Spotlight: Haruki Murakami (Doku „Dreaming Murakami“, Sachbuch „The Forbidden Worlds of Haruki Murakami“)

Falls es noch nicht aufgefallen ist: ich bin ein Haruki Murakami Fan. Irgendwie jedenfalls. Denn obwohl ich nicht mehr frei von Kritik für Murakami bin, lese ich seine Bücher sehr gerne. Die Atmosphäre und das Erkunden seiner niedrigschwellig surrealen Welten macht mir ungebrochen viel Spaß. Trotzdem habe ich die letzten drei Bücher Murakamis, die ich gelesen habe, nicht nur auf die positive Weise zu denken gegeben. Liegt’s an mir? Oder liegt’s an ihm? Ein prominentes Beispiel war für mich das jüngst gelesene Von Männern, die keine Frauen haben, dessen Review gestern hier im Blog erschien und im Geiste zu dem Beitrag gehört. Um darüber Klarheit zu bekommen, habe ich u.a. Medien zu Rate gezogen, die nicht von ihm geschrieben wurden, sondern von ihm handeln. Gelernt habe ich dabei jede Menge. Aber auch die Antwort gefunden, die ich gesucht habe?

Dreaming Murakami (UK Subs) from Final Cut for Real on Vimeo.

Dreaming Murakami

Frosch rettet Tokio (Super-Frog Saves Tokyo) ist hierzulande wohl nicht eine der bekanntesten Geschichten Murakamis. Zumindest habe ich sie bisher nicht gelesen. Der Frosch aber sucht Mette Holm persönlich auf – die dänische Übersetzerin Murakamis. Mette Holm arbeitet zu dem Zeitpunkt an Wenn der Wind singt und hat mit der Übersetzung einigen Passagen besonders zu kämpfen. Der Dokumentarfilm folgt ihr durch den Alltag einer Übersetzerin und erklärt was alles zu Übersetzung dazu gehört. Welche Laute entsprechen welchen im Dänischen? Wie übersetzt man und gibt die korrekte vom Autor angedachte Semantik und Atmosphäre wider? Dass dazu ein Einschätzungsvermögen und Wissen über den Autor notwendig ist, über die Gesellschaft, Geschichte und Bedeutung des Romans und viele kleinere Lektionen aus dem Leben in mehreren Sprachen ist interessant und augenöffnend.

Wie oft assoziieren wir mit der Übersetzung Autor*innen, aber nicht Übersetzer*innen? Der Frosch ist dabei ein metaphorisches Stilmittel, der die Fiktion auf das echte Leben überträgt und nebenbei gesagt ganz knuffig daherkommt und sich trotz CGI ganz gut in viele Szenen einfügt. Dankbarerweise kommt es nicht zum Dialog zwischen Mette Holm und dem Frosch – das hätte allzu schnell albern daherkommen können. Trotzdem macht der Frosch klar, dass ihre Übersetzung seinem Kampf gegen die Erdwürmer hilft – denn wie sollte er sonst gehört werden? „We can’t live without translation. Not at all.“ ist die klare Ansage – und wahr. Wer nicht mit Murakamis Werk vertraut ist, wird aber eventuell nicht ganz glücklich mit der Handlung um den Frosch. Etwas schade ist, dass nicht klar ist, warum Mette Holm beispielsweise nach Japan reist und die Chronologie der Ereignisse scheint nicht ganz zu passen – was allerdings auch der eigentlichen Botschaft keinen Abbruch tut.

Dreaming Murakami, Dänemark, 2017, Nitesh Anjaan, 58 min, (8/10)

Sternchen-8

„There’s no such thing as perfect writing – just like there’s no such thing as perfect despair.“ (aus: „Dreaming Murakami“)

The Forbidden Worlds of Haruki Murakami (Matthew Carl Stretcher)

Das Buch wurde mir auf Goodreads vorgeschlagen und es ist eines der wenigen Male, dass ich den Vorschlag wirklich interessand fand und gekauft habe. Lange haderte ich aber mit mir, ob ich es lesen will, da mir Goodreads Reviews auch verrieten, dass diverse Murakami-Romane darin gespoilert werden. Leider hat man mir nicht verraten welche. Das tue ich jetzt für euch, erspare euch aber natürlich die Spoiler. Es handelt vorrangig von nachfolgenden Romanen: der Ratten-Trilogie (u.a. Pinball 1973), Mister Aufziehvogel bzw Die Chroniken des Aufziehvogels, Kafka am Strand, Naokos Lächeln; Südlich der Grenze, westlich der Sonne; 1Q84, Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki und Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt. Ihr seht an den Links, dass ich noch nicht alle der erwähnten gelesen habe und daher nicht besonders glücklich über die Spoiler war. Vielleicht vergesse ich die eh. Fairerweise muss man sagen, dass es für Matthew Carl Stretchers Beweisführung ab und an Sinn macht auch auf das Ende der Bücher einzugehen.

Stretcher ist Professor japanischer Sprache und Literatur und (okay, okay …) darf deswegen ein bisschen angeben wieviele Murakami-Bücher er schon geschrieben hat. Zu Beginn widmet sich das Buch biografischen Details Murakamis – einige davon waren mir nicht bewusst. Beispielsweise wie zögerlich Murakami mit Äußerungen über Politik ist und wie kraftvoll, wenn er es dann doch tut. Murakamis im Laufe der Zeit gewachsenes politisches Interesse und Engagement schlägt sich auch in seinen Non-Fiction-Werken und reifenden Boku-Erzählern wieder. Tatsächlich komme auch ich mit seinen späteren Werken besser klar. Später sind behaupte ich alle seine Protagonist*innen scheinbar eine „voice of the nonconformist“ (p.66).

Besonders interessant ist, was die stete Gefahr ist, denen seine Protagonist*innen ausgesetzt sind: „Wether he realized it or not, Murakami spent the first fifteen years or so of his career writing about characters whose individual narratives are threatened with being subsumed into a group narrative.“ (p.19) In Zeiten wo Desinformation ein zunehmendes Problem darstellt, leider sehr aktuell. Und leider auch ein unterschwelliger Grund, warum er nicht von allen in der japanischen Literaturszene gleichermaßen geschätzt wird.

Stretcher belegt alles mit zahlreichen Quellen und ist in seinen Schlussfolgerungen nachvollziehbar. Schon alleine deswegen ist es ein spannendes erstes Murakami-Non-Fiction-Buch, da einem als Fan „im Westen“ durch die Sprachbarriere doch einiges an Reportage oder Dokumentation entgeht. Schwieriger wird es in den folgenden Kapiteln, die etwas trockener zu lesen sind, wenn Stretcher sein Philosophie- und Psychologie-Buch rausholt. Denn danach beschreibt Stretcher was die Other World Murakamis ausmacht und greift auf eine Erklärung des Autors selber zurück, die das Bewusste und Unterbewusste als mehr-etagiges Haus sieht. Ihr könnt euch vorstellen, dass der Keller mit dem Unterbewussten assoziiert wird. 😉 Sehr angenehm ist auch, dass Stretcher nebenbei andere Literatur nennt, die sich ähnlicher (oder ganz unterschiedlicher) Ansichten auf „other worlds“ und Macht der Worte bedient wie Ecos Das Foucaultsche Pendel.

„[…] in fact, every of Murakami’s novels could be read in this way, simply as hallucinations, intense psychotic episodes on the part of their protagonists. But where would be the fun in that?“ p.85

Wie kommt es aber, dass diese anderen Welten irgendwann scheinbar physisch werden? Menschen darin verschwinden, verloren gehen können oder dadurch bedroht werden? Wann verlässt diese innere Welt ihren Rahmen und wird „wirklich“? Wird sie „wirklich“? Dem widmet sich Stretcher und geht danach über zu der Frage, ob die Welten durch Worte entstehen. Wie wichtig Sprache ist, fiel mir bisher in Murakamis Romanen weniger auf. Machen die Worte dann zu Göttern? Und Autor*innen von Romanen zu Göttern? Ein Schelm … . 😉 Oder waren die Welten schon da und es wird „nur“ eine Tür aufgestoßen? Darüber gibt es viele Kapitel, die Belege in den Romanen sucht und bei denen es mindestens genausoviele Beispiele gibt, in denen ich Stretcher zustimme, wie auch Abschnitte, die ich anders deute.

Naokos Lächeln und Südlich der Grenze … habe ich sehr viel weniger surreal interpretiert. In manchen Deutungen habe ich mich auch wiedergefunden. Andere lehne ich ab. Das schöne ist: das kann ich ja weiterhin. Auf jeden Fall hat mir Stretcher in vielen Deutungen neue Perspektiven und Zusammenhänge eröffnet, die ich so zuvor nicht gesehen habe. Die Bezüge zu bekannten Büchern machen es spannend und die Etappen mit länglicher (und ab und zu trockener) Theorie lohnenswert. Zwar wünsche ich mir inzwischen noch den feministischen Take auf Murakami, aber es ist anhand des Titels und Themas des Buches klar, dass es sich dem nicht widmet. Vielleicht kennt ihr ein Buch oder eine Dokumentation zum Thema Murakami und Feminismus?

Wie man im Zitat unten herauslesen kann ist es für Stretcher übrigens keine Frage, dass es all diese „Welten“, seltsamen Vorkommnisse und abnormen Fähigkeiten in den Büchern wirklich gibt, diese keine Halluzinationen der Figuren seien. Und ich finde es ganz erfrischend, dass so zu sehen, auch wenn ich die Überzeugung nicht bei jedem Buch teile. Schwierig ist aber vielleicht wie Stretcher reagiert, nachdem er Murakami mit einer seiner Annahmen konfrontierte und der verneint. Stretcher: „[…] as a novelist, Murakami is a profesisonal teller of lies […]“ (p.180)

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-8166-9198-2, University of Minnesota Press

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Kann man denn nun das anwenden, was Stretcher in seinem Sachbuch über Murakami gesagt hat? Ein wenig. In Drive my Car (Filme wie Kurzgeschichte) meint man einen solchen Moment des Übertritts von einer Welt in eine andere zu erleben, wenn Kafuku die Bühne betrifft und wieder verlässt. Auch wird die Macht der Sprache und Worten in mehreren Fällen angesprochen (bspw. in Yesterday) Und das obwohl die Geschichten auf den ersten Blick wirken, als ob sie rein gar nichts surreales an sich hätten. Vielleicht hat das Sachbuch nun doch den Blick geschärft. Diese kleinen Andeutungen machen es nochmal attraktiver und spannender Murakami zu lesen. In dem Dokumentarfilm taucht übrigens auch kurz die deutsche Übersetzerin Ursula Gräfe auf, die hierzulande zahlreiche Murakamis übersetzt hat. Ich bin ja ein wenig ihr Fangirl und hätte mir auch sehr gern einen Dokumentarfilm über sie angeschaut. 🙂 „Dreaming Murakami“ kann man kostenpflichtig auf Vimeo und Amazon Instant Video streamen. Welche Medien haben euch Einblick in das Werk und Mindset Murakamis verschafft? Kennt ihr zufällig die Doku oder auch das Buch?

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