Fantastischer Film: Begierde (1983)

Miriam und John Blaylock (Catherine Deneuve, David Bowie) ernähren sich von menschlichem Blut. Der Begriff Vampir ist hier unnötig. Es ist nicht klar, was sie sind. Da sind keine Reißzähne. Sie meiden das Sonnenlicht zwar, aber sie gehen trotzdem nach Draußen. Sie sind unsterblich, das ist das einzige was wir wissen. Und insbesondere Miriam scheint schon lange zu leben und hatte einige Begleiter und Begleiterinnen, von denen ihr nicht alle geblieben sind. Als John eines Tages nicht mehr schlafen kann und altert, ahnt er, dass seine Zeit vorüber ist. Er sucht die Forscherin Dr. Sarah Roberts (Susan Sarandon) auf, die sich mit der inneren Uhr und dem Thema Unsterblichkeit beschäftigt. Anfangs glaubt sie ihm nicht.

Den Film umweht die Atmosphäre eines Arthouse-Streifens, der voll Philosophie, Melancholie und Erotik nur so sprüht. Solche Filme wurden 1983 gemacht? Großartig! Wenn John alias David Bowie in Dr. Roberts Wartezimmer wartet und sprichwörtlich verfällt, fühlen wir uns daran erinnert wie oft wir schon in einem Wartezimmer das Gefühl hatten hier auch Lebenszeit zu vergeuden. Eine schon fast brutale Metapher. Andererseits wirkt es unfair und aufrüttelnd und macht wütend, dass er seine verbleibenden Stunden dort zubringen muss – nicht im übertragenden Sinne, sondern wortwörtlich. Und dann ist da noch die traurige Gewissheit, dass der große David Bowie, der John verkörpert, dieses Jahr von uns gegangen ist.

Das sind viele Emotionen, die der Film mit seinen prägnanten Bildern und seiner melancholischen, eleganten Schönheit weckt. Es rührt einen zutiefst wie bitter Miriam und John hinnehmen müssen, dass ihre Ewigkeit keine solche ist. Und noch schlimmer die Erkenntnis, dass der Verfall von Miriams Geliebten nur äußerlich ist, ihre Seele aber unsterblich ist und dazu verdammt in einer Mumie dahinzuvegetieren. Und wie Miriam das hinnimmt. Catherine Deneuve ist so dezent brutal, mal tragisch bedrückt, dass es in ihrer gelebten Eleganz kaum auffällt. Man kommt als Zuschauer zu keinem Schluss – ist sie auch ein Opfer oder eine kaltschnäuzige Bestie hinter einer mondänen Fassade? Ihr nuanciertes Schauspiel lässt den Zuschauer zu jeder Zeit denken, dass sie ein Geheimnis hat, dass sie uns nicht mitteilt. Gibt es solche Schauspielerei heute noch? Ich glaube fast – nein.

Für immer und ewig, das haben sie sich gegenseitig versprochen – aber gilt das nicht für die Liebe? Gilt das nicht in Krankheit und Verfall? Können wir unsere Liebe wegschmeißen? Was ist das für ein Leben? Begierde wirft moralische Fragen auf. Handelt Miriam wie ein Monster, indem sie sie fallen lässt? Andererseits sind die Liebhaber Miriams, die der Ewigkeit wider Erwarten nicht stand hielten, kaum lebensfähig. Sie sind so greis und haben so morsche Knochen, dass man befürchtet ein Windhauch trägt sie davon. Im krassen Gegensatz dazu steht mit welcher Lust John und Miriam anfangs ihre Opfer in einem Club aufgabeln und ihnen hinterher in betörenden Bildern die Kehlen aufreißen. Im Original heißt der Film The Hunger und der deutsche Titel Begierde ist gar nicht so weit weg vom Thema. Beide Titel beziehen sich hier nicht auf das Blut, sondern auf Leben, Liebe und Jugend. Vor Allem aber den unstillbaren Drang zu leben und die wortwörtliche Lebenslust, aber auch die Agonie und Verlust. Ein Film – ein Meisterwerk. Der Retro-Trailer hat Recht, der Film ist sinnlich, brutal, elegant und beklemmend unangenehm in seiner moralischen Konsequenz.

Begierde (OT: The Hunger), UK, 1983, Tony Scott, 93 min, (10/10)

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

13 Antworten

  1. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hey cool! 😀 Ich habe ihn erst vor kurzem gesehen, aber er ist quasi sofort ein Lieblingsfilm geworden, der wahrscheinlich lange auf der imaginären, unsortierten Liste meiner Lieblingsfilme sein wird. Neulich habe ich auch American Horror Story S5 gesehen – da spielt Lady Gaga scheinbar eine Hommage an Miriam. Es wirkte aber insgesamt ein bisschen einfacher als Begierde und etwas weniger glaubwürdig.

  2. Sehr stimmungsvoller, ästhetisch inszenierter Film.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mensch, es kennen den ja scheinbar doch ein paar Leute 😉 Schön! Ich hatte den Eindruck, dass er ziemlich untergegangen ist, weil ich in der Blogosphäre niemanden so wirklich über ihn reden gehört habe/gelesen habe.

      1. Meine Ex-Freundin ist ein großer David-Bowie-Fan und daher haben wir uns immer wieder Filme, in denen er mitspielte, angesehen. Bowies Filmografie ist ähnlich spannend wie seine Diskografie.

  3. Beklemmend trifft es wohl ganz gut. 😉 Konsequent wäre wohl auch nicht untreffend. Aber der Tod als einziger Hoffnungsträger? Was für eine bittere und traurige Botschaft.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, das stimmt, das ist eine sehr heftige Aussage. Genauso wie die Frage, ob Miriam ihre verflossenen, gebrechlichen Liebhaber nicht töten könnte. Und die Frage, ob sie es wirklich nicht kann (ohne selber draufzugehen) oder ob sie es einfach nicht will. Und will sie es einfach nicht, weil es ihr zu sehr weh tut oder will sie es nicht, weil sie sich wohl fühlt bei dem Gedanken sie alle auf dem Dachboden zu haben? Das wäre makaber … viele Fragen, die ganz interessant zum diskutieren sind.

      1. Vielleicht sind es die – wenn auch nun schwachen – Bänder der Liebe, die Miriam am Leben halten und in dem Moment in dem sie diese zerreißt, weil sie das Elend nicht mehr erträgt, verliert sie ja auch tatsächlich ihr Leben. Es bleibt ihr das gleiche einstige Schattendasein ihrer verblassten Lieben und der letzte Faden der sie am Leben hält ist das ungestillte Verlangen nach Sarah.
        Sarah überlebt und man fragt sich wer die junge Dame mit dem Geigenkoffer ist. Zu subtil und daher nur vage sind mir viele Eindrücke des Films.

  4. Ich liebe den Film, kann mich aber erinnern, dass er damals bei den Kritikern nicht gut ankam (was ja eigentlich auch egal ist, mich aber irritierte). Er ist einfach besonders – im positiven Sinn 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Als der Film rauskam, war ich noch Quark im Schaufenster. Aber ich habe als Teenie irgendwann eine Kino-Sendung im Fernsehen gesehen. Damals gab es sowas wenigstens noch. Wo sie über aktuelle Filme gesprochen haben, Interviews gezeigt haben, Trailer und auch mal Filme besprochen haben, die nicht ganz aktuell sind. Da fand ich die Ausschnitte extrem faszinierend. Ha – da wusste ich noch nicht mal wer Catherine Deneuve ist. Hätte echt nicht erwartet, dass er bei den Kritikern nicht ankam. Heute wirkt er so zeitlos, elegant und melancholisch. So als ob er genau das glänzende Vorbild wäre, was Indie-Filme kopieren wollen.

      1. Ich glaube das Problem war die Handlung in Verbindung mit der Entschleunigung. Den Kritikern war das zu wenig Substanz :))) na ja Kritiker eben 🙂

  5. Den habe ich noch nicht gesehen, steht aber gefühlt schon eine Ewigkeit auf meiner Agenda. Ist aber auch wieder so ein Stimmungsfilm, der nicht immer funktioniert, daher hatte ich bisher wohl noch nicht die Muse dafür.

  6. […] wahrscheinlich Lady Gagas Charakter und ihre verschiedenen Liebhaber eine Hommage an den Film The Hunger (dt.: Begierde, 1983) sein. Allerdings wirkt der ganze Pomp und Prunk und die Krokodilstränen der […]

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