Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Mickey 17“

Man ist fast versucht zu sagen, dass es sich hierbei um Bong Joon-hos erste US-Produktion handelt. Aber nein, da gab es ja bereits Okja. Man ist auch versucht zu sagen, dass die Literaturvorlage geradezu nach ihm ruft und schließlich einige seiner Lieblingsthemen wie Antihelden in einer menschenfeindlichen Gesellschaft adressiert. Aber auch hier überrascht Bong Joon-ho, da er sich einfach mal auf ganz andere Dinge konzentriert als man annehmen könnte. Gelingt das? Die Besprechung ist spoilerfrei.

Im Jahr 2054 arbeitet Mickey Barnes (Robert Pattinson) als sogenannter Expendable für eine Weltraummission, die das Ziel der Kolonialisierung eines fremden Planeten hat. Bevor er den Vertrag unterschrieben hat, las er nicht nochmal nach was die Aufgaben eines Expendable (dt.: Entbehrlicher) sind. Die Antwort: er geht vollkommen in seinem Job auf. Wortwörtlich. Als Expendable wird er immer dann gerufen, wenn ein Job besonders gefährlich ist oder schlichtweg, wenn man ein Versuchskaninchen braucht. Denn er wurde komplett gescannt – Körper wie Erinnerungen. Kratzt er ab, kommt ein neuer Mickey aus dem Biomasse-Drucker. Mitarbeiter des Monats?

Wie wir erschreckend spät in dem Film erfahren, geht Mickey (Nummer 17) aber auf einen Einsatz, wird für tot erklärt und neu gedruckt (Nummer 18), obwohl er überlebt hat. Jetzt gibt es zwei Mickeys, was verboten ist und beide dazu zwingt sich a) entweder an die Gurgel zu gehen oder b) zu verstecken und zu koexistieren. Was soll es sein? Beides ist gar nicht so einfach auf einem Raumschiff voller durchgeknallter Chaoten rund um den Expeditionsleiter und gescheiterten christlich-fundamentalistisch-autokratischen Ex-Senator Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) und seiner mindestens genauso viel die Strippen im Hintergrund ziehenden Frau Ylfa (Toni Collette).

Mickey 17 | Official Trailer, Warner Bros.

Das kuriose ist: die Vorlage hat mich nicht umgehauen. Sie war eher so okay. Aber sie hatte Potentiale, die man für gut aufgehoben hält beim Regisseur von gesellschaftskritischen Werken wie Parasite und Hunde, die bellen, beißen nicht. Im Buch gibt es Motive wie Knappheit, Mangel, Ignoranz und Zweiklassengesellschaft. Offenbar hatte Bong Joon-ho aber keine Lust ein zweites Parasite zu drehen und hat sich statt seiner sicheren Bank aus Kritik an Zweiklassengesellschaft und Zuspitzung von Mangel gedacht: heute beschäftige ich mich mit verrückten Autokraten. Namentlich Ruffalos Figur, die offensichtlich an Hitler und Trump angelehnt ist. Inklusiver irrer MAGA-Fans. Man könnte sagen: wow wie genial, er war so weitsichtig als er den Film gedreht hat. Dem stehen aber zwei Aspekte im Weg. Wir alle haben sicherlich die Nase voll von größenwahnsinnigen, inkompetenten Autokraten und zweitens heißt der Film doch Mickey 17 und sollte sich um den drehen, oder?

Das Buch, ob man es nun gut findet oder nicht, hat einige Motive zu bieten, die zwar selbst dort im Nichts verliefen, aber spannend hätten sein können wie das Dilemma Mickeys als Schiff des Theseus. Das philosophische Gedankenexperiment stellt die Frage, ob Mickey noch Mickey ist, wenn er doch einmal komplett neu „gedruckt“ wurde. Was hier besonders interessant ist, weil es dann durchaus noch grausamer ist Mickey ständig leichtfertig dem Tod auszusetzen. Der Film macht sich die Mühe allerdings gar nicht und beantwortet das, indem er Robert Pattinson ganz offensichtlich zwei charakterlich sehr unterschiedliche Mickeys spielen lässt. Ich muss gestehen, dass ich das in der deutschen Synchro nicht für besonders gelungen halte. Ich kann nur vermuten, dass das Original das ähnlich ulkig vorgibt. Mickey 17 klingt sehr weich und labil, während seine 18. Inkarnation eher psychopathisch veranlagt ist, eine kurze Zündschnur hat und schnell zuschlägt. Hätte man auch subtiler machen können. Da schwimmt unser Schiff des Theseus davon.

Ähnlich verschenkt ist der Umstand, dass sich Mickey im Buch von einem Expendable zu einem Non-Expendable macht. Wie ist nun egal, der Film greift das nicht auf, genauso wenig wie das Verwechselspielchen, das der doppelte Mickey auslösen müsste. Ja wenn der Film all das offensichtliche nicht tut, was tut er denn dann? Er konzentriert sich zum Einen darauf zwei Parallelen gegenüberzustellen. Eine Gesellschaft, die zusammenhält, um zu überleben und das Individuum schätzt (die Creepers, eine auf dem Planeten beheimatete Spezies) und eine, die das nicht tut (die Menschen). Mickey schätzen sie jedenfalls schon mal nicht – sie lassen ihn relativ bereitwillig zerschnetzeln. Damit gibt sich Bong Joon-hos adaptiertes Drehbuch und der daraus entstandene Film alle Mühe die Menschen als dysfunktionale Spezies zu charakterisieren. Ansonsten wären sich Creepers und Menschen recht ähnlich. Die Creepers haben sowas wie eine Königin bzw. Übermutter, die Menschen an Bord des Schiffs haben den irren Kenneth.

Jetzt könnte man mutmaßen, dass man den Film besser ab kann, wenn man die Vorlage gar nicht erst kennt. Ja, vielleicht schon. Es ist immer schwierig bis unmöglich die Vorlage ungesehen zu machen, selbst wenn man sie nicht für den großen Wurf hält. Kennt man all das nicht, kann man sich wunderbar daran festhalten wie sich der hier herrlich verplante und etwas naive Mickey durch die Unwegsamkeiten seines seltsamen Jobs navigiert. Der Humor gelingt zumindest ebenso wie das Empathie fördern. Ansonsten ist der Film aber voll mit wirren Ansätzen wie der seltsamen Obsession von Ylfa mit „Soßen“ und lenkt viel zu viel Aufmerksamkeit auf sie und den furchtbaren (An)führertyp. Ansonsten enthält der Film eine zarte Note von Kritik an Imperialismus und Religion. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen.

Mickey 17, USA, 2025, Bong Joon-ho, 137 min, (6/10)

Sternchen-6

Ja vom Film war ich also leider wenig gehyped. Trotz Bong Joon-ho, trotz Pattinson, leider. Sehr wohl gehyped bin ich aber wegen der Tatsache, dass ich das erste Mal seit fast 6 Monaten wieder im Kino war. 😁 Habt ihr den Film schon gesehen und wie hat er euch gefallen? Stimmt ihr meiner Theorie zu, dass der Film besser funktioniert, wenn man die Vorlage nicht kennt?

Eine Antwort

  1. Ich war hier sogar das erste Mal seit 20 (!) Monaten im Kino.
    Ich kann dir sagen, dass der Film für mich, auch ohne die Vorlage zu kennen, nicht funktioniert hat.
    Das erste Drittel (Mickey 17) war stark. Das zweite Drittel (Mickey 17 vs Mickey 18) war ok. Und als die Creepers auf den Plan traten hab ich nur noch gehofft, dass bald das Licht angeht.

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