Fantastischer Film: Evangelion: 3.0+1.0 Thrice Upon a Time

So ungefähr heute vor einem Jahr landete der vierte und letzte Rebuild-Film nach 9-jähriger Wartezeit auf einer außerhalb Japans erreichbaren Streamingplattform. Manche waren böse angesichts der langen Wartezeit. Aber war es auch noch jemand, als er dann endlich da war? Das Warten hat sich gelohnt, spätestens wenn man sieht wie ein Mecha einen Engel mit dem Eifelturm verprügelt. Aber nein. Evangelion ist mehr als Gekloppe. Der letzte Film ist soviel besser als alles, was wir uns für das Ende der Rebuild Movies gewünscht haben. Zur Erinnerung: die Rebuild-Movies sind Remakes der Serie Neon Genesis Evangelion, in der eine durch Katastrophen und von „Engel“ genannten Monstern angegriffene Zivilisation versucht sich mithilfe von Mechas, hochhaushoher, bemannter Roboter, zur Wehr zu setzen. Neben der expliziten technischen Visualisierung der EVA genannten Mechas, geht es aber v.A. um die Menschen und was es bedeutet Mensch zu sein. Was uns antreibt, was uns verleitet, was uns zermürbt. Es geht vielleicht auch um höhere Mächte, es geht um das Ich und das Es. Es geht um den Menschen darin. Es ist ’ne ganze Menge!

Wo setzt nun der vierte Film an? Während WILLE um Misato, Ritsuko und Maya in Paris versucht verbliebene EVA-Ersatzteile von EURO-NERV zu „bergen“, wandern Asuka, Rei und Shinji ziellos durch das verwüstete Neo-Tokyo und Umgebung. Das Ziel kennt nur Asuka. Shinji sackt mehrmals traumatisiert in sich zusammen und Rei wartet auf „Anweisungen“, denn das ist alles, was man ihr beigebracht hat. Sie kommen letzten Endes in einem Dorf Überlebender des Near Third Impact an, indem die drei Pilot*innen einige bekannte Gesichter wiedersehen.


„EVANGELION: 3.0+1.01 THRICE UPON A TIME – Official Trailer | Prime Video“, Amazon Prime Video, Youtube)

Was danach folgt ist Läuterung, Rührung und sogar Comic Relief. Wenn Rei, die nie wirklich unter Menschen gelebt hat, mit den „Basics“ des Lebens konfrontiert wird („Was ist Arbeit?“), macht das Spaß und berührt gleichermaßen. Umso mehr als sich die Frage stellt: wie geht es weiter für sie? Es passiert selten, dass man mittendrin im Film weint, statt am Ende. Shinji hingegen ist von Selbstmitleid und Thanos (Todestrieb) zerfressen aufgrund der letzten Verluste, die er erleiden musste. Irgendwie schafft er es aber aus der Stasis als er hört, dass sein Vater noch einen weiteren Versuch unternimmt den Plan zur Vollendung der Menschheit durchzusetzen und erneut EVA Einheit-13 startet. Shinji zieht daraus seine Schlüsse was zutun ist.

Selten haben Brüche in einer Filmreihe so gut funktioniert. Trotz des Ausfluges aufs Land, wo sich ein Rest überlebender über Wasser hält und versucht aus dem Nichts eine Zivilisation aufzubauen, findet der Film wieder zu Kämpfen und dem Punkt wo es psychedelisch und schwer durchschaubar wird. In diesem Tal, in das Evangelion früher oder später immer hinabsteigt, können Zuschauende nur akzeptieren und zwischen den Zeilen lesen was passiert. Dass Evangelion aber so gut mit Comic Relief, heilsamer Konfrontation und lieben Gesichtern der Vergangenheit Shinjis aufräumt: chapeau. Was ab hier folgt sind etliche Verbeugungen vor der Serie, vor ihren Charakteren und deren langer Reise. Fast jede neue Erkenntnis kommt einem wie ein Geschenk vor.

Vor Allem dürfen all die Charaktere des inzwischen lang existierenden Evangelion-Universums wachsen, sich verändern und es dieses Mal (vielleicht) besser machen. Auch Gendou Ikari, Shinjis Vater. In vielerlei Hinsicht dreht Evangelion: 3.0+1.0 Thrice Upon a Time den Spieß verglichen zu End of Evangelion oder der Serie um. Meisterhaft ist wie der Film am Ende Filmsets referenziert, sich vor Kaiju-Klassikern verneigt, in Key Frames und Storyboards zerfällt. Bis zum Ende. Es ist überraschend heilsam, der Film ist wunderbar gelungen und ich befürchte, er wirkt am besten, wenn man den steinigen Weg über 26 Jahre Serie, Filme und Rebuild-Filme mit gegangen ist. Und wirkt es auch, wenn nicht? Ich denke schon, aber es haut vielleicht nicht ganz so rein in die emotionalen Weichteile.

Zwischenzeitlich wollte ich wegen des ständigen offensiven Fanservice, der kaum nachvollziehbaren und an Reizüberflutung grenzenden Kämpfe und des Fancy-Buzzword-Dropping („Das ist das Anti-Universe! Das ist der Golgotha-Apparat! TYP ERLÖSER!“) Abzug geben. Aber andererseits ist Evangelion: 3.0+1.0 Thrice Upon a Time zu einem großen Teil meta. Es referenziert sich selbst und löst all seine gestreuten Fäden auf. Und wofür Evangelion von Anfang an steht ist eben all das. Ja, auch mit seinem Buzzword Bingo und Fanservice. All das kann aber nicht schmälern was für eine Genugtuung es ist zu sehen, dass Evangelion und alle Charaktere darin das Trauma überwunden haben und erwachsen werden. Das Ende ist optimistisch. Ich hätte mir keinen besseren Abschluss vorstellen können.

Evangelion: 3.0+1.0 Thrice Upon a Time (OT: シン・エヴァンゲリオン劇場版: „Shin Evangerion Gekijōban:“), Japan, 2021, Hideaki Anno/Kazuya Tsurumaki/Katsuichi Nakayama/Mahiro Maeda, 156 min

Mehr zu Evangelion hier im Blog:
Besprechung der ersten drei Rebuild-Filme
Besprechung der Serie
Mehr Futter für die Evangelion-Obsession

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

4 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Interessant fand ich die NGE Filme ebenfalls, auch wenn sie auf mich ein wenig absurd wirken. Die Fancy Buzzwords sehe ich ein bisschen wie Wegmarken, die die Handlung kulturell verankern.
    Ich hätte Shinji ein besseres Ende gewünscht, aber vorstellen kann ich mir das nicht. Armer Shinji …

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ein besseres? So schlecht fand ich das Ende für ihn hier gar nicht. 🙂 Vielleicht sogar das optimistischste jemals.

      1. Avatar von voidpointer
        voidpointer

        Was hat Dir an dem Ending gefallen? Zumindest ist Shinji am Ende sehr eloquent..

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Um nicht zu spoilern schreibe ich das mal anderswo. 🙂

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