Ich liebe Animationsfilme – und dementsprechend ist das immer eine der für mich interessantesten Kategorien bei den Oscars. Leider hat es nicht geklappt alle nominierten Filme zu schauen, aber zumindest einige. Da es heute abend soweit ist und die Goldjungen verliehen werden, möchte ich das hier noch mit ein paar Reviews ‚feiern‘. Auf gehts. Reviews sind spoilerfrei.
Alles steht Kopf (OT: Inside Out)
Pixars neuester Streich entführt den Zuschauer in das Innere unseres Nervensystems und zeigt das Zusammenspiel der Emotionen, des Unterbewusstseins, und auch beispielsweise des Langzeitgedächtnisses. Das ausgewählte Exemplar Mensch in dessen Kopf wir schauen dürfen ist die elfjährige Riley. Und das was alles in ihrem Kopf vorgeht, wird kindgerecht animiert. So begegnen uns die personifizierten Grundemotionen Freude, Trauer, Wut, Ekel und Angst als kleine Piloten in der Steuerzentrale von Rileys Hirn. Freude erinnert an eine golden-leuchtende, kleine Fee, im Original übrigens gesprochen von Amy Poehler. Wut ist beispielsweise ein kastenförmiger roter Geselle, der gerne dazu neigt in Flammen aufzugehen – Choleriker at its best. Ekel ist ein bisschen Etepetete und Angst passenderweise schreckhaft. Und Trauer – ja, Trauer ist sehr pessimistisch und antriebslos. Meistens dominiert die Freude in Rileys Leben, aber dann kommt der Umzug. Eine neuer Ort, die Freunde verlassen, eine neue Schule. Und es wirkt so, als ob alle Freude aus Rileys Leben gewichen wäre. In ihrem Kopf versuchen Freude und die anderen kleinen „Piloten“ den Grund dafür zu finden, verlieren dabei aber einige von Rileys wichtigsten Erinnerungen. Freude und Trauer machen sich auf die Suche und wollen sie wieder zurückbringen, damit Riley wieder fröhlich sein kann. Dabei verstricken sie sich in alle möglichen Bereiche des menschlichen Hirns.
Das Stichwort Umzug ist wirklich eines der größten Horrorszenarien im Leben der meisten Kinder. Man sagt, selbst Erwachsene sind davon nicht gerade begeistert 😉 Der liebevoll in Szene gesetzt 3D-Animationsfilm setzt daher auf altbekannte Motive, deren Ausgang jeder eigentlich schon kennt. Erster Schultag: Angst. Dreckiges, dunkles, neues Zimmer im dreckigen, komischen neuen Haus: Ekel. Daher kann der Film am meisten damit überraschen, was sich in Rileys Kopf abspielt. Das ist wie man es von Pixar erwartet: sowohl fachlich gar nicht blöd gemacht, als auch sehr kindgerecht animiert. Durchaus denkbar, dass der Film seinen Lehrauftrag erfüllt und Kindern bewusst macht, was ein Hirn alles kann und schultern muss und wie wichtig das Zusammenspiel der Emotionen ist. Es gibt eben nicht immer nur Freude – auch Ekel, Angst und Trauer haben ihre Legitimation. Eltern macht der Film sicherlich bewusst, was für Ängste in so einem Kinderkopf unterwegs sind und wie groß die Hürden des Lebens wirken, insbesondere, wenn man noch klein ist. Für die erwachsenen Zuschauer sehe ich nicht ganz soviel langanhaltendes Unterhaltungspotential. Man schmunzelt mal, wenn in Rileys Kopf der per Automat generierte erste Freund im Idealmaß auftaucht (und wie eine ziemliche Flachzange aus einem Musikvideo wirkt) oder Freude und Trauer immer mal wieder dem Déjà-Vu begegnen. Für mich waren die witzigsten Szenen, die in denen man auch mal in die Köpfe der anderen schaut und sieht was da so in der Kommandozentrale los ist 😉 Alles steht Kopf ist ein liebevoll gemachter Film, der aber darüber hinaus wenig Substanz bietet und einige Logiklücken mit seiner eigenen, kindgerechten, bunten „Gehirn-Mythologie“ überspielt. In punkto Animationstechnik ist nicht viel dazu gekommen, was nicht schlecht sein muss. Das Level der pixarschen Animationen ist gewohnt gut. Das Character Design gefällt mir persönlich wieder etwas besser. Ich bin nur bedingt ein Fan von den 3D-animierten-weichgezeichneten-Knetköpfen, aber hier sind sie durchaus gut gelungen. Ohne den versteckten Lehrauftrag ist Alles steht Kopf aber reichlich dünn in punkto Geschichte und Wirkung im Gegensatz zu grandiosen, unvergessenen Vorgängern wie Oben. Charmanter Film, aber zweifelhaft, ob er es in das Langzeitgedächtnis der meisten schafft.
Alles steht Kopf (OT: Inside Out), USA, 2015, Pete Docter/Ronaldo del Carmen, 94 min, (7/10)
Anomalisa
Motivationstrainer Michael Stone (im Original gesprochen von David Thewlis) ist auf Dienstreise um aus seinem Ratgeberbuch vorzulesen. Er spricht mit einigen Leuten. Einem Mann im Flugzeug, einem Taxifahrer, einem Rezeptionisten. Dem Zuschauer fällt aber spätestens beim Telefonat mit seiner Frau und seinem Sohn auf, dass alle Menschen in Michael Stones Leben mit derselben Stimme sprechen. Es ist Tom Noonans (Blutmond; Synecdoche, New York), er ist quasi überall! Dementsprechend wird das Drama des Michael Stone schnell klar. Alle Personen und Bindungen in seinem Leben wirken gleich und austauschbar, nichts wirkt echt. Er ist einsam. Dann hört er eines Tages eine Frauenstimme, die anders ist als alle anderen. Er rennt die Hotelflure ab und will diese Person finden. Und da ist sie: Lisa (Jennifer Jason Leigh). Die Anomalie in seinem Leben. Anomalisa.
Ich habe Anomalisa in meinen 16 guten Gründen sich auf 2016 zu freuen genannt, würde den aber nach der Sichtung am liebsten aus der Liste streichen. Der Film hat wunderbare und tragische Momente, die mich berührt haben. Beispielsweise als Michael Lisa bittet für ihn zu singen oder als sie beginnen Pläne für die Zukunft zu schmieden. Aber vieles davon ist hinfällig, da die Figur Michael Stone sehr zwiegespalten ist. Er ist sich bewusst, dass in seinem Leben etwas nicht rund läuft, tut aber nichts dagegen. Er ist Motivationstrainer und mit Psychologie sicherlich vertraut, gesteht sich seine eigene Wahrnehmungsstörung aber nicht ein. Die Beziehung zu seiner Frau erklärt er als gescheitert, beendet es aber nicht und ruft stattdessen auf Dienstreise eine alte Bekannte an, mit der er ins Bett steigen will. Selbst Lisa überredet er zum Sex. Der Mangel an emotionalen Ausdrücken der Stop-Motion-Figuren schafft es nicht vollkommen das Drama der Figuren rüberzubringen – unser Hauptcharakter wirkt einfach kalt. Lisas Emotionen kommen da besser rüber.
Dieser Mangel an Empathie und Sympathie ist schade, denn die Zutaten von Anomalisa sind nicht schlecht. Sowohl die Sprecher sind überzeugend, als auch die satirischen charlie-kaufmanschen Aspekte der Geschichte. Man nehme alleine den Umstand, dass der Motivationstrainer sein eigenes Leben hasst und tief verstört ist. Sehr schwierig ist die Form der Animation. Die Figuren sind Stop-motion-animiert mit abnehmbaren Gesichtern. Daher haben sie Linien an Augen und am Übergang zum Hals. Dieser Umstand wird auch einige Male genutzt, um die Verfremdung Michaels Stones von sich selber darzustellen, als er sich seines abnehmbaren Gesichts bewusst wird. Je nachdem wie sehr man Animationen mag, kann das für einen funktionieren. In Reviews anderer Leute habe ich bereits gelesen, dass bei vielen der Uncanny-Valley-Effekt zugeschlagen hat. Heißt: sie empfinden die Figuren als künstlich und gruselig, obwohl sie sehr menschlich modeliert sind, aber eben noch nicht menschlich genug. Das war bei mir zwar nicht der Fall, aber mich hat sehr gestört, dass die Hauptcharaktere sehr detailliert modelliert wurden, während die Nebendarsteller sehr puppenhaft rüberkommen. Die kommen ohne Mimik- und Gestik aus, weswegen sie trotz des enormen Aufwands den Stop-Motion mit sich bringt für mich nicht gelungen wirken. Man kann hineininterpretieren, dass das Absicht ist, um zu untermauern wie identitätslos alle auf Michael Stone wirken (der Hotelname gibt ein Hinweis auf Stones Problem). Aber das ist reininterpretiert – das Stilmittel an sich ist mehr als inkonsequent. Der Film ziert sich mit der Schlagzeile „der menschlichste Film des Jahres“ und ich muss sagen: es ist maximal der traurigste Film des Jahres, handelt er doch von dem Unvermögen eines unleidlichen Mannes sein Leben in den Griff zu kriegen. Eines Mannes der Hilfe braucht, aber keine annimmt. Witzig ist, dass der Trailer den Eindruck vermittelt, dass der Film lebensbejahend und positiv ist, dabei ist er eher das Gegenteil.
Anomalisa, USA, 2015, Charlie Kaufman/Duke Johnson, 90 min, (6/10)
Erinnerungen an Marnie (思い出のマーニー)
Erinnerungen an Marnie handelt von der zwölfjährigen Anna, die bei ihrer Pflegemutter in Sapporo (Japan) lebt. Sie hat Asthma und ihr Zustand verschlimmert sich immer mehr. Aber auch ihr emotionaler – sie zieht sich sehr zurück und ihre Mutter weiß sich nicht zu helfen, Anna redet nicht mir ihr darüber. Sie schickt das Mädchen in den Norden Hokkaidōs, um sich dort in dem Küstenstädtchen an der frischen Luft bei Verwandten zu erholen. Da Anna eine Mauer um sich errichtet, die mit Nähe nicht einzureißen ist, hilft vielleicht Abstand. Aber was auch immer sie bedrückt, geht mit ihr in den Norden. Sie findet erst Ablenkung, als sie eine alte Villa entdeckt, die verlassen zu sein scheint. Tagsüber kann man im seichten Wasser zu der Villa laufen, nachts bleibt der Weg durch die Flut versperrt. Eines abends rudert sie zu der Villa und trifft dort ein Mädchen, das sich als Marnie vorstellt und mit der sich Anna auf Anhieb versteht. Aber wo ist Marnie tagsüber, wenn das Haus doch leer zu stehen scheint?
Wie bereits zuvor bei Stoffen wie Arrietty – Die wundersame Welt der Borger basiert der Film auf einer europäischen Kinder- bzw. Jugendbuchvorlage. Diesmal stand When Marnie Was There von Joan G. Robinson Pate für die Geschichte. Regiesseur Hiromasa Yonebayashi führte auch tatsächlich 2010 selber bei Arrietty – Die wundersame Welt der Borger Regie, zuvor arbeitete er als Animator und war u.a. an zahlreichen Ghibli-Produktionen beteiligt, aber auch an Klassikern wie Jin-Roh. Erinnerungen an Marnie ist der vorerst letzte Kinofilm des weltbekannten Animationsstudios Ghibli, das sich gerade in einer Umstrukturierungsphase befindet. Bevor nicht klar ist, wie es für das Studio weitergeht, sind keine Filme zu erwarten. Der nun vorerst letzte Film behandelt im Grundkern eine Geschichte, die man prinzipiell schon kennt. Unverstandenes Kind, das seinen Lebensmut durch eine Begegnung wiederfindet. Die Begegnung mit der mysteriösen Marnie würzt die Geschichte aber zusätzlich. Man glaubt als Zuschauer zu ahnen woraus es hinausläuft, das ist aber tatsächlich noch nicht die ganze Wahrheit. Die zwei Mädchen sind auf ihre Art von der Welt verletzt worden und das Band, was sie verbindet ist ein besonderes und das überträgt sich auf den Zuschauer. An Annas Beispiel spürt man wie tief ihr durch Ablehnung geprägter Schmerz sitzt – ein zutiefst menschliches Gefühl, das jeder kennt. Der Kummer, der an Anna nagt, wäre eigentlich leid aus der Welt zu schaffen, aber das sieht man meistens nur als Außenstehender so – wer den Kummer hat, hat die Qual. Und die treibt Anna zu Handlungen, die sie hinterher oft bereut und sich sich selbst dafür hasst. Bittere Situationen, die jeder kennt, oder? Die Animationen transportieren das bestens durch Mimik und Gestik. Das mysteriöse Haus, das zu Entdeckungen einlädt, möchte man am liebsten selber einmal besuchen und mit dem stillen Opa über den See zu Marnie rudern. Obwohl der Film vielleicht sogar etwas trauriger und negativer beginnt, als man es von den meisten Ghibli-Filmen gewöhnt ist, ist die letztendliche Aussage positiv, rührend und stimmt einen melancholisch. Für einige Zuschauer wird der Film vielleicht kitschig sein, für andere trifft es mitten in einen wundern Punkt und schafft vielleicht etwas Linderung. Ein wundervoller Film.
Erinnerungen an Marnie (OT: 思い出のマーニー), Japan, 2014, Hiromasa Yonebayashi, 103 min, (10/10)
Erinnerungen an Marnie zeigt, dass man Geschichten mit Motiven wie Ablehnung, Einsamkeit und Ängsten auch sehr vereinnahmend und lebensbejahend erzählen kann. Ghibli macht förmlich Mut und gibt einem was mit auf den Weg, das noch eine Weile nach dem Anschauen nachhallt. Das konnte ich bei den anderen beiden Filmen so nicht beobachten. Anomalisa ist für mich ein weiterer Film, der Einsamkeit behandelt, aber keine Auswege aufzeigt – vielleicht bestenfalls noch auf das Dilemma psychischer Probleme aufmerksam macht. Was, wenn die Leute es nicht erkennen oder sich nicht helfen lassen? Um die interessante Grundidee ist sehr schade. Trotz allem befürchte ich, dass Alles steht Kopf letztendlich den Goldjungen abräumen wird, da die kindgerechten, amerikanischen Pixar-Späße das Lieblingskind der Academy sind. Welche der hier vorgestellten Filme habt ihr gesehen? Und wie habt ihr sie empfunden? Wann ist euch zuletzt ein Trailer oder eine Marketingstrategie für einen Film aufgefallen, die so gar nicht stimmig war oder nicht im mindesten zum Film passte (wie beispielsweise bei Anomalisa)? Und beeinflusst euch das? Welcher Animationsfilm macht eurer Meinung nach das Rennen?
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