Auch heute gibt es hier wieder eine wilde Mischung. 🙂 Dabei: Eine in zwei Bänden komplette und ausgelesene Reihe („Die Natur einer reinen Seele“), ein erster Band einer Neuerscheinung auf dem deutschen Markt („Asadora!“) und die Fortsetzung einer Reihe, die mich schon eine Weile begleitet („The Promised Neverland“). Und alle drei haben mir mehr oder weniger gravierend Kopfzerbrechen bereitet. Besprechungen sind weitestgehend spoilerfrei oder vermeidbar gekennzeichnet.
„Asadora!“ Naoki Urasawa, Carlsen Manga
Wow, Asadora! beginnt stark. Fans von Naoki Urasawa Manga werden sich an 20th Century Boys erinnert fühlen, wenn das Tokio der Gegenwart von einer Katastrophe heimgesucht wird, nur um dann zu einem Rückblick in die Vergangenheit der kleinen Asa zu schwenken. Die sieht sich in der Bucht von Ise im Jahr 1959 einer ganz anderen Katastrophe ausgesetzt. Zuerst denkt sie noch, dass die Geburt ihres gefühlt zwanzigsten Geschwisterchens das größte Ereignis des Tages ist, da droht einer verheerender Sturm ihre Nachbarschaft auszulöschen. Der erste Band weckt unterschwellig Erinnerungen an Klimakatstrophen und Tsunamis der Vergangenheit – schon alleine deswegen ist Asadora! dramatisch, tragisch, spannend. Dank Asa aber auch flippig und clever. Sie macht von den ersten Seiten an klar, dass sie eine großartige Mangaheldin sein wird. Als eins von vielen Geschwistern ist sie es eher gewöhnt übersehen zu werden und niemand macht sich die Mühe sich ihren Namen zu merken. Ich habe das Gefühl, dass sich das bald ändern wird.
Auf die Veröffentlichung von Asadora! habe ich mich sehr gefreut und fast seit Ankündigung vorbestellt. Vorrangig, weil es endlich mal eine Protagonistin statt eines männlichen Hauptcharakters ist, die die erste Geige in einem ich Naoki Urasawa Manga spielt. Der ist zwar auch früher schon gut darin gewesen, dass Rampenlicht auf die Geschlchter zu verteilen, aber Asadora mit Ausrufezeichen ist schon eine überdeutliche Ansage. 🙂 Der Titel bezieht sich aber auch auf japanische Seifenopern, die morgens ausgestrahlt werden. Möglicherweise entstand im Volksmund der Begriff Asadora als eine Mischung aus asa (Morgen) und dorama (Drama im Sinne von Fernsehsendung, Seifenoper).
Und tatsächlich hat Asadora! einige dramatische Spitzen. Um das irgendwie ins Deutsche transportieren zu können, ziert der Begriff Manga Novela das Cover des Manga von Carlsen, was in Erinnerung an unsinnige Marketingbegriffe wie Graphic Novel erstmal etwas Stirnrunzeln bei mir ausgelöst hat. Durch die Erklärung im Buch und die Reaktion des Verlags auf Twitter hat sich das aber schnell geklärt. 🙂 Und wie ist Asadora! nun? Der erste Band ist großartig, mitreißend, hat einen bösen Cliffhanger und hat erneut genau die richtige Mischung aus Realismus und diesem „WTF?“-Gefühl, wenn sich plötzlich ein Hauch Sci-Fi oder Fantasy in die Handlung zu streuen scheint. Die Urasawa-Formel. Auch interessant: die Erwähnung der Olmypischen Spiele. Auch das weckt 20th Century Boys Feeling, da Urasawa offenbar solche Großevents gern einstreut. Bei den „Boys“ war es ja u.a. die Weltausstellung. Spannend! V.A. mag ich auch die feministischen Untertöne.
Wir haben den Begriff gewählt, um Urasawas eigene Idee aufzugreifen, seinen Manga nach dem Muster einer täglichen TV-Serie zu erzählen. In Japan heißt das „Asadora“ („Morgen-Drama“). Angelehnt an die Telenovelas haben wir es „Manga Novela“ genannt. (1)
— Carlsen Verlag (@carlsen_verlag) February 2, 2022
„Die Natur einer reinen Seele“ Bd. 1-2 (komplett), Syaku (Tokyopop)
Die Natur einer reinen Seele handelt vom Teenager Yashio, der allein und relativ abgeschieden in seinem Elternhaus in den Bergen lebt. Das Haus ist umgeben von einem dichten Wald und Yashio verirrt sich ständig auf seinem Weg zur Schule oder zurück. Das könnte ganz witzig sein, wäre es einzig auf Schusseligkeit oder Orientierungslosigkeit zurückzuführen. Ist es aber nicht. Yashio begegnet eines Tages im Wald (natürlich nachdem er sich verirrt hat) einem Fremden, der sich als Toki vorstellt und schnell die Ursache für Yashios Problem gefunden zu haben scheint. Yashios Verirren ist übernatürlich, da er mit dem Berg nicht im Einklang ist und eine „unreine Seele“ hat. Toki verspricht ihm zu helfen und stellt sich als ein Bekannter von Yashios verstorbenen Großeltern vor. Doch das ist noch nicht alles – Toki gibt sich als unsterbliches „Mononoke“ zu erkennen und sieht und erkennt Dinge, zu denen Menschen nicht in der Lage sind.
Wer jetzt einen gruseligen und stark durch Mystery-Elemente getriebenen Manga erwartet, muss die Erwartungen nochmal nachjustieren. Die Natur einer reinen Seele ist eher etwas Drama-lastig und strahlt angenehm Slice of Life Atmosphäre aus. Der Fokus des Manga liegt ganz klar auf der Entwicklung der Beziehung zwischen dem etwas misstrauischen Yashio und dem gewitzten Toki, der ihn gern aus der Reserve lockt und durchschaut. Yashios „unreine Seele“ und Probleme mit seiner Umgebung sind v.A. ein Produkt seiner Einsamkeit. Er pflegt eine Hassliebe zu seiner Umgebung. Sein Elternhaus und die Berge sind eigentlich eine sehr schöne Umgebung, aber er hadert innerlich mit dem Gang nach Hause wie auch dem Verlassen des Hauses, weil dort niemand auf ihn wartet. Bewanderte Leser*innen ahnen also schon in welche Richtung das geht. Toki zieht ein, wird trotz anfänglicher Reibereien zu einer Konstante in Yashios Leben und es entwickeln sich Gefühle zwischen den Beiden, die über eine Freundschaft hinaus gehen. Überraschenderweise wurde für Die Natur einer reinen Seele eine Empfehlung ab 18 Jahren ausgesprochen, was sich wohl hauptsächlich auf den zweiten und letzten Band der kurzen Reihe zurückführen lässt.
Bis es aber soweit kommt, handelt Die Natur einer reinen Seele vorrangig von dem gegenseitigen Aneinandergewöhnen und Hinterfragen der ungewöhnlichen WG. V.A. hinterfrage ich, warum Yashio Toki „einfach so“ einziehen lässt. Das ist das einzige, was an dem Manga nicht besonders gut aufgeht. Auch wird die angebliche „unreine Seele“ eher spät erklärt. Das kann man für arg vernachlässigt und unrund erzählt halten, macht es doch schließlich den Aufhänger aus. Aber: auch das macht dann ab dem Ende des ersten Bands Sinn. Bis dahin gehen Yashio und Toki relativ viel gemeinsam durch den Alltag, kochen und sammeln v.A. sehr viel Lebensmittel aus den Bergen und Tauschen folkloristische Bestandteile der japanischen Kultur aus. Sagen, Aberglaube, Naturheilkunde – das ist ziemlich interessant und absolut wunderschön gezeichnet! Ich habe viel dazu gelernt und einigermaßen Wanderlust beim Lesen des Manga bekommen. Davon abgesehen hatte die erste Auflage des zweiten Bandes einen Fehldruck (siehe u.a. Bericht Manga Passion 10.01.22), bei dem die Seiten stückweise durcheinander gewürfelt sind und den Manga zwar noch nachvollziehbar machen, aber es macht schon weniger Spaß zu lesen. Auch mich hat es erwischt. Beim Kauf drauf achten, das sollte vom verständnisvollen Verlag und/oder Buchhandel ersetzt werden können. Der Manga ist warmherzig, angenehm unaufgeregt, humorvoll, wunderschön gezeichnet und den Blick durchaus wert!
„The Promised Neverland“ Bd. 6, Kaiu Shirai & Posuka Demizu (Carlsen Manga)
Der nachfolgende Absatz enthält Spoiler für „The Promised Neverland“ Manga Bände 1-5 und Staffel 1 des Anime.
Der sechste Band von The Promised Neverland gewinnt an Brisanz, weil der fünfte (natürlich) mit einem argen Cliffhanger endete. Was danach kommt ist aber relativer Einheitsbrei bis auf ein, zwei Antworten auf die wir schon lange warten (5 Bände lang ^^). Nachdem die Kinder rund um Emma und Ray aus der „Luxusfarm“ entkommen sind, treten Retter Deus-ex-Machina-Style auf und helfen ihnen. Um wen es sich dabei handelt, verschweige ich, weil es ein interessanter aber vorhersehbarer Twist ist. Von ihren Rettern bekommen sie einige Antworten über die „Außenwelt“, die dann schon eher überraschen und das erste Mal erklären, was mit dem Titel The Promised Neverland genau gemeint ist. Auch das Gleichnis der Kinder auf Massentierhaltung wird sehr bewusst und schockierend platziert, was wieder die Stärke des Manga unterstreicht: die sehr spezifische Botschaft. Dabei versinkt der Rest der Handlung in erwartungsgemäßem Einheitsbrei. Verstecken, jagen und überleben lernen bis es weitergehen kann. So hält sich der Manga konstant auf einem Niveau, das einem genug Bröckchen gibt, um weiterlesen zu wollen, aber nicht soviele, dass ich überwältigt wäre.
Nachdem ich von dem Anime eher begeistert war als von dem Manga, wollte ich eigentlich damit weitermachen. Bände 1-5 hatte ich schon auf meinen Verkaufen/Verschenken-Bücherstapel gelegt und dachte ich kann jetzt endlich mal abschließen. Dann habe ich mehr durch Zufall mitbekommen wie immens viele negative Kritiken die zweite Staffel des Anime erhielt. Allzu tief wollte ich darauf nicht eingehen, um nicht gespoilert zu werden. Als ich dann aber erfuhr, dass der Anime nach der zweiten Staffel endet (Quelle Shonakid 13.04.21), war schon klar, dass das nicht gut gehen kann. Schließlich müssten hier dann in etwa 15 Mangabände auf eine Staffel verknappt werden. Und jetzt sitze ich wieder hier und weiß nicht, ob ich weiterlesen will. Ich kann ehrlich nur seufzen. Bis „Redaktionsschluss“ dieses Artikels stand nicht fest, ob ich mit dem Manga oder dem Anime weitermache. Meine Tendenz ist aber: beides? Euer Tipp? 🙂 Lasst hören.
Ich denke mein Kopfzerbrechen bezüglich der Mangareihen erklärt sich. Unsicherheit mit Begrifflichkeiten bei „Asadora!“, Fehldruck bei „Natur …“, keine Entscheidungsfreudigkeit, ob weiterlesen oder nicht bei TPN. Aber zumindest macht es die Sache spannend. Ahem. ^^‘ Habt ihr die besprochenen Manga gelesen? Oder ähnliche Zwickmühlen erlebt?
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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