Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: der vielleicht letzte Film von Hayao Miyazaki kommt in die Kinos! Darauf würde ich mich gar nicht verlassen. Miyazaki ist vielleicht 83 Jahre alt, aber er ist auch unermüdlich, was das Geschichten erzählen betrifft. Etwas später als die Nachbarn aus Österreich kamen wir nun Anfang diesen Jahres auch in den Genuss des (wie ich es lieber formulieren möchte) neuen vom Studio Ghibli.*
Im Zentrum der Handlung steht der Junge Mahito, der während des Pazifikkrieges 1943 in Japan seine Mutter verliert. Wenige Jahre später heiratet sein Vater Natsuko, die jüngere Schwester von Mahitos Mutter. Sie ziehen zu dem Anwesen der Familie Natsukos und der Neustart hat seine Tücken. Natsuko stellt sich als seine neue Mutter vor, die anderen Kinder in der neuen Schule vertragen sich nicht mit Mahito und ein seltsamer Graureiher scheint es auch auf den Junge abgesehen zu haben. Als Mahito ihn verfolgt, landet er in einem seltsamen Land mit fremden Wesen und ganz eigenen Regeln, das stets und ständig auf der Kippe zu stehen scheint.
Der Film sorgte auch noch aus anderen Gründen für Aufregung, weil die Köpfe hinter Studio Ghibli lediglich ein Poster veröffentlichten und abgesehen davon auf Trailer und Marketingstrategien verzichteten. Sie hatten Recht – der Ruf Ghiblis war ausreichend. Das Vorgehen nicht vorzugehen „vertiefte das Mysterium“, machte alle umso neugieriger. (Tatsächlich gibt der im Westen erschienene Trailer viel preis finde ich.) Das Poster ging viral – mitsamt allen möglichen Verfremdungen und Memes. Davor wurde auch viel gemunkelt und durch den Titel des Films im japanischen Original angenommen, man adaptiere das Buch 君たちはどう生きるか („Kimitachi wa Dō Ikiru ka“, ungefähr „Wie lebt ihr?“) von Genzaburo Yoshino. Tatsächlich ist es eher etwas meta. Mahito liest es an einer Stelle des Films und ist davon sehr gerührt. Viel mehr ist es die Kernaussage des Buchs, die sich im Film wiederfindet: wie willst du Leben? Wie willst du die Welt gestalten? Eine spannende Frage angesichts dessen wie Mahito die Welt kennengelernt hat: im Krieg.
Moral, Werte und Botschaften werden den Zuschauenden wie auch Mahito nicht mit Gewalt eingeprügelt, man liest das in feiner Ghibli-Manier aus den Zeilen heraus. Wie soll Mahitos Generation wissen wie man ein Land wieder aufbaut und ein Leben gründet, wie man „gut“ ist, wenn man doch nur von Krieg und Zerstörung umgeben war? Für Mahito (und vielleicht auch für uns wenn wir an 2022/2023 denken) scheint die Welt ein allzu fragiles Türmchen zu sein, das hier und da wackelt und dessen Gefüge scheinbar schnell zum Einsturz gebracht werden kann. Da ist es schwer eine Antwort zu finden. Wofür die seltsame Welt in die Mahito stolpert eine wunderbare Metapher ist. Es hat Spaß gemacht diesen Ort zu erkunden. Wie so oft kommen die Filme Ghiblis zum rechten Zeitpunkt. Vielleicht sind sie auch einfach allgemeingültig humanistisch wahr? In jedem Fall bieten sie viel Inhalt, die Personen allen Alters unterschiedlich für sich auslegen und verstehen können.
Etwas weniger Spaß hat mir das Beziehungsgeflecht innerhalb Mahitos Familie gemacht. Als sich Natsuko (bisher seine Tante, die er noch nie bewusst gesehen hat) als seine „neue Mama“ vorstellt ist das etwas fragwürdig (und cringy). So richtig grooven sich seine Stiefmutter/Tante und er nicht ein, was wir anfangs nur aus Mahitos Sicht sehen und gegen Ende nochmals aus Natuskos Sicht mit sehr deutlichen Worten, bei denen nicht klar ist, wer oder was da aus ihr spricht. Wie und ob der Konflikt zwischen Natsuko und Mahito gelöst wird ist trotz der 124 Minuten Spieldauer ein Aspekt, den sich Zuschauende hauptsächlich selber zurechtlegen müssen.
Der Junge und der Reiher ist im Endergebnis ein ganz in der Tradition Ghiblis wunderschön animierter Film mit einer erneut sehr eigenen Bildsprache und Motiven. Gegen Anfang des Films gibt es einige etwas unwirsche Szenen in Kriegswirren, die hier sicherlich als Mittel zum Zweck so zerrissen wirken. Später sieht man hier und da mal nicht ganz so fein ausgearbeitete Gegenstände in Hintergründen. Darüber hinaus ist der Film aber ein wunderbares Stück liebevoll handgemachter Animation, die wie eine blühende und grünende Oase innerhalb der Januarlandschaft ist. Obwohl so manches in dem Film Comic Relief bietet, gibt es auch grotesk-witzig-schaurige Szenen, die das FSK 12 aus meiner Sicht erklären. Beile wetzende und Menschen fressende Finken (oder Sittiche) sage ich da nur … ihr wurdet gewarnt!
Der Junge und der Reiher (OT: 君たちはどう生きるか „Kimitachi wa Dō Ikiru ka“), Japan, 2023, Hayao Miyazaki, 124 min, (8/10)
*Falls ihr meinen Spoiler-Disclaimer vermisst: den schreibe ich ab jetzt nur noch dann, wenn ich gedenke zu spoilern. Spoilerfrei wird hier als Standard angenommen.
Eigentlich ist es ja nicht Teil meines #Japanuarys gewesen, aber ich freue mich sehr, dass ich den Film im Zuge des Januars schauen konnte. Habt ihr euch auch ein Bild von Ghiblis neustem machen können? Wie hat er euch gefallen? Traut ihr Reihern jetzt noch? Und Sittichen???
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