Filmbesprechung „Let Me Hear It Barefoot“ & „Ring Wandering“ (Nippon Connection 2022)

Hach, wie gern wäre ich vor Ort dabei gewesen. Aber dieses Jahr sollte es nicht sein. So konnte ich immerhin beim „Filmfestival nach dem Filmfestival“ on-demand noch einige der Filme der „Nippon Connection“ 2022 online von der heimischen Couch aus schauen. Sogar alle die, auf die ich am gespanntesten war. 🙂 Fear not: die Besprechungen sind spoilerfrei.

Let Me Hear It Barefoot

Naomi (Shion Sasaki) scheint eine Art Distanz zu seiner Umwelt zu pflegen, ob gewollt oder nicht gewollt. Er arbeitet für seinen Vater, dessen schroffer Anhänglichkeit er entkommen will. Seine Freunde nehmen teilweise Jobs im Ausland an und er verabschiedete sie nacheinander. Er will entkommen, aber er will auch Zugehörigkeit empfinden. Für das eine fehlt Kohle, für das andere Mut. Durch Zufall lernt er den empfindsamen Maki (Shuri Suwa) kennen, mit dem er sich sofort zu verstehen scheint. Dessen blinde Großmutter vermacht ihm ein Sparbuch mit der Aufforderung damit zu tun, was sie nicht konnte: alles abheben und um die Welt reisen. Dummerweise ist das Sparbuch fast leer und Maki bringt es nicht über’s Herz ihr das zu gestehen. Maki hat einen Einfall die Weltreise neu zu denken und nimmt kurzerhand die (ausgedachten) Geräuschkulissen ferner Orte mit hauseigenen Mitteln auf. Füße im Sand. Wasserfall im Nationalpark um’s Eck statt der echten Niagara Wasserfälle. Und Naomi macht mit. Gibt es für Naomis und Makis Wunsch Nähe zuzulassen auch eine Abkürzung?


„Let Me Hear It Barefoot (Trailer) – Giffoni Film Festival 2022 – Generator +18“, via Giffoni (Youtube)

Das wird der zweite Aufhänger des Films, obwohl das Aufnehmen der Geräusche schon genug an melancholischen, verträumten oder witzigen Situationen mit sich bringt. Wie klingt doch gleich eine Aurora borealis? 🙂 Die Reise der beiden zeigt einerseits, dass magische Orte auch um die Ecke liegen und dass es manchmal eher die richtige Begleitung braucht um sense of wonder zu teilen und schöne Momente zu erleben. Keine teuren Flugtickets. Zudem haben Maki und Naomi einiges gemein, obwohl sie charakterlich eher unterschiedlich sind. Auch Maki hat Probleme Nähe zuzulassen, obwohl er nach außen hin betrachtet wie der extrovertiertere der Beiden wirkt. Ihre emotionale und körperliche Anziehung können sie aber nur durch gegenseitiges Raufen nach außen transportieren. Es ist als ob beide nie in irgendeinem Film oder bei anderen Menschen gesehen hätten wie Zuneigung aussehen kann und als ob sie ihre eigene Interpretation davon zum Besten geben. Oder eben eine andere Ausdrucksform ihres gegenseitigen Wunsches nach Nähe kultivieren.

Mit zunehmender Verzweiflung über ihr Umfeld, nimmt das Raufen und die Ausweglosigkeit aber über Hand. Let Me Hear It Barefoot ist über weitere Strecken ein dramatisch angehauchter Feelgood-Film, schlägt aber in seiner Stimmung gegen Ende dann doch mehr in Richtung Drama um. Das trifft einen Nerv, aber ist auch irgendwo bedauernswert, dass die Geschichte nicht glücklicher zu einem Ende finden durfte. Das Ende setzt zumindest ein Ausrufezeichen an das Hinterfragen unserer eigenen Komfortzone und was es uns wert ist auszubrechen. Oder ob wir das können ohne Gewalt anzuwenden. So oder so lädt der Film dazu ein, die Geräuschkulissen der Umgebung vielleicht mal barfuß zu genießen. Und vor Allem ganz genau hinzuhören.

Let Me Hear It Barefoot (OT: 裸足で鳴らしてみせろ „Hadashi de narashite misero“), Japan, 2021, Riho Kudo, 127 min, (7/10)

Sternchen-7

Ring Wandering

„Ist das ein Hund?“ wird Sosuke (Show Kasamatsu) ständig gefragt. Nein, er versucht einen Wolf zu zeichnen. Sosuke zeichnet Manga und hängt insbesondere an seinem Herzensprojekt. Darin wird ein legendärer Wolf von Dorfbewohnern gejagt wird. Insbesondere von einem, der dem Wolf schuld am Tod seiner Tochter gibt. Nur mit dem Wolf zeichnen hapert es. Letzten Endes auch weil der japanische Wolf als ausgestorben gilt. Bisher hat sich Sosuke auch noch keinen Namen gemacht und verdient sich seinen Lebensunterhalt auf einer Baustelle. Dort gräbt er eines Tages einen Schädel aus, der ihm verdächtig nach dem eines Wolfes aussieht. Als er eines abends nach den weiteren Überresten sucht, macht er Bekanntschaft mit Midori (Junko Abe). Es ist nicht abwegig das als schicksalhafte Begegnung zu bezeichnen.

Ab hier spannt der Film drei verschiedene Erzählebenen auf. Die von Sosukes und Midoris Begegnung, Sosukes Arbeit an dem Manga und die des Manga selbst als ob dieser verfilmt worden wäre oder wie er vielleicht in Sosukes Vorstellung abläuft. Insbesonderes dieses Segment strotzt vor wunderschönen und atmosphärischen Naturszenen, die einen sehr weit aus dem Alltag heraus transportieren. Aber auch Sosukes Erzählung hat einige Elemente des Magischen Realismus, die aber sparsam und dezent eingesetzt sind, sodass die Grenze zwischen Fantasy und Drama kaum merklich fließend verläuft. Das einzige, was ich ihm nicht so ganz abkaufe ist wie er seinen Manga zeichnet. Das sieht man in Mangaka-Dokus, Youtube-Videos und Klassikern wie Bakuman anders. Aber wer weiß 😉 vielleicht hat er halt einfach sein Ding.

Was Sosuke mit Midori verbindet steht im Zentrum der Handlung und steigert sich zu einer rührenden Geschichte zweier verwandter Seelen. Regisseur Masakazu Kaneko und Genki Yoshimuras Drehbuch handelt von einer Art universellem Verständnis zwischen den Menschen, das Erklärbarkeit trotzt. Obwohl Ring Wandering sehr traurige, dramatische Spitzen hat, ist es ein Trost zu sehen wie sich letzten Endes alles in Sosukes Manga auf die eine oder andere Art wiederfindet und damit vielleicht nie ganz gegangen ist. Vielleicht auch wie der japanische Wolf. Denn wie wir in dem Film lernen, hat der sich nur versteckt. Wunderschön! Ich war ganz entrückt aus meinem Alltag und sehr weit weggetragen durch den Film.

Ring Wandering (OT: リング・ワンダリング „Ringu wandaringu“), Japan, 2021, Masakazu Kaneko, 103 min, (9/10)

Sternchen-9

Der Trailer enthält leider Spoiler


„Ring Wandering 『リング・ワンダリング』 Official Trailer | Nippon Connection Filmfestival 2022“, via NipponConnectionTV (Youtube)

„Ring Wandering“ war übrigens auch mein Lieblingsfilm unter den paar Filmen, die ich per on demand wahrnehmen konnte. Welcher Film hat euch am besten gefallen, falls ihr die Gelegenheit hattet einige der Festivalfilme zu schauen? Es freut mich riesig, dass mit Riho Kudo und ihrem Film „Let Me Hear It Barefoot“ auch eine Regisseurin dabei war. Im Grunde natürlich mehrere, nur eben in meiner Auswahl.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert