Irgendwann im neunzehnten Jahrhundert wird die schottische Witwe Ada McGrath (Holly Hunter) von ihrem Vater mit dem Briten Alistair Stewart (Sam Neill) verheiratet. Stewart stört sich angeblich nicht daran, dass Ada nicht spricht. Es ist nicht so, dass sie physisch nicht dazu in der Lage wäre. Sie hat einfach irgendwann aufgehört. Aus ihrer vorherigen Ehe hat Ada eine Tochter, Flora (Anna Paquin), die mit ihr in Gebärdensprache spricht. Aber für Ada ist ihr Kommunikationsmittel das Piano. Es ist ihre Stimme, ihre Geschichte, ihr Seelentröster, es macht sie glücklich und lebendig. Stewart, ihr künftiger Ehemann, lebt aber in Neuseeland. Ada, Flora und v.A. das Piano dort hinzubekommen ist ein aufwendiger Akt. Da Stewart tief im neuseeländischen Wald lebt, verbleibt das Piano erst einmal am Strand, so wie man es vom Boot gehievt hat. Die neuen Lebensumstände, die kritischen Blicke der hinterwäldlerischen und misstrauischen Bewohner der britischen Siedlung, die Entfremdung ihrer Tochter, die arrangierte und lieblose Ehe – für Ada ohne das Piano kaum auszuhalten. Der Brite George Baines (Harvey Keitel) sieht in Ada mehr besonderes als ihr Ehemann. Es gelingt ihm das Piano wenigstens bis zu seinem Haus bringen zu lassen und er erwirbt es von Stewart, gewährt Ada Zeit darauf zu spielen. Während sie sich erpresst und um ihr Hab und Gut betrogen fühlt, entwickelt sich eine Beziehung zwischen ihr und Baines, die das Gefüge der kleinen Siedlung empfindlich stört.
„The Piano (1993) Official Trailer – Holly Hunter, Anna Paquin Movie HD“, via Movieclips Classic Trailers (Youtube)
Das Piano klingt in der Zusammenfassung vorhersehbar und als ob es einfachen Mustern folgt, beinhaltet aber soviel mehr als das. Es ist die Geschichte von Frauen, die keinen Besitz, keine Stimme (im wahrsten Sinne des Wortes) und keine Entscheidungsfreiheit haben. Ada wird ohne ihre Zustimmung verheiratet. Das Piano wird von ihrem Ehemann an Baines verkauft, obwohl er mitbekommen haben müsste wie wichtig es ihr ist. Die anderen britischen Einwanderer sind so borniert, dass sie weder Verständnis für die einheimischen Māori und ihre Bräuche haben, obwohl sie in ihr Land eindringen und diejenigen sind, die sich zumindest in gewissem Maß anpassen müssten, noch haben sie Verständnis für Menschen, die wie Ada andere Gebaren haben. Alles was anders ist, hat keinen Platz in ihrem Weltbild. Männer wie Stewart kennen Begierde, aber nicht Zuneigung. Eine Frau wie Ada hat ihrer Bestimmung als Ehefrau zu folgen. Vielleicht ist das der Grund, warum Ada schon als Kind aufgehört hat zu sprechen. Weil sie eh keine Stimme hat verglichen zu der Gesellschaft, deren Stimme soviel lauter ist.
Die Leistung des Casts ist großartig. Holly Hunter ist als starrköpfige Ada wie eine Naturgewalt. Die Chemie zwischen ihr und Harvey Keitel ist elektrisierend. Hunter spielte die Stücke in dem Film sogar selber, da sie das Instrument beherrscht. „Dame Elizabeth Jane Campion“ hat mit Das Piano zu Recht ihren internationalen Durchbruch gefeiert – und selber das Drehbuch beigesteuert. Belohnt wurde sie dafür mit einem Oscar. Der Score von Michael Nyman ist emotional-melancholisch und wird selbst heute noch unauffällig in alle möglichen Piano-Compilations eingeschleust. Jane Campions Film vereint soviele Motive. Eine subtil erotische Liebesgeschichte, das Bild einer restriktiven Gesellschaft, Einwanderung und Ausbeutung. Mühelos zeigt es uns nebenbei einen Ausschnitt des historischen Neuseelands und der Māori. Ein Rundumpaket an schauspielerischer Intensität, moralischer Fragestellung und Erotik.
Das Piano (OT: The Piano), Australien/Neuseeland/Frankreich, 1993, Jane Campion, 121 min
„The Piano (1993) Soundtrack by Michael Nyman“, via Shanina (Youtube)
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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