ausgelesen: „Der Wolkenatlas“ Vergleich zwischen Buch und Film

 

Heute geht es in ‚ausgelesen‘ um die Unterschiede zwischen dem Buch „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell aus dem Jahr 2004 und der Verfilmung „Cloud Atlas“ aus dem letzten Jahr. Eine spoilerfreie Review des Buchs findet sich hier (mein ‚ausgelesen‘-Artikel aus dem April). Ansonsten sei der Leser gewarnt: in diesem Artikel hagelt es massive Spoiler!

Ein großer Unterschied gleich vorweg: im Buch werden die Handlungen in einer speziellen Reinfolge erzählt, im Film stattdessen unterschiedlich schnell wild zwischen den Epochen gewechselt.

Adam Ewing

Im Buch werden die Landgänge von Adam Ewing sehr ausführlich besprochen. Dazu zählt u.a. ein Zwischenstopp an einer christlichen Mission. Insgesamt wird Adam Ewing hier mit mehr Formen der Unterdrückung konfrontiert, die zusammen mit dem Motiv der Sklaverei ein sehr deutliches Bild zeichnen und ihn wortwörtlich umgeben. So lernt er bei der Mission einen Mann kennen, der in einer lieblosen Ehe festsitzt. Und an Bord der Prophetess will sich ihm ein Junge anvertrauen, der von den Crewmitgliedern sexuell missbraucht wird. Ewing weist ihn ab, weil es ihm schlecht geht aufgrund seines angeblichen Parasiten/Wurm. Später erfährt er, dass der Junge Selbstmord begangen hat und fühlt sich schuldig. Die Geschichte endet mit den Gedanken Ewings und zwischendurch erfährt man, dass sein Sohn das Tagebuch veröffentlicht hat.

Der Film konzentriert sich ganz auf das Motiv Sklaverei und die Unterdrückung, die Ewing durch Goose zuteil wird. Beides wird aber sehr flüssig erzählt und gut verknüpft. Die Verschlechterung von Ewings Zustand kann im Medium Film sehr wirksam gezeigt werden – im Buch ist die Erkrankung ab und zu eher in den Hintergrund geraten. (Was natürlich Sinn macht, denn wer schreibt schon die ganze Zeit in ein Tagebuch ‚mir gehts so schlecht‘?) Der Hauptteil der Handlung spielt im Film auf der Prophetess und läßt den Landgang beispielsweise vollkommen aus. Auch den sexuellen Missbrauch auf dem Schiff. Dafür wurde eine Szene eingefügt, in der Adam Ewing zuhause ankommt und seinem Schwiegervater erklärt, dass er sich gegen Sklaverei einsetzen werde. Ein krasser Schritt, denn der Schwiegervater handelt mit Sklaven und wickelt gerade ein Geschäft ab.

Mir gefällt es sehr, dass der Film noch das Eintreffen Ewings bei seiner Frau und seinen Kindern zeigt. Dass er sich auflehnt und einen Schritt in die richtige Richtung macht ist eine sehr deutliche Aussage und menschlich bewunderswert. Es zeigt wie sehr er gewachsen ist. Im Buch ist das etwas subtiler. Trotzdem trauere ich der Bandbreite der Erzählungen in der Vorlage etwas nach – im Film hat man sich schon mehr beschränkt. (Auch wenn ich gestehen muss, dass ich Ewings Tagebuch und Geschichten die tatsächlich aus dem Jahrhundert stammen sehr unangenehm zu lesen empfinde aufgrund der Sprache und der einen oder anderen extrem ausführlichen Schilderung.) Das ist wahrscheinlich einer der Handlungsstränge mit den meisten Änderungen.

Robert Frobisher

An und für sich gleichen sich die Handlungen von Buch und Film stellenweise sehr. Es gibt zwei wesentliche Ausnahmen. Im Buch verliebt sich Frobisher in Ayers Tochter Eva, die er am Anfang als verwöhnte Zicke wahrgenommen hat. Das mündet in längere Erzählungen von gemeinsamen Unternehmungen und einer Szene in der sich auflöst, dass Evas Gefühle gar nicht Frobisher galten. Die andere Ausnahme ist, dass im Film Jocastas Vergangenheit Thema wird, als ein Nazi zu Gast bei Ayers ist. Mit diesem angedeuteten Handlungsstrang kann ich wenig anfangen, genauso wenig wie mit Frobishers plötzlichen Gefühlen für Eva. Im Buch soll das wahrscheinlich unterstreichen, dass er sich durch dieses Drama erst bewusst wird, dass Sixsmith doch seine einzige Liebe ist. Mein Eindruck war, dass im Film weniger daran gerüttelt wurde, dass Frobisher Sixsmith liebt. Ansonsten hat es mich im Buch ganz krank gemacht die Passagen über Frobisher und Eva zu lesen – aus der Perspektive von Sixsmith sicherlich grausam. Ansonsten gibt es einige kleinere Änderungen wie zum Beispiel Frobishers Suche nach dem Grab seines im Krieg gefallenen Bruders in der Buchvorlage.

 

Luisa Rey

Luisa Reys Geschichte ist wahrscheinlich der Handlungsstrang mit den wenigsten Unterschieden zwischen Buch und Film. Im Buch redet sie mit mehr Personen, die aus Angst um ihr Leben in Buenas Yerbas abtauchen mussten. Außerdem gestaltet sich die Suche nach Beweisen minimal anders. Mein Eindruck war, dass im Film die Beziehung von Luisa und dem Wissenschaftler Isaac Sachs mehr in den Vordergrund gehoben wurde. Außerdem ist ihre Mutter weniger oft Thema.

Timothy Cavendish

Auch Cavendishs Martyrium weist wenig Veränderungen zwischen Buch und Film auf. Im Buch wird deutlich gemacht, dass Cavendish einen Schlaganfall hatte. Als er später wieder auf den Beinen ist, vermuten seine Freunde, dass die bösartige Pflegerin das mit Absicht herbeigeführt hat. Im Film wird das ausgelassen, soweit ich mich erinnern kann!? Stattdessen wird auch hier ein anderes Ende für Cavendish erfunden – sein Zusammenleben mit seiner Liebe Ursula. Auch die eine oder andere Erinnerung an seine Zeit mit Ursula wurde etwas ausgeschmückt. Auf sehr unterhaltsame Art und Weise. 🙂

Sonmi-451

Den Unterschied zwischen Buch und Film habe ich als riesig empfunden. Im Buch wird Sonmi als Aufsteiger entlarvt und bei einem Doktoranden in der Uni untergebracht. Das Leben wird für sie dadurch nicht wirklich besser. Sie nutzt die Momente in denen sie nicht wie Abschaum behandelt wird, um sich zu bilden. Auch das bleibt nicht unbemerkt und sie wird aus ihrer misslichen Lage befreit, kann auf dem Campus unabhängiger leben und besucht Vorlesungen. Sie lernt viel, wird aber von ihren Kommilitonen verstoßen und beschimpft. Auch die Uni wird gestürmt und sie flieht mit Hae-Jo Im und ihr wird klar, dass er zu den Rebellen gehört, die das das System (die Konzernokratie) stürzen wollen. Sowohl in ihrer Zeit in der Universität, als auch auf der gemeinsamen Flucht wird Sonmi immer wieder mit Grausamkeiten gegen Duplikanten verschiedenster Art konfrontiert. Der Stil von Sonmis Welt ist im Buch aber sehr anders. Sowohl Menschen als auch Duplikanten haben aus heutiger Sicht deformierte Gesichter oder Körpermerkmale. Übergroße Augen, Hasenzähne oder sogar Edelsteinapplikationen. Ein Duplikant mit dem sich Sonmi anfreundet ist gar auf extreme Temperaturen genormt worden, hat eine verbrannt wirkende Haut und stöpselartige Ohren. Körpermodifikationen und Facedesign sind an der Tagesordnung – auch Sonmis Äußeres wird verändert. Der aber wahrscheinlich krasseste Unterschied zum Film wird durch Sonmi im Verhör erklärt: die Konzernokratie hat ihren Aufstieg selber verursacht, um den Menschen ein abschreckendes Beispiel zu liefern und ihren Niedergang zu demonstrieren.

Vollkommen anders im Film: Sonmi wird eine Symbolfigur, die zusammen mit Hae-Jo Im einen Märtyrertod stirbt. Undzwar in der Sternwarte, die Meronym und Zacharys in der noch ferneren Zukunft besuchen werden. Auch die Liebe von Hae-Jo Im und Sonmi war echt genau wie der Aufstieg der Duplikantin. Die gesamte Storyline mit der Universität bleibt aus und die Geschichte wurde romantischer gestaltet und geht mehr in die Richtung was sich der Zuschauer wünscht. Zumindest ist das mein Eindruck. Dass Sonmis Aufstieg im Buch von der Regierung herbeigeführt wurde, habe ich als sehr deprimierend empfunden, ist aber der krassere Twist.

 

Zachary

Auch hier gibt es einige Abweichungen zwischen Buch und Film. Im Buch werden die sprachlichen Besonderheiten von Zacharys Zeitalter natürlich nochmal besonders deutlich (die Menschen reden einen stark umgangssprachlichen Kauderwelsch). Zacharys gibt mehr aus seinem Leben preis, es werden mehrere Völker vorgestellt und Mythen erzählt – insbesondere welche rund um Old Georgie. Der gravierenste Unterschied ist wohl aber, dass Meronym Zachary im Film darüber aufklärt, dass Sonmi auch nur ein Mensch war und gestorben ist. Mehr noch: in der Sternwarte, die Meronym besuchen will, finden sie die menschlichen Überreste der Widerstandskämpfer um Hae-Jo Im. Außerdem will sie zu der Sternwarte/auf den Berg nicht etwa nur zum kartografieren und forschen, sondern um Menschenkolonien im All zu kontaktieren. Im Film wird also der Grundgedanke des Buchs noch etwas weiter gesponnen. Wir erkennen in dem alten Mann vom Beginn des Films (dem Erzähler) Zachary, der mit Meronym und seiner Familie auf einem anderen Planeten lebt. Und es ist tatsächlich im Film (nicht im Buch) deutlich, dass Zachary und Meronym ein Paar werden.

Fazit

Insgesamt drängt sich mir der Verdacht auf, dass der Film die Handlungen stellenweise medienwirksam umgedichtet hat. So wirken die Annäherungen zwischen Sonmi und Hae-Jo Im wesentlich zarter im Film und es wird wirklich der Eindruck erweckt, dass sie sich lieben und nicht nur einfach Sex haben. Aber es wurden auch im Sinne des großen Gesamtbildes Veränderungen vorgenommen. So zu sehen am Beispiel von Ewings Rebellion gegen den mit Sklaven handelnden Schwiegervater. Der Film strickt das Motiv Everything Is Connected auch weiter, indem die Schauspieler in den verschiedenen Zeitaltern jedes Mal in einer anderen Rolle wiederkehren. So sorgt es auch für einen Running Gags, wenn beispielsweise Hugo Weaving im nächsten Leben eine Frau ist. Die Schauspieler erstmal zu erkennen, ist echt lustig. Auf der anderen Seite kann man darüber fachsimpeln, welche Figuren sich von Reinkarnation zu Reinkarnation weiter entwickelt haben. Daher muss ich abschließend sagen, dass Cloud Atlas wirklich eine wunderbare Verfilmung des Stoffs ist. Zwar wurde hier und da geschaut, was der Zuschauer lieber sehen möchte aber auch eine unheimlich dichte und detailierte Umsetzung geschaffen. Die Botschaft wird visuell und dramatisch ausgezeichnet in Szene gesetzt und Erkenntnis nach Erkenntnis treffsicher offenbart.

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

6 Antworten

  1. Ich habe Hugo Weaving als Frau tatsächlich gar nicht erkannt 😉 Ich fand Ewings Tagebuch auch am unangenehmsten zu lesen, vor allem in sprachlicher Hinsicht. Die Umsetzung von Somnis Geschichte kann ich dem Film nicht verzeihen, aber ich finde ihn insgesamt auch ganz gut, wobei ich finde, man sollte das Buch unbedingt lesen bzw. gelesen haben.

    1. Danke fürs following, liken und kommentieren. 🙂
      Ja – das Buch ist wirklich speziell und ein Muss. Ich verstehe gar nicht, warum ich erst durch den Film darauf aufmerksam geworden bin!?
      Und Sonmis Geschichte ist wirklich eine Diskussion für sich…die Filmvariante kann man fast schon als versöhnlicher bezeichnen…

  2. Eine schöne Zusammenfassung, besonders, da ich nach Schauen des Films letztes Jahr das Buch auch auf meine (nie enden wollende) Leseliste gesetzt habe. Wenn man den Film schaut, ist es vielleicht auch noch wichtig zu wissen, dass dabei drei Regisseure am Werk waren, die Episoden also nicht alle vom gleichen Kopf gedreht wurden. Darueber hinaus sind die Figuren nicht zwangsläufig als Reinkarnationen zu sehen, nur weil der gleiche Schauspieler wieder auftaucht. Das war wohl vor allem so eine Budgetsache, ich denke aber, dass gerade dadurch auch interessanter Interpretationsspielraum geschaffen wurde, wenn vielleicht auch unfreiwillig.

    1. Oh das mit der nie enden wollenden Leseliste kommt mir bekannt vor. 😉
      Ich denke, dass die mehrfache Besetzung der Schauspieler hier wirklich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat.

  3. […] erklärten Lieblingsbücher. Dazu gibt es hier im Blog auch einen Artikel über das Buch und zu den Unterschieden zwischen Film und Buch – letzterer beinhaltet allerdings […]

  4. […] zum Buch ver­än­dert wur­den. Stich­wort Sonmi-451. Im Blog habe ich auch schon Mal einen Ver­gleich zwi­schen Film und Buch […]

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