Serien-Besprechung: „Heartstopper“ Season 1

Als angekündigt wurde, dass Netflix eine Adaption von Alice Osemans Comic „Heartstopper“ produziert, ging wortwörtlich ein Beben durch Social Media, die Bücherbubble und mit Sicherheit auch durch die der queeren Community. Schließlich wurde Osemans Buchreihe sehr für ihre Darstellung und Repräsentation der LGBTQ+ Gemeinschaft gelobt und das Aufgreifen von Themen wie erster Liebe, Coming-Out und auch weniger schönen wie Mobbing. „Heartstoppers“ Weise damit umzugehen ist wunderbar und ich habe die Serie durchgebinged. Mehr dazu nachfolgend und in ausführlich. Übrigens: Anlässlich des Pride Monats Juni erscheint die Besprechung hier im Blog als Teil einer ganzen Reihe von Medien mit queeren Protagonst:innen. Happy Pride! ♥ Die Besprechung ist spoilerfrei.

Charlie Spring (Joe Locke) besucht die zehnte Klasse der britischen Jungenschule Truham Grammar School. Nachdem er sich als schwul geoutet hat, wurde er stark gemobbt und hat sich vor seinen Mitschülern versteckt, wann es nur ging. Mittagspausen im Kunstraum statt der Cafeteria waren Standard. Das scheint zwar nachgelassen zu haben, aber die Zweifel und Ängste sind noch da. Im neuen Schuljahr wird einer von Charlies Kursen mit denen der 11. Klasse gemischt und so auch die Sitzordnung. Charlie landet neben einem der älteren Schüler aus dem Rugby-Team. Noch schlimmer, neben dem Star des Teams – Nick Nelson (Kit Connor). Noch kann sich Charlie nichts schlimmeres vorstellen. Als er dann aber neben Nick sitzt und der sehr nett ist, sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Nicks „Golden Retriever Charme“ wirkt. Als Charlie nach jeder Unterrichtsstunde mit Nick strahlt, ahnen seine Freunde Tao (William Gao), Isaac (Tobie Donovan) und Elle (Yasmin Finney), dass er hoffnungslos in Nick verschossen ist. Sie raten ihm das ganz schnell zu vergessen, stattdessen tritt Charlie in das Rugby-Team ein. 🙂 Gebrochenes Herz vorprogrammiert, …?


„Heartstopper | Official Trailer | Netflix“, via Netflix (Youtube)

Ein echter „Heartstopper“

Was macht Heartstopper so unglaublich bingeable? Dass man nicht ausschalten möchte? Es sind die Qualen und das Einmalige der ersten Liebe. Dieses Hin und Her, die unbeantworteten Fragen und das Umeinander herumtanzen Charlies und Nicks. Einem bleibt fast das Herz stehen, wenn sich andeutet, dass Nick vielleicht doch nicht so heterosexuell ist wie alle von Charlies Freunden prophezeien. Es ist einfach Zucker pur, wenn sich Nick und Charlie begrüßen und mit einem einfachen „Hi!“ und einer Erwiderung „Hi!!“ soviel mitschwingt. Soviel positives, gutes, soviel „Ist mir egal was die anderen denken“. Die Formel ist nicht neu. Die Formel ist eigentlich einfach und bewährt. Aber man könnte fast denken, dass Heartstopper die klassische Liebesgeschichte erfunden hat, weil sie so hervorragend funktioniert. Woran liegt das?

Zum Einen kennen Viele die aufregende, kribbelnde Verliebtheit und das bittersüße, verzweifelte Fragen „Liebt er:sie mich?“ Und auch wenn das gleichzeitig Qual und Genuss ist, würden wir gern einen Teil dieser Aufregung zurück haben – so meine Überzeugung, warum Liebesgeschichten und „Will They or Won’t They?“ überhaupt so gut funktioniert. Zuschauende finden sich und ihr Leben in den empfindlichsten Situationen wieder, wenn Charlie und Nick sich via Messenger schreiben und nervös beobachten „Oh er tippt. Nein jetzt nicht mehr. Ah, jetzt wieder. Warum muss er so lange nachdenken? Versucht er mir etwas zu schreiben, was mir nicht gefallen wird und sucht die richtigen Worte? Oder ist alles ganz anders??“ Wenn die Händchen am Smartphone schon vor Aufregung schwitzig werden. 😉 Kennen wir. Heartstopper ist damit einfach sehr nahbar und channelt Erinnerungen an erste Male und große Gefühle ganz ausgezeichnet. Selbst, wer das nicht kennt, bangt und hofft für Charlie, könnte ich mir vorstellen. Zumal der nicht nur viel Mobbing durchlitten hat, sondern auch gerade eine ungesunde „Nicht-Beziehung“ mit seinem Mitschüler Ben (Sebastian Croft) beendet hat.

Dass die bewährte Formel aus (in diesem Fall) „boy meets boy“ so gut funktioniert und so als ob Alice Oseman das gerade erst erfunden hätte, liegt sicherlich v.A. auch an der sehr positiven, einfühlsamen und zeitgeistigen Weise wie sie Sexualität und erste Liebe im Kontext von LGBTQ+ darstellt. Die Welt ist nicht perfekt, es gibt Mobbing und höchst unreflektiertes Verhalten. Es gibt aber auch Freunde, die sich gegenseitig auffangen, verständnisvolle Familie und Unterstützung durch diejenigen, die schon ein Coming-Out hatten. Sowieso die Aussage, dass ein Coming-out nur dann geschehen soll, wenn man bereit ist und nur durch einen selber. Auch dass wir uns für den anderen nicht verbiegen sollen oder nicht versuchen sollen etwas zu sein, was wir nicht sind (Stichwort Charlie und Rugby-Team). Der Blödsinn, den man halt macht, wenn man verliebt ist. Cliquen und Abhängigkeit von sozialen Umfeldern werden ein weiteres großes Thema, das auch beweist, dass Heartstopper keinesfalls nur eine Serie für Teen-Publikum ist. Schließlich wird jede:r von uns auf die eine oder andere Weise durch Zugehörigkeitsgefühle und ggf. sogar sozialen Druck tangiert. Gerade im sozialen Gefüge Schule muss man aber auch irgendwie miteinander klarkommen. In den meisten Fällen geht man da morgen wieder hin.

Heartstopper zeigt übrigens verhältnismäßig wenig Mobbing und gar kein rückblickendes Mobbing Charlies rund um sein Coming-out. Das wirkt ab und zu wie die Auslassung eines entscheidenden Story-Moments und so als ob alle über den Elefanten im Raum reden, aber ihn keiner anguckt. Letzten Endes ist es aber die notwendige Auslassung um nicht in einen torture porn abzugleiten, der allen Angst davor macht sich selber treu zu sein. Das wäre das falsche Signal. Ein Teil von mir findet es tatsächlich etwas unrealistisch, dass sie alle so ein verständnisvolles Umfeld haben, dass sie auffängt. Meine innere Pessimistin hat gelernt auch mal die Klappe zu halten, sich einfach an Heartstopper zu erfreuen und sich zu sagen „warum nicht?“ Denn oftmals ist es auch wichtig seinem Umfeld etwas zuzutrauen, statt nur das schlechte zu sehen. Zudem bringt die Serie auch die scheinbar nie verrecken wollenden Klischees auf den Tisch. Warum denken alle automatisch, dass Nick heterosexuell ist, nur weil er im Rugby-Team ist? Heartstopper macht das aber auf eine Weise, die v.A. positive Vibes zulässt und zeigt: es ist hart, aber es wird alles auf die eine oder andere Art gut.

Representation matters

Dass Heartstopper all diese Themen sehr empathisch angeht, heißt mitnichten, dass die Serie seicht oder uninteressant für gereifte Zuschauer:innen ist. Viele der aufgeworfenen Fragen und Themen lassen einem schon das Herz kurz stehen bleiben, was zumindest mir den Titel erklärt. Es ist nicht alles nur fein. Wieviel Zeit kann ein:e Partner:in der anderen Person geben bis eine Beziehung offiziell ist oder ein Coming-out stattfinden soll? Wenn es doch gleichzeitig heißt sich Zeit zu nehmen. Was, wenn es eben doch Labels geben muss? Was in dem Netflixschen Trailer zu kurz kommt ist, wie viele weitere Charaktere und ihre Geschichten Heartstopper adressiert und damit einige Farben mehr auf dem LGBTQ+-Farbspektrum abdeckt. Beispielsweise ist Elle bis vor Kurzem noch auf die Truham Grammar School for Boys gegangen, hat sich dann als trans geoutet und geht seitdem auf die Mädchenschule. Während sie anfangs nicht so recht Anschluss findet, gewinnt sie in Tara (Corinna Brown) und Darcy (Kizzy Edgell) gute Freundinnen. Die beiden sind zusammen und quasi role models für Coming-out und Beziehungen. Auch das Thema Liebe und Freundschaft kommt auf. Soll man eine Freundschaft aufs Spiel setzen, wenn sich anbahnt, dass daraus Liebe werden könnte? Was, wenn es nicht funktioniert? Gibt es dann noch ein Zurück oder verliert man unweigerlich seinen Zufluchtsort? Ein wie ich finde auch sehr spannendes Thema.

Was Heartstopper zu einer Serie für das 21. Jahrhundert macht ist auch die Lockerheit und oben angesprochene Nahbarkeit. Ähnlich zum Comic werden die Gefühle durch kleine 2D-Grafiken unterstrichen. Berühren sich Hände aus Versehen oder weniger aus Versehen, dann entzündet das schon mal ein kleines 2D-Feuerwerk oder die für den Comic charakteristischen Blätter und Blumen scheinen um unsere Protagonist:innen zu wehen. Klingt kitschig, aber wer schon mal verliebt war, kann das wohl nur zu gut nachvollziehen. Es ist so gut, dass u.a. dank Heartstopper junge Leute, alte Leute, alle Leute sehen wie sich lesbische erste Liebe, schwule erste Liebe, erste Liebe allgemein, Transgender-Personen, bisexuelle Menschen auf der Leinwand finden und verlieben. Und das mit echt wirkenden Gefühlen statt wie in Serien, wo queer baiting nur ein Durchlauferhitzer für ganz viel Drama ist. Dafür ist Repräsentation so wichtig. Damit ist Heartstopper auch nicht weniger universell und klammert heterosexuelle Menschen keinesfalls aus. Die Serie zeigt auf wunderbare Weise: Gefühle sind für uns alle gleich, egal in welcher Farbe und unter welchem Label. (10/10)

Sternchen-10


„Alice Oseman Teaches The Cast Of Heartstopper How To Draw Nick and Charlie 🎨 | Netflix“, via Still Watching Netflix (Youtube)

Header image uses a photo by Harry Holder on Unsplash

Inzwischen wurde Heartstopper schon um eine zweite und dritte Staffel verlängert. Ich finde es großartig, kann das aber wohl leider nicht abwarten und werde auch vorher schon die Comics nachholen. 🙂 Die kannte ich nämlich bisher nicht. Jetzt spreche ich in dieser Review sehr viel von der ersten Liebe. Personen, die auf dem aromantischen Spektrum unterwegs sind, leiden möglicherweise aber darunter bei dem Thema ausgeschlossen zu sein. Alice Oseman nahm sich offenbar auch in einem ihrer Bücher des Themas an, da sie selber aromantisch/asexuell ist. Es ist kein Zufall, dass Osemans Bücher sich so großer Beliebtheit erfreuen – es sind Bücher für unsere Zeit und für Themen, über die mehr geredet werden muss. Ausdruck des Bewusstseins für Authentizität des „Heartstopper“-Teams ist auch, dass die Elle-Darstellerin Yasmin Finney selber transgender ist. Auf die Frage, warum das so wichtig ist, antwortete Finney einmal, dass Menschen ansonsten glauben, dass transgender nicht echt und nur ein Mythos ist. Und ich verstehe den Gedanken. Habt ihr die Serie schon gesehen und wie hat sie euch gefallen? Pssst: Wenn ihr „Heartstopper“ bei Google eingebt und ein paar Sekunden wartet, gibt’s eine kleine Überraschung. 

5 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ich habe bislang nur von dem freudigen Social Media Aufschrei was mitbekommen, von der Serie selbst noch nichts… wobei mich, wenn ich ehrlich bin, die Comics mehr interessieren würden

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mich inzwischen auch – warte gerade darauf, dass der erste ankommt und freue mich schon drauf. Aber die Serie ist schon echt feelgood-mäßig.

  2. […] Mirko und ich auf Twitter in Diskussionen über Alice Osemans Bücher, Heartstopper im Speziellen (Serie und Comic) und blieben hängen bei „Wir wollen mal gemeinsam was von Alice Oseman […]

  3. […] Heartstopper Season 1 hat mich sehr begeistert – was für eine schöne Serie. Inzwischen habe ich die Comics aufgeholt und weiß kaum worauf ich mich mehr freuen soll. Die Paris-Etappe an sich oder die unerwartete Erwachsenen-Romanze. […]

  4. […] Heartstopper Season 1, die wohl schönste Romance-Serie der letzten Jahre […]

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