chauhans Kontora ist ein wunderbarer genreübergreifender Film, der in keine Schublade passt und mich sehr berührt hat. Under the Open Sky fordert die Statistik heraus. Viele Ex-Häftlinge werden wieder straffällig. Und tatsächlich macht es ihm der Alltag nicht leicht. Hält der von Kōji Yakusho gespielte Ex-Yakuza durch? The Witches Of The Orient hat bei mir als großer Mila Superstar Fan offenbar sowieso schon einen Stein im Brett, setzt die Vorlage zur Serie aber auch in einen geschichtlichen Kontext. Beyond The Infinite Two Minutes hat einfach Spaß gemacht.

  1. „Shiver“
  2. „Kontora“
  3. „Under the Open Sky“
  4. „The Witches Of The Orient“
  5. „Beyond The Infinite Two Minutes“

Ganz knapp nicht in der Liste ist „My Blood And Bones In A Flowing Galaxy“, obwohl SABU immer eine gute Entscheidung ist. Ich habe auch einige Kurzfilme gesehen, die mich nicht alle abgeholt haben. Aber Birdland ließ dafür die Tränen der Rührung fließen.


„Shiver // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Meine Top 5 Verpasste

  1. The Promised Land
  2. Ushiku
  3. Along the Sea
  4. Company Retreat
  5. Daughters

Klar: das, was ich von The Promised Land gesehen habe, war große klasse und ich hätte gern auch den Rest gesehen. Kann ich die Spannung aushalten bis ich erfahre wie der Film endet? Nein, konnte ich nicht. Dank Letterboxd habe ich freundliche Cineasten gefunden, die mir das Ende erzählen. 🙂 Danke dafür 😉 Das ist einer der seltenen Momente, in denen ich gespoilert werden wollte. Ergibt sich die Gelegenheit nochmal, werde ich den Film zu Ende schauen und nochmal erschüttert sein. Ushiku und Along the Sea werfen beide einen (erschütternden) Blick auf das Thema Einwanderung in Japan und zählen zu meinen bitter verpassten Festivalfilmen. Company Retreat und Daughters wurden wohl sehr gut aufgenommen.

Wie kann das Fazit lauten?

Das Fazit lautet: es war großartig. Ich habe immer noch einige Vorträge in meiner Später-Anschauen-Liste und werde in einem Jahr das voller Pandemie-Entbehrungen steckt noch lange davon zehren, dass ich online an dem Festival teilnehmen konnte. Tolle Sache, tolles Team, ganz viel Liebe, bitte weiter so. 🙂

Beiträge und Besprechungen zur Nippon Connection 2021 : „Wolf’s Calling“ | „The Day of Destruction“ | „Shiver“ | „The Witches Of The Orient“ | „Me and the Cult Leader“ | „his“ | „Under the Open Sky“ | „Kontora“ | „Beyond The Infinite Two Minutes“ | „Special Actors“ | „My Blood And Bones In A Flowing Galaxy“ | „Red Post On Escher Street“ | „It’s A Summer Film!“ | „Family of Strangers“ | „A Girl Missing“ | „Aristocrats“ | „To The Ends Of The Earth“ | „Lupin III: The First“ | „Seven Days War“ | „Hit Me Anyone One More Time“ | „BOLT“

Habt ihr an der Nippon Connection Online teilgenommen? Was waren eure Festivalhighlights? Wie sieht eure Top 5 aus und was habt ihr schmerzlich verpasst oder vermisst? Ich nehme an den Austausch … vllt können wir auch den digital nachholen. 🙂

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