Wenn ich so überblicke, was ich dieses Jahr für Serien geschaut habe und welche mich besonders begeistert haben, sehe ich da eine Tendenz zur Vergangenheit. Neulich erst war es Babylon Berlin und weiter zurückgeblickt, haben mich „The Americans“ wieder sehr begeistert und „Halt and Catch Fire“. Der gemeinsame Nenner der Serien ist, dass sie vor vielen Jahrzehnten spielen. Insbesondere die heute vorgestellten haben die USA als Schauplatz und sind am ehesten dem Drama-Genre zuzuschreiben, wobei bei „The Americans“ die Grenzen verschwimmen – schließlich ist es eine Spionage-Serie. Was ist dran, dass mir diese Serien so besonders gut gefallen? Es gilt – wie immer – spoilerfrei für die Staffel, die ich reviewe. Nicht spoilerfrei für vorangegangene Staffeln.
„The Americans Season 4 Extended Promo (HD)“, via Samy Bgs (Youtube)
„The Americans“ Season 4
Wenn es etwas gibt, was die kreativen Köpfe hinter The Americans gut beherrschen, dann dürften das wohl Cliffhanger sein. Das Ende der dritten Staffel war das bisher vermutlich zermürbendste: Paige (Holly Taylor) hat ihrem Pastor erzählt, dass ihre Eltern russische Spione sind. In der vierten Staffel müssen die „Jennings“ nicht nur aufgrund Paiges Einknicken und Zweifeln fürchten aufzufliegen. The Americans fühlt sich wie Dexter in seinen Glanzzeiten an. Die Schlinge zieht sich am Hals unserer Lieblingscharaktere aus allen Richtungen zu und die Spannungsschrauben sind festgezogen. Elizabeth (Keri Russell) und Philip (Matthew Rhys) versuchen vor Pastor Tim gar nicht zu leugnen, dass sie Russen sind und müssen den Spagat wagen sich einerseits glaubhaft zu erklären, nicht aufzufliegen und andererseits Paige weiter auf ihrer Seite zu wissen. Zeitgleich macht sich Philip seinen Nachbar Agent Beeman (Noah Emmerich) zum Feind und das FBI wird misstrauisch und ahnt, dass in ihren Reihen ein Maulwurf unterwegs ist, was auf die eine oder andere Art zum vorübergehenden(?) Ende der wilden „Ehe“ zwischen Martha (Alison Wright) und Philip führt. Als ob das alles nicht schon genug Herausforderungen wären, haben Elizabeth und Philip aber auch noch ein „Tagesgeschäft“ und werden darauf angesetzt sich mit einem anderen KGB-Agenten zu treffen. „William“ (Dylan Baker) arbeitet in einem Labor, durch das er Zugriff auf biologische und chemische Waffen hat und die Beschaffung eben dieser bringt die Jennings in immense Gefahr und lässt sie ein weiteres mal hinterfragen was sie tun. Nebenbei hat sich Nina (Annet Mahendru) in der Sowjetunion und Quasi-Gefangenschaft einige Privilegien verdient und wird leichtsinnig. Die vierte Staffel der Serie steckt voller starker Nebenhandlungen und -charaktere. Besonders positiv aufgefallen ist hierbei Dylan Baker als William, der einen Typus Spion verkörpert, der zwar seine Aufgabe erledigt, aber im Grund raus will und sein Leben schon lange nicht mehr für lebenswert hält. Seine Beziehung ist im Laufe der Zeit in die Brüche gegangen, seine Partnerin wieder in der Sowjetunion und er schlägt sich alleine durch. Hält es für unmöglich mit einer Person zusammen sein, die nicht aufgewachsen und moralisiert wurde wie er. Dazu kommt, dass sein Kontakt zu Bio-Chemischen-Waffen so seine Auswirkungen auf ihn hat und ihn umso mehr „eines normalen Lebens“ beraubt. Und so fristet er ein graues Dasein, dessen er sich schmerzlich bewusst ist. Ist er bereits zwei, drei Schritte weiter als Elizabeth und Philip? Und werden sie so enden wie er?
„The absence of closeness makes you dry inside“ William
Nun ist es nicht so, dass die Nebencharaktere unsere „Jennings“ an die Wand spielen – Keri Russell und Matthew Rhys sind immer noch ein unschlagbares Gespann. Aber ihre Geschichte besteht in dieser Staffel umso mehr aus Stress und sie werden wieder einmal an einen Punkt geführt, an dem man meint, dass sie jetzt so langsam mal aufhören wollen. „Dieses Mal steigen sie aus. Laufen weg.“ Und dann vielleicht doch nicht. Trotz Allem. Und dieses Mal ist es wirklich viel, was sich um sie herum bewegt. So mit den Herzen der Zuschauer zu spielen ist inzwischen redundant. In den verbleibenden zwei Staffeln sollte es eine Veränderung geben, irgendeinen Fortschritt. Hoffentlich einen, der die „Jennings“ nicht zerstört. Vielleicht ist es dieses gleichbleibende Muster, dass die Handlungen um die Nebencharaktere so stark in den Vordergrund treten lässt. Da gibt es viel Fortschritt, auch wenn der nicht glücklich macht. Wobei es da natürlich auch noch Paige gibt und die gewiefte Art und Weise wie Elizabeth und Philip sie versuchen auf ihre Seite zu ziehen, wenn nicht sogar coachen für eine Rolle, die Paige bekleiden soll und ihre Eltern sich noch uneins sind, ob sie das für ihr Kind wollen. Ein wahres Game of Thrones der Spionageserien ist The Americans aber wohl mit dem drastischen Ende der einen oder anderen Nebenhandlungen. Ob es Nina oder Martha oder jemand anderes ist, der stirbt, verrate ich nicht. Aber es stirbt ein Nebencharakter – und das auf eine so kalte und erbarmungslose Weise, dass der Schock saß so wie man es eben nur von eben genannter Fantasy-Serie kennt. Allerdings mit der bitteren Gewissheit, dass das vermutlich wirklich an der Tagesordnung war in diesem Geschäft und dieser Politik und vielleicht noch immer ist in Teilen der Welt. Der sich wiederholende Konflikt der „Jennings“ und das mich ambivalent stimmende Ende der Staffel sind wohl aber der Grund, warum die Staffel einen Tick hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Nichtsdestotrotz: ich bin gespannt was danach kommen möge.
(8/10)
„Halt and Catch Fire“ Season 3
Nachdem Mutiny mit (fast) vollständiger Belegschaft ins Silicon Valley umgezogen ist, haben Cameron (Mackenzie Davis), Donna (Kerry Bishé) und Gordon (Scoot McNairy) einen Shift ihrer Rollen einerseits und andererseits Probleme zu skalieren. Auch nachdem der Mainframe angeschafft ist. Mutiny muss sich weiterentwickeln und braucht dafür Geld. Investoren müssen her, genauso wie neue Ideen und auch neue Kollegen. Als diese inbesondere Cameron und ihre Entscheidungen in Frage stellen während Donna als Business-Lady und Chefin auftritt, entzweien sich die Frauen langsam und schmerzlich. Gordon hingegen arbeitet augenscheinlich für Donna, was seinem Ego wenig gut tut. Zeitgleich hat der noch einen Rechtsstreit mit Joe MacMillan (Lee Pace) offen. Eine weitere unbeglichene Rechnung. MacMillan ist inzwischen der schwerreiche Kopf eines Unternehmens, das Antivirensoftware entwickelt und vertreibt. Das erste, der Vorreiter. Zu dumm nur, dass dies auf Gordons Mutiny-Hack basiert. „Er hat es schon wieder getan“ – der Gedanke beschleicht alle. Redundant? Als sie aber dem geläuterten und seit neustem esoterisch anmutendem MacMillan begegnen, führt das die Wege der Vier früher oder später wieder zusammen. Und vielleicht erfinden sie aus Versehen das Internet. (Achtung, leichte Übertreibung 🙂 )
„AMC’s Halt and Catch Fire Season 3 Promo“, via vinylm (Youtube)
Der erhoffte Wandel hat mit dem Umzug ins Silicon Valley stattgefunden, aber auf eine Weise, die Cameron wenig gefällt. Mutiny ist immer weniger ihr Unternehmen. Sie wird immer öfter überstimmt, sie hat nicht mehr das Sagen und fühlt sich deplatziert. Cameron wurde seit ihrer Sturm-und-Drang-Phase in Staffel 1 Stück für Stück auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und wird auf sehr schmerzhafte Art in der dritten Staffel erwachsen, während Donna ihre Skrupellosigkeit entdeckt. Sie trifft unbequeme und unliebsame Entscheidungen um erfolgreich zu sein. Hat sie der MacMillan-Effekt gepackt? Für den Zuschauer stellt sich eine unschöne Wiederholung ein. War es in früheren Staffeln Joe MacMillan, der eine Unternehmung zugrunde gerichtet hat, so sieht man hier Mutiny mitsamt Donnas und Camerons einst dynamischer Beziehung untergehen. Genauso wie MacMillan und Gordon eine unerwartete Allianz bilden. Was sich zwischen den Frauen abspielt, macht mich traurig. Als Frau in der IT-Branche habe ich mich gefreut in einer Serie wie dieser Frauen zu sehen, die die IT-Branche rocken. Und dann …? Zickenkrieg und entzweien. Wiederholt sich die Geschichte? Aber es fühlt sich überraschenderweise nicht so an. Die dritte Staffel zeigt das Business als das was es ist. Wer sich den großen Erfolg erhofft und viel riskiert, kann schnell abstürzen. Und die beste Weisheit überhaupt: Erfolg und Misserfolg verändert Menschen. Die besten Beispiele dafür dürften Donna sein, die mehr will als sie auf ihren Schultern tragen kann und MacMillan, der plötzlich eine seltsame Mischung aus Steve Jobs Personifizierung und John McAfee ist, gepaart mit einem vor Weisheit und innerer Ruhe strahlendem Buddha. Es ist unglaublich spannend diesen Shift in den Charakteren zu beobachten. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei auch der junge und geniale Entwickler Ryan (Manish Dayal), der viele der initialen Charaktereigenschaften der Vier vereint und vielleicht gerade deswegen verbrennt. Ryan, der bei Cameron nicht genug Gehör findet, den Gordon nicht fordern kann und der zu MacMillan überläuft und dessen Entwicklung den Zuschauer nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.
Selbstverständlich profitiert Halt and Catch Fire wieder von seinem Retro-Charme und seinem Verständnis für IT. Immerhin spielt es in einer Zeit und adressiert ein Geschäft, das zu der damaligen Zeit boomte: IT. So werden Nerd- und Geek-Herzen reihenweise glücklich gemacht, wenn ganz beiläufig die Gretchenfrage gestellt wird: heißt es „Gif“ oder „Jif“? Goto als böse erklärt wird (recht haben sie), Objektorientierte Programmierung durchstartet und fleißig Super Mario gespielt wird. Aber es lebt auch Probleme der damaligen Zeit, für die heute noch keine Lösung gefunden wurde wie die schmutzigen Seiten des Geschäfts und des Valleys: Abwerbungen, Diskriminierung, Sexismus. Willkommen da wo das Business gemacht wird und Träume an einem Tag realisiert werden, am nächsten aber platzen wie nicht gedeckte Schecks. Die dritte Staffel eckt aber auch mit einem Zeitsprung an, der etwas sehr heftig geraten ist und die Auswirkungen der jüngsten Entwicklungen schmerzhaft schnell abkanzelt und einen krassen Paradigmenshift für die letzte und finale Staffel bedeutet. Dass man das „gute alte“ Halt and Catch Fire der ersten beiden Staffeln dann noch kaum wiedererkennt – schwierig. Aber: was für eine Entwicklung.
(8/10)
Und was finde ich jetzt so faszinierend an Serien, die in anderen Jahrzehnten spielen? Dass man eine Referenz hat und dass man Einsicht erhält. Wenn man in der Schule über den kalten Krieg spricht oder die Zwanziger Jahre, dann vermittelt das nicht zwingend die Atmosphäre und das Lebensgefühl der damaligen Zeit. In Serien, wo Budget für Kostüme und ansprechende Handlung da ist, sieht das anders aus. Man hat Identifikationspunkte. Seien es die Events, die in „The Americans“ erwähnt werden, die helfen die Serie zeitlich einzuordnen oder die ganzen Querverweise auf IT wie in „Halt and Catch Fire“ – es birgt Aha-Effekte und hat Wiedererkennungswert. Ja, ich mag solche Serien! Und bei beiden bin ich sehr auf die folgenden Staffeln gespannt, im Falle von „Halt and Catch Fire“ sogar die letzte. Wobei ich gestehen muss, dass gerade in der Serie Dinge in der dritten Staffel passiert sind, die ich mir wirklich anders gewünscht hätte und von denen ich nie erwartet hätte, dass sie passieren. Auch „The Americans“ hat in der vierten Staffel einige Handlungen (und Charaktere) mit krasser Härte beendet. Auch wenn das auf die eine oder andere Weise absehbar war, war ich geschockt. Wie ging es euch damit? Habt ihr die Staffeln gesehen? Und wie habt ihr sie aufgenommen?
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).
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