Ich wollte doch nur ins Kino. Und das am liebsten zu einer OmU oder OV-Vorstellung von „House of Gucci“, um einen Eindruck des Akzents zu bekommen, den Lady Gaga, Adam Driver, etc. für die Rollen der Guccis angenommen haben. Mein erster Versuch ins Kino zu gehen scheiterte aufgrund von „Spaziergängern“, wie sich die Gegner*innen der Corona-Maßnahmen nennen. Viele Straßen wurden blockiert und infolge dessen von der Polizei abgeriegelt, Straßenbahnen konnten nicht weiterfahren, so fiel das aus. Freiheit wollen, Freiheit nehmen, ich kommentiere das jetzt nicht, denkt euch euren teil, ich denk mir meinen. Glücklicherweise lief der Film noch etwas länger – nur dann eben dubbed. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Seit 2009 ist schon bekannt, dass Ridley Scott das Buch The House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed von Sara Gay Forden verfilmen möchte (Quelle: The Cut, 02.11.2009). Klar, dass die Familie Gucci darauf nicht so erpicht war. Schon alleine der Titel des Buches sagt einiges. House of Gucci handelt von Patrizia Reggiani (Lady Gaga), Tochter eines Fuhrunternehmers, die in den 70er Jahren zufällig auf einer Party Maurizio Gucci (Adam Driver) begegnet. Bei dem Namen kann man schon mal erschrocken aufschauen oder sich verschlucken. Einer der Guccis? Einer der Guccis! Was folgt sind Patrizias Bemühungen um ein Date mit Maurizio und der Rest ist ein Selbstläufer, wenn auch über Umwege. Sie kommen zusammen und heiraten gegen den Willen von Maurizios Vater Rodolfo (Jeremy Irons), der Patrizia unterstellt nur auf das Geld und den Namen aus zu sein. Bald schon ermutigt Patrizia ihren Mann in das Geschäft einzusteigen und dort eine neue Ära einzuläuten. Was danach beginnt ist die Dekonstruktion des House of Gucci.
„HOUSE OF GUCCI | Official Trailer #2 | MGM Studios“, via MGM (Youtube)
Es ist schon bedrückend, wieviel Glanz und Glamour, wieviele seltene Sorten, goldverzierten Stuck und Skiurlaube in St. Moritz man beiwohnt, nur um dann am Ende des Films zu lesen, dass heute kein*e „Gucci“ mehr in das Geschäftsgeschehen involviert ist. Hat man den über zwei Stunden Film beigewohnt, dann fühlt man fast eine Art Bedauern, dass die Wiedergeburt des House of Gucci nicht ohne Intrigen und Tode auskam. Der Film begleitet diese Dekonstruktion mit tollen Darsteller*innen und einem fabelhaften Soundtrack. Zwar empfinde ich den als sehr pop-lastig, aber dafür ist er schnell, wach-machend, wie mit einem Ausrufezeichen versehen.
Insbesodere Lady Gaga als Patrizia, Al Pacino als Aldo Gucci und Adam Driver fangen ihre Vorbilder optisch wie auch in Mimik, Gestik und Akzent wirklich gut ein. Jared Leto mimt Paolo Gucci als einen, der versucht sich selbst zu verwirklichen, aber auch nicht abnabeln kann. Eine Vision hat, aber keine Mittel diese durchzusetzen. Zur Familie gehören und anerkannt werden will, aber auch herausstechen möchte. Zwar lockert Paolo die Stimmung auf, aber er wirkt am weitesten entfernt von seinem Vorbild – mit dem begrenzten Wissen geurteilt, das ich über Paolo Gucci habe. Lady Gaga scheint das Ebenbild Patrizias zu sein. Da spricht man wohl von Idealbesetzung. Auch wenn ich den Akzent nur vom Trailer und wenigen Ausschnitten mit Interviews Patrizia Reggianis vergleichen kann. Sicherlich muss ein Film und seine Crew das nicht zwingend leisten, solange er sich nicht als Biografie versteht. Und House of Gucci ist keine. Weswegen man auch beim Wahrheitsgehalt Vorsicht walten lassen sollte. Ansonsten hat der Film auch entsprechendes Budget und Kulissen, aber nicht soviel inszenatorische Rafinesse wie ich erwartet hätte.
Erzählerisch lässt House of Gucci nach einem Drehbuch von Roberto Bentivegna und Becky Johnston genug Raum für die Deutungsweise, dass Patrizia ihren Maurizio vielleicht aus Liebe, vielleicht wegen der Aussicht auf das Vermögen geheiratet hat. Mit einem leichten Überhang zu letzterem. Gemäß show, don’t tell erfahren wir das nie. Fast wie im echten Leben? Was die Charakterisierung Maurizios betrifft, erlauben sich die kreativen Köpfe mehr Kniffe. Wird er sich anfangs lieber um sein Studium der Rechtswissenschaften kümmern, besteht er später schon eher darauf ein Gucci genannt zu werden. Zumindest bis zum bitteren Ende. Ridley Scott, Dariusz Wolski (Kamera) und Claire Simpson (Schnitt) sind gut darin die Mode-Aspekte einzufangen und das House in House of Gucci zu betonen. Überall Größe, Dekadenz, Geschichte, ein bisschen Pathos in Gesten und Auftritten. Tatsächlich kommt dabei die Mode sogar noch zu kurz für meinen Geschmack. Ein paar Stücke werden hervorgehoben, lediglich eine Show, der Film gehört den Personen und einem Lebensgefühl, nicht dem Produkt oder kreativen Werk. In was für eine Parellelwelt wir hier absteigen, kommuniziert die Ausstattung und der inhaltliche Fokus: Nur wenige Szenen und Augenblicke handeln nicht von Reichtum.
Es gibt eine Stelle bei einer Geburtstagsfeier, in der es wohl unter den Männern der Familie üblich ist mit viel Gerangel Rugby o.Ä. zu spielen. Da sind sie in ihren einst gebügelten Hemden, wie sie sich auf dem Boden rumwerfen und gegenseitig prügeln. Die wohl sprechenste Szene des ganzen Films. House of Gucci ist spannend, wird aber deutlich von der dem echten Leben entliehenen Geschichte und den großartigen Darsteller*innen getragen, nicht zwingend vom Film an sich.
House of Gucci, USA, 2021, Ridley Scott, 158 min, (7/10)
Vielleicht klingt das jetzt schlimm, aber „er war gut“ in meinen Augen, aber auch nicht mehr. Wie hat euch „House of Gucci“ gefallen? Was hat euch daran überzeugt, was nicht? Desto mehr Ausschnitte aus dem Film ich im O-Ton sehe, desto mehr ärgere ich mich, dass ich nicht den ganzen im Original im Kino sehen konnte. Aber warum über vergossene Milch jammern. In welchen Kategorien würdet ihr den Film für einen Oscar nominieren? (Denn dass er für irgendwas nominiert wird, erahne auch ich so wie sich scheinbar auch fast alle einig sind.) Ich sehe vorrangig welche für die Darsteller*innen.
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